Eine Rezension von Charlotte Steg

Sie machten und machen Geschichte

Florence Hervé/Ingeborg Nödinger
Lexikon der Rebellinnen
edition ebersbach, Dortmund 1996, 276 S.

Die Männer wissen es seit Urzeiten: Männer machen nicht nur Geschichte, sie schreiben auch die Geschichte. So sichern sie, daß die männlichen Macher und ihre Taten im Gedächtnis der Nachwelt erhalten bleiben. Große biographische Nachschlagewerke wie Lexika und Enzyklopädien trugen nicht unwesentlich dazu bei, daß dieses Bild verfestigt wurde. Ein Blick in diese Werke bis in die Gegenwart zeigt, daß Frauen, sofern sie nicht dem Adel entstammen oder im Christentum wirkten, gegenüber den Männern in allen Bereichen unterrepräsentiert sind. Daß dies nicht naturgesetzlich zu begründen ist, hat sich zwar unter den modern denkenden Männern des 19. und 20. Jahrhunderts herumgesprochen, aber das Bild über diejenigen, die Geschichte machen, kaum verändert. Die Vernachlässigung der Frauen beim Erinnern an und Aufbewahren von Geschichte ist seit Jahrzehntem Anlaß, mit unterschiedlichen Arbeiten zur Geschichte und Gegenwart dieses Bild zu korrigieren. Vom allgemeinen Frauenlexikon bis zu speziellen Künstlerinnenlexika reicht allein die Palette biographischer Nachschlagewerke, die hier Abhilfe schaffen sollen. Doch wer gutgläubig annimmt, daß diese Bemühungen in den noch von der Männerwelt dominierten Redaktionen und Verlagen von Lexika und Biographien sich bereits nachhaltig niedergeschlagen haben, irrt sich. Ein beredtes Beispiel dafür ist das gerade erschienene Lexikon der Rebellinnen. Die Herausgeberinnen verweisen gleich eingangs auf den Sachverhalt, daß Frauen selbst 1995 und 1996 in den Lexika und allgemeinen biographischen Nachschlagewerken kaum oder überhaupt nicht vorkommen. Diese harsche Klage wollte die Rezensentin nicht einfach ungeprüft hinnehmen und suchte nach Belegen für diese Behauptung. Ein Vergleich der unter B erfaßten Frauen im Rebellinnen-Lexikon mit der Brockhaus-Enzyklopädie ergibt, daß nur ein Drittel der dort vorgestellten Frauen im Brockhaus wiederzufinden sind. Dabei geht es nicht um schmückendes Beiwerk zur Geschichte, sondern um Frauen, die ihrer Leistung und Bedeutung nach schwerer wiegen als viele der Männer, die von Auflage zu Auflage durch die Nachschlagewerke in die Gegenwart getragen werden. (Männer, von denen damals wie heute keiner so richtig zu erklären wußte, was sie so hervorhob, um derart in die Annalen der Geschichte einzugehen.) Zu den vernachlässigten Frauen im Brockhaus gehören keine geringeren als die deutsche Frauenrechtlerin Gertrud Baer, die russische Politikerin Angelica Balabanoff, die italienische Physikerin und Philosophin Laura Maria Catharina Bassi, die erste deutsche Pilotin Amelie Beese, die deutsche Widerstandskämpferin gegen den Faschismus Olga Benario, die erste amerikanische Ärztin Elizabeth Blackwell und die deutsche Schriftstellerin Elfriede Brüning. Ein wenig freundlicher sieht das Verhältnis zwischen dem Rebellinnen-Lexikon und der Deutschen Biographischen Enzyklopädie des Saur Verlages, München aus. Hier fehlen „nur“ ein Drittel der deutschen „Rebellinnen“. Bedenkt man in diesem Zusammenhang, daß das Rebellinnen-Lexikon nur 600 Frauen, davon ca 160 deutsche, vorstellt und setzt diese ins Verhältnis zu den geplanten 60 000 Biographien der Deutschen Biographischen Enzyklopädie und den 40 000 Biographien der Brockhaus-Enzyklopädie, werden die Defizite besonders deutlich. Das Bemühen der Herausgeberinnen, herausragende Persönlichkeiten vorzustellen - wobei die meisten von ihnen Rebellinnen höchsten insofern waren und sind, als sie selbst für die von Männern dominierte Welt Außerordentliches vollbrachten - unterscheidet dieses Lexikon von vielen anderen biographischen Nachschlagewerken in mehrfacher Hinsicht. Erstens kein trockener lexikalischer Stil, sondern, bei Wahrung erforderlicher Objektivität und Sachlichkeit, lesbare und interessante Lebensgeschichten. Zweitens wird in den biographischen Skizzen mit besonderer Aufmerksamkeit der Teil des Lebens und Wirkens der „Rebellinnen“ dargestellt, der zu ihrer Aufnahme in das Lexikon geführt hat. Es werden Spitzenleistungen des Sports ebenso vorgestellt wie einflußreiche Politikerinnen, hohe künstlerische Begabungen, engagierte Sozialpolitikerinnen, Literatinnen von hohem Rang, Abenteuerinnen und herausragende Wissenschaftlerinnen. Drittens ist es, was ein Lexikon kaum, ein biographisches sonst schon gar nicht ist und auch nicht sein kann, ein Buch, das zum Lesen und Weiterlesen anregt. Bedauerlich nur, daß mit Abbildungen mehr als sparsam umgegangen wurde. Es ist ein Buch voller Geschichten über Frauen, die Geschichte gemacht haben - zusammen mit Männern.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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