Eine Rezension von Günter Naucke

Irren ist menschlich

Walter Krämer/Götz Trenkler: Lexikon der populären Irrtümer
500 kapitale Mißverständnisse, Vorurteile und Denkfehler von
Abendrot bis Zeppelin.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1996, 355 S.

Wenn Sie die Überzeugung teilen, daß der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer den Arbeitgeberbeitrag von seiner Arbeit bezahlt; daß die Bastille am 14. Juli 1789 erstürmt und nicht kampflos übergeben wurde; daß die Chinesen gelbhäutig sind und nicht gleicher Hautfarbe wie die Europäer; der Einserne Vorhang eine Wortschöpfung von Winston Churchill und nicht eine der Königin Elisabeth von Belgien aus dem Jahre 1914 ist; daß Luther seine 95 Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen und nicht auf dem Dienstwege seinen Oberen überreicht hat; daß Beamte im alten Preußen unbestechlich waren; daß Wilhelm Tell eine historische Figur war und keine erfundene ist - wenn Sie also diese Überzeugungen teilen, dann sind Sie jeweils einem Irrtum aufgesessen. Irrtümer allerdings, das darf Sie trösten, die die Mehrheit mit Ihnen teilt und die scheinbar unausrottbar sind. Dieses Phänomen zu belegen, zu erklären und an seiner Ausrottung mitzuwirken, haben sich die Professoren Krämer und Trenkler, beide von Haus aus Statistiker, verschrieben. Das Ergebnis ist vorliegendes Lexikon. Auf die Idee kamen sie, als W. Krämer mit der gern verdrängten Wahrheit, wonach die Raucher die Kosten für das Gesundheitswesen reduzieren, und nicht, wie allgemein behauptet, erhöhen, wenig Zustimmung fand. Dieser scheinbare unausrottbare Irrtum war Anlaß genug, nach analogen Fällen zu suchen und die Gründe für das Verharren im Irrtum aufzuhellen. Die Ursachen dafür bzw. für die Anfälligkeit für Irrtümer überhaupt sehen die Autoren, dies allen zum Trost, nicht in der Höhe des Intelligenzquotienten, sondern u. a. in ihrer Nützlichkeit für das Durchsetzen oder Kaschieren von Interessen; weil es oft bequem ist sie zu glauben und an ihnen festzuhalten; weil Autoritäten dahinter stehen; weil Mythen gebraucht werden, und weil sie sich so schön zur Warnung vor was auch immer nutzen lassen. Ob dieses Buch dazu beiträgt, die Irrtümer zu entlarven und auszurotten, wird schwer nachprüfbar sein, empfohlen sei es aber trotzdem. Erstens bietet diese Sammlung kapitaler und weniger spektakulärer Irrtümer eine einmalige Möglichkeit, sich selbst zu testen. Vielleicht gelingt es dabei sogar zu beweisen, daß die Autoren hier und da selbst einem Irrtum aufgesessen sind. Zweitens lassen sich die Irrtümer nur aufzeigen, indem man ihren Ursachen nachspürt. Das führt bei vielen Stichworten zu Exkursen in die Geschichte, die auf unterhaltsame Art zugleich bildend sind. Drittens zeigen die ausgewählten Beispiele, daß der Irrtum überall grassiert. Das hat den Vorteil, daß uns das Lexikon in viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens führt. Die dabei entdeckte Dominanz von Irrtümern betreffs der gesunden Lebensweise und der Kosten zu ihrer Erhaltung nimmt man dabei in Kauf, sich schließlich damit tröstend, daß es ja hier um's Leben geht. Allerdings hätte sich der Rezensent um der Ausgewogenheit und um der realen Folgen wegen mehr Stichworte über Irrtümer und ihre Handhabung im politischen Leben gewünscht, aber vielleicht grassiert hier der Irrtum nicht so stark? Lexika sind alphabetisch geordnete Nachschlagewerke. Nicht immer war es den Herausgebern möglich, die Irrtümer überzeugend auf ein zu suchendes Stichwort zu bringen. Es bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als diese zu suchen. Das er sich dabei immer wieder festliest, ist eine Stärke der stofflichen Aufbereitung und sprachlichen Darstellung dieses Lexikons und ist für jedes gute Lexikon eine Selbstverständlichkeit.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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