Eine Rezension von Karl Stephan

Richtig schreiben, aber mit wessen Hilfe?

Duden
Rechtschreibung der deutschen Sprache.
DUDENVERLAG, Mannheim 1996, 910 S.

Die neue deutsche Rechtschreibung
Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 1996, 1040 S.

Was lange währt, wird gut, so heißt es in einem bekannten Sprichwort. Kaum wurden im Frühjahr die ersten Änderungen bekannt, rauschten Spott und Hohn, manchmal auch verhaltener Beifall durch den deutschprachigen Blätterwald. Doch alle Vorbehalte nutzten nichts. Im Juli 1996 wurde die Neuregelung regierungsamtlich und wird mit dem 1. August 1998 eingeführt. Jetzt, wo die neue deutsche Rechtschreibung in gedruckter Form vorliegt, mischen sich endlich in das Pro und Contra dieser Reform auch die Schriftsteller ein. Der von einigen lautstark geforderte Ruf nach Rücknahme der Reform spitzt erneut eine Diskussion zu, die eigentlich schon erledigt schien. Ob dieser Ruf erfolgreich sein wird, muß bezweifelt werden. Daß diese Reform umstritten ist und über sie noch lange debattiert wird, ist bei einem Kompromißwerk wie dem vorliegenden nicht anders zu erwarten. Aber die Reform hat mindestens zwei bemerkenswerte Momente. Zum einen obsiegte der konservative Geist bei der Groß- und Kleinschreibung, und zum anderen wurde das Monopol eines Verlages, alleiniger und maßgebender publizistischer Verkünder der deutschen Rechtschreibung zu sein, aufgehoben. Noch vor der „deutschen Rechtschreibung“, dem Duden des DUDENVERLAGES erschien Die neue deutsche Rechtschreibung von Bertelsmann. Der Unterschied auf dem ersten Blick ist der Preis. 38,00 DM kostet der Duden, während Bertelsmann es für die Hälfte macht.

Ein traditionsreicher Name ist eben gut verkäuflich.

Doch nicht nur der Preis ist unterschiedlich, sondern Inhalt und Umfang. Während der DUDENVERLAG mehr als 115 000 Stichwörter und über 500 000 Bedeutungserklärungen, Beispiele und Angaben anbietet, sind es bei Bertelsmann 600 000 Eintragungen, mehr als 20 000 Angaben zu neuen Schreibungen und Worttrennungen und 400 Orientierungshilfen bei Zweifelsfällen. Beide Angebotspaletten zeigen, daß das Regelwerk der deutschen Sprache einen durchaus großzügigen Umgang mit lexikalischen Ordnungsbegriffen zuläßt, sagen aber noch nichts über den Informationsgehalt und die Nutzerfreundlichkeit aus. Die erschließt sich erst beim Blick in das Innenleben. Während Bertelsmann seine Herausgabe der deutschen Rechtschreibung offensichtlich mit der Überlegung verband, eine kleine Skizze zur Geschichte der Rechtschreibung könne dem ob der neuen Regeln etwas Verunsicherten nicht schaden, ging der DUDENVERLAG sicher davon aus, daß diese den treuen Lesern vertraut ist. Auffällig ist, daß, obgleich der DUDENVERLAG sich mehr Zeit als Bertelsmann mit der Herausgabe seiner neuen Rechtschreibung ließ, diese ungleich benutzerunfreundlich gestaltet hat. Dies fängt an mit der Übersicht über das neue amtliche Regelwerk, wo Bertelsmann im Gegensatz zum DUDENVERLAG zu jedem Paragraphen die Identität bzw. die Unterschiede zur bisherigen Regelung kennzeichnet und, wo erforderlich, beschreibt. Dafür enthält die Ausgabe des Dudenverlages eine gesonderte vergleichende Gegenüberstellung alter und neuer Schreibungen, die dem Nutzer wichtige Veränderungen auf einem Blick deutlich machen. Traditionell übersichtlicher erscheint dagegen hier auf den ersten Blick die alphabetische Darstellung über die „Richtlinien zur Rechtschreibung ...“ einschließlich der farbigen Hervorhebung der Änderungen, im Gegensatz zur „Grammatik, Ein Abriß in Stichworten“ , bei Bertelsmann. Auf den zweiten Blick irritiert allerdings eine Regelnumerierung beim DUDENVERLAG, die amtlich scheint, jedoch dem Hause Duden entstammt und von Bertelsmann daher nicht eingerichtet wurde. Beim Hauptstück, dem Wörterverzeichnis, sind beide Verlage um eine typographische Gestaltung bemüht, die dem Nutzer auf den ersten Blick die Veränderungen anzeigen und nachvollziehbar machen sollen. Beim Duden werden die Stichworte, die eine veränderte Schreibweise erhalten haben, rot gedruckt, während die alte Schreibweise wegfällt. Bei Bertelsmann hingegen werden beide Schreibweisen gegenübergestellt und die neue durch ein rotes Symbol kenntlich gemacht. So wird die Veränderung unmittelbar am Stichwort aufgezeigt. Dies ist ohne Frage ein Vorzug gegenüber dem Duden. Dies gilt auch für die Darstellung der Änderungen bei der Silbentrennung, vor allem jedoch für die Darstellung solcher Stichworte, die im Zusammenhang mit den neuen Regeln Fragen oder Unsicherheiten aufkommen lassen könnten. Diese werden, im Gegensatz zum Duden, mit einer Erläuterung und Verweisen verknüpft und mit einer roten Umrandung versehen. Obgleich die Ausgabe von Bertelsmann preiswerter und nutzerfreundlicher ist, wird man kein Prophet sein müssen um vorherzusagen, daß die große Mehrheit der Hilfesuchenden nach wie vor zum Duden greifen wird. Gleichwohl, das Monopol des DUDENVERLAGES ist gebrochen. Nicht nur Bertelsmann, sondern jeder andere Verlag kann eine Rechtschreibung herausgeben. Und da die Auswahl der Wörter, die ins Wörterverzeichnis aufgenommen werden, trotz aller objektiver Erfordernisse eine subjektive ist, wie bereits die Wörterverzeichnisse der beiden besprochenen Werke zeigen, wird man vielleicht anstatt eines Duden, zukünftig mehrere zur Hand nehmen müssen. Und einzurichten hat sich der Benutzer, auf mal mehr oder weniger voneinander unterschiedene Erklärungen gleicher Stichwörter.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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