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Klaus Ziermann

Buchgemeinschaftstrends
nach der Wiedervereinigung

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands prägten vornehmlich 3 Veränderungen die Situation auf dem deutschen Buchgemeinschaftsmarkt:
- der augenscheinliche Macht- und Einflußzuwachs der Bertelsmann-Buchclubs in allen Bundesländern und in der internationalen Arena;
- der Besitzerwechsel der Holtzbrinck-Buchgemeinschaften, die Ende der achtziger Jahre zuerst eine Zeitlang an den Leo Kirch-Konzern übergegangen waren, ehe sie 1992 endgültig in das Bertelsmann-Imperium integriert wurden;
- das Ende der DDR-Buchgemeinschaft buchclub 65.

Im Konkurrenzkampf um die Gewinnung neuer Leserschichten standen sich auf dem vereinten deutschen Buch- und Taschenbuchmarkt fortan zwei Typen von Buchgemeinschaften gegenüber. Den einen Typ - die spezialisierte Buchgemeinschaft, die sich mit einem fest umrissenen Wissenschafts- und Bildungsprogramm an einen genau fixierten Leserkreis wendet - verkörpert die 1949 gegründete Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. „Zweck des Vereins ist, die Publikation wichtiger und dringend benötigter wissenschaftlicher Werke zu ermöglichen und solche Werke auch zu vertreiben sowie das durch Kriegsfolgen schwer zugänglich gewordene wissenschaftliche und geistige Schrifttum neu erscheinen zu lassen“ 1, heißt es in ihrer Satzung in der Fassung vom 5.Dezember 1992.

Mit einem in 33 Themenkomplexe - Altertumswissenschaft, Anglistik und Amerikanistik, Archäologie, Biographien, Biologie, Erziehungswissenschaft, Geographie und Nachbargebiete, Germanistik, Geschichte, Handbücher und Lexika, Kinder- und Jugendbücher, Klassiker der Weltliteratur, Kunst, Lateinisches Mittelalter, Literaturwissenschaft, Mathematik, Medizin, Musikwissenschaft, Orientalistik, Philosophie, Physik, Politik, Psychologie, Rechts- und Staatswissenschaft, Romanistik, Sachbücher, Soziologie, Sprachwissenschaft, Theater, Film- und Medienwissenschaften, Studium generale, Theologie, Religionswissenschaft, Religionsgeschichte, Umweltwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften - untergliederten Wissenschafts- und Bildungsprogramm von 1 571 Titeln wendet sie sich ihrer Tradition gemäß gezielt an einen großen Fachkreis von Wissenschaftlern und Studenten der verschiedenen Fachrichtungen2.

Darüber hinaus bietet der WB-Verlag in 11 thematischen Reihen - Besondere Wissenschaftliche Reihe (BWR), Bibliothek klassischer Texte (BKT), Dimensionen der modernen Biologie (DMB), Einführungen, Erträge der Forschung (EdF), Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe (FSGA), Sammlung Tusculum (Tusc.), Texte zur Forschung (TzF), WB-Editionen, WB-Pockets und Wissenschaftliche Länderkunden (WL) - Bücher zur Bildung an.

Den anderen Typ, der sich mit einem gemischten Unterhaltungs- und Bildungsprogramm an Leserinnen und Leser aller sozialer Schichten wendet, verkörpern die Bertelsmann-Buchgemeinschaften und -Leseringe.

In den neunziger Jahren trat die exponierte Stellung des Konzerns auf dem Buchgemeinschaftsmarkt offensichtlicher denn je hervor. Zu diesem Zeitpunkt gab es im wiedervereinigten Deutschland insgesamt 6,65 Millionen Mitglieder von Buchgemeinschaften. In den alten Bundesländern gehörte nahezu jede dritte Familie einer Buchgemeinschaft an, so daß ein gewisser Sättigungsgrad erreicht war. Im Osten Deutschlands hatte die Wiedervereinigung jedoch ganz neue „Zukunftsmärkte“ mit geistiger Ausstrahlung nach Osteuropa beschert. Binnen weniger Wochen - zu einem Zeitpunkt, als die politische Wende in der DDR noch gar nicht abgeschlossen war - schufen die führenden Buchgemeinschaften der Bundesrepublik die Voraussetzungen für ihre Präsenz in den neuen Bundesländern. Der Bertelsmann-Konzern eröffnete in Sachsen die Deutsche Buch-Gemeinschaft Dresden und begann unverzüglich, sein Club-Netz in anderen ostdeutschen Städten aufzubauen: 1990 in Berlin-Mitte, Suhl, Bautzen, Jena und Stralsund, 1991 in Cottbus, Schwerin, Leipzig, Gera, Magdeburg, Chemnitz, Rostock, Frankfurt/Oder, Brandenburg, Potsdam, Zwickau und Halle/Saale, 1992 in Erfurt und Neubrandenburg, 1994 in Dessau und Görlitz. Bis Ende 1990 konnten über 700 000, bis Ende 1994 weit über 1 Million neue Mitglieder für die Bertelsmann-Buchclubs gewonnen werden. Zwischen 300 000 und 400 000 Mitglieder verzeichnete damals Leo Kirchs Deutscher Bücherbund 1990 in den neuen Bundesländern.

Standen 1980 den 4,325 Millionen Mitgliedern der Bertelsmann-Buchclubs 2,920 Millionen Mitglieder anderer Buchgemeinschaften in den alten Bundesländern gegenüber, was einem Verhältnis von rund 60 : 40 Prozent entsprach und der Verlagsgruppe Bertelsmann einen Marktanteil von ca. 70 Prozent sicherte, so veränderte sich diese Konstellation auf dem wiedervereinten deutschen Buchmarkt gravierend. Nach dem Erwerb des Deutschen Bücherbundes vereinte die Verlagsgruppe Bertelsmann in ihren Buchclubs über 93 Prozent aller deutschen Buchgemeinschaftsmitglieder: 6,20 von 6,65 Millionen. Lediglich noch 450 000 Mitglieder (ganze 6,7 Prozent) entfielen fortan auf die Büchergilde Gutenberg, die Wissenschaftliche Buchgesellschaft und die Herder Buchgemeinde (Tabelle 32).

Besitzverhältnisse und Mitglieder der deutschen Buchgemeinschaften 1992


Buchgemeinschaft/Ort Besitzverhältnisse Zahl der Mitglieder
Bertelsmann-Lesering (Clubs)
Gütersloh
Verlagsgruppe Bertelsmann
2 700 000
Deutscher Bücherbund (+)
Stuttgart
Verlagsgruppe Bertelsmann
1 500 000
Europäische Bildungs-
gemeinschaft
Kornwestheim
Verlagsgruppe Bertelsmann
1 400 000
Deutsche Buch-Gemeinschaft
Dresden
Verlagsgruppe Bertelsmann
600 000
Büchergilde Gutenberg
Frankfurt am Main
Deutscher Gewerk-
schaftsbund (DGB)
200 000
Wissenschaftliche Buch-
gesellschaft
Dortmund
unabhängig
150 000
Herder Buchgemeinde
Freiburg/Br.
Verlagsgruppe
Herder
100 000
(+) Zusammen mit Evangelische Buchgemeinde, Fackel-Buchclubs,
„Hör zu“ -, „Otto“ - und Freizeit-Club.


Die großen Bertelsmann-Erfolge im Buchgemeinschafts-Geschäft kamen offenbar nicht von ungefähr. Sie resultierten daraus,
- daß der Mediengigant aus Gütersloh in seinen Buchclubs jederzeit ein von breiteren Bevölkerungsschichten akzeptiertes preiswertes Sachbuch- und Belletristikangebot durch eine hohe wissenschaftlich-technische, urheberrechtliche und betriebswirtschaftliche Effektivität seiner Unternehmen zu sichern wußte,
- eine anspruchsvolle Qualität seiner Erzeugnisse im Buchgemeinschaftsgeschäft mit allen wesentlichen Trends und neuen Formen der kulturellen Massenkommunikation wie Fernsehen, Video, CD zu einer ausgewogenen Einheit zu verbinden verstand,
- seine exponierte Stellung auf dem Buchmarkt der Bundesrepublik Deutschland mit systematischer strategischer Erweiterung seiner globalen Einflußsphären auf zukunftsträchtigen internationalen Märkten koordinieren konnte.

Offensichtlich war dies ein seit längerem geeignetes Rezept, einerseits der zunehmenden internationalen Konkurrenz in Europa und Übersee, die auch der Bertelsmann-Konzern ständig zu spüren bekommt, standzuhalten, andererseits den differenzierten literarischen, künstlerischen, fachspezifischen und populärwissenschaftlichen Interessen eines nach Millionen zählenden Leserpublikums in aller Welt so gerecht zu werden, daß es vornehmlich Bücher, Schallplatten und Videos mit dem Firmenzeichen „b“ erwirbt.

Was die Programmstruktur des Buchangebots der Bertelsmann-Clubs angeht, so hatte sie im Laufe der Zeit offenbar einige Modifizierungen erfahren. 1971 konstatierte Peter Kliemann, daß Bertelsmann zwar für etwa ein halbes Dutzend verschiedene Buchgemeinschaften werbe, de facto aber nur zwei unterschiedliche Programme anbiete, die sich im einzelnen überdies überlappen würden. „Kernstück des Angebots ist das ‚Lesering‘-Buchprogramm. Der ‚Lesering‘ spekulierte seit je auf eher buchhandelsferne Leserreserven, denen er das Buch als Unterhaltungs-, Prestige- und Konsumprodukt nahezulegen versucht. Der Schwerpunkt: das massierte Angebot an Trivialliteratur, noch immer vielfach in Halbleder verpackt, das Anspruch und Seriosität suggerieren soll: Simmel, Heinrich, Marie Louise Fischer. Ratgeber, Freizeit-, Hobby- und Nachschlagebücher sowie viel Kinder- und Jugendliteratur setzen weitere kräftige Akzente. Literarisch gewichtigere Titel von Beckett bis Solschenizyn liefern den volkspädagogischen Überbau für ein Angebot, das zwar zunehmend zu qualifizieren versucht wird, im Schnitt aber noch am ehesten auf problemlose und wenig geschulte Leseerwartungen spekuliert.“ 4

Buchgemeinschaften agieren keineswegs als literaturpädagogische Institutionen. Sie bieten vielmehr an, was nach Ermittlungen der Marktforschung Erfolg und Gewinn verheißt und letztlich auch steigende Umsätze garantiert. In den neunziger Jahren trug die Gewinnung neuer qualifizierter Autoren und Herausgeber, die Steigerung der Lexika-, Fach- und Sachbuchanteile, eine strengere Titelauswahl in einigen Belletristik-Teilen zur Erhöhung der literarischen beziehungsweise wissenschaftlichen Qualität der Bertelsmann-Angebote bei. In seiner thematischen Grundstruktur basiert das Buchgemeinschaftsprogramm von Bertelsmann wie eh und je auf drei, wie es scheint unabdingbaren inhaltlichen Schwerpunkten:

- einer zu möglichst großer Massenwirksamkeit tendierenden, attraktiv dargebotenen und im Rahmen der Gegebenheiten eines Kulturkonzern durchaus differenzierten populären Belletristik-Auswahl mit zahlreichen Spitzenautoren der internationalen Literaturszene;
- einem vielseitigen, für wichtige Lebensbereiche in Beruf, Familie und Freizeit praktikablen Sachbuch-Angebot mit unentbehrlichen Nachschlagewerken, Lexika, Wörterbüchern und Ratgebern;
- einer klug ausgewählten Palette zumeist bekannter, seit Generationen begehrter Kinder- und Jugendliteratur.

Der Gütersloher Medienkonzern ließ sich im fünften Jahr der deutschen Einheit die Chance nicht entgehen, seine Mitglieder in der gemeinsamen Programmzeitschrift des Bertelsmann-Clubs, der Deutschen Buch-Gemeinschaft und der EBG Buch & Musik an seinen Dresdener Start zu erinnern und mit einem kleinen, repräsentativen Angebot von Büchern ehemaliger DDR-Schriftsteller und Künstler aufzuwarten. Von Erwin Strittmater wurde das dreiteilige Roman-Spätwerk Der Laden in das Buchgemeinschaftsprogramm aufgenommen. Erich Loest war mit der Leipziger Familiengeschichte Katerfrühstück, Jurek Bekker mit Amanda herzlos - nach dem Werturteil des Rezensenten der „Frankfurter Rundschau“ „ein Stück Geschichtsschreibung des Alltags der DDR“ -, Günter de Bruyn mit Zwischenbilanz, einem Rückblick auf „Lebensstationen, geprägt von den politischen Veränderungen und ideologischen Zwängen in der schwierigsten Zeit unseres Jahrhunderts“ , Wolfgang Hilbig mit einer Auswahl von Gedichten und Prosa Das Meer in Sachsen, Arno Surminski mit dem Roman Kein schöner Land, einer literarischen Abrechnung mit Gefängnis-Praktiken in Waldheim und anderswo in der DDR, Sarah Kirsch - die, laut Marcel Reich-Ranicki, bedeutendste unter den lebenden deutschen Dichtern - mit einem repräsentativen Band Gedichte vertreten. Von Helga Königsdorf wurde der Roman Im Schatten des Regenbogens, von Christa Wolf Kindheitsmuster und Auf dem Weg nach Tabou - „ein schonungsloser Bericht ihres Erfahrungsprozesses und ihrer Auseinandersetzung mit einer neuen Wirklichkeit“ - in das Bertelsmann-Programm aufgenommen. Die Leipziger Buchmesse und die Reihe „Leipzig liest“ gaben dem Bertelsmann-Club Anlaß, Erich Böhme, Volker Braun, Erich von Däniken, Dieter Hildebrandt, Hellmuth Karasek, Harry Mulisch, Friedrich Schorlemmer und Gabriele Wohmann als Akteure vorzustellen. Komplizierte Probleme, die Deutsche in Ost und West beim „Zusammenwachsen“ zu lösen haben, werden in Christian Graf von Krockows Buch Die Deutschen vor ihrer Zukunft. Die Chance für ein neues Selbstbewußtsein und der vom Bertelsmann-Club 1990 initiierten Dokumentation Denk ich an Deutschland - einer Auswahl von 11 000 Leserbriefen mit Gedanken zur deutschen Einheit - abgehandelt.5

Obwohl diese 12 von 526 Buchtiteln die bestsellerorientierten Grundprinzipien der Programmpolitik des Bertelsmann-Clubs, der Deutschen Buch-Gemeinschaft und der EGB Buch & Musik keineswegs außer Kraft setzten - an der Spitze des Angebots stand die in Schottland lebende Bestseller-Autorin Rosamunde Pilcher mit ihren Romanen Schneesturm im Frühling, Schlafender Tiger, Wechselspiel der Liebe, Sommer am Meer, September, Blumen im Regen, Wilder Thymian, Ende eines Sommers, Muschelsucher und als Neuerscheinung Wolken am Horizont -, ließ die größere Auswahl von Werken einstiger DDR-Schriftsteller und -Künstler erkennen, daß der Gütersloher Kulturkonzern durchaus bereit ist, Lebenserfahrungen, literarische Interessen und Lesegewohnheiten seiner neugewonnenen Mitglieder im Osten Deutschlands zu berücksichtigen.

Die Verlagsgruppe Bertelsmann hat das den Buchgemeinschaften und Leseringen wesenseigene Wirtschaftsprinzip - ihre gegenüber den Sachbuch- oder Belletristik-Verlagen andere Kalkulation und die durch hohe Mitgliederzahlen möglichen größeren Auflagen - jedoch nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch im internationalen Rahmen am konsequentesten vorangetrieben. Ende Dezember 1990 unterhielt der Medienriese aus Gütersloh insgesamt 30 Buch- und Schallplattengemeinschaften in den verschiedensten Teilen der Welt: in Österreich, Belgien, Großbritannien, Spanien, Portugal, Frankreich, der Schweiz, den USA, Kanada, Kolumbien, Australien und Neuseeland. Bis 1994 kamen 7 weitere Bertelsmann-Buchgemeinschaften hinzu, unter anderem der Bookclub of Ireland in Dublin, der Magyar Könyklub in Budapest, der Knizni Klub in Prag und Swiat Ksiazki in Warschau.

Seit den neunziger Jahren sind bei Bertelsmann deutsche und internationale, speziell von den USA ausgehende Trends, auf dem Markt der Buchgemeinschaften nicht mehr voneinander zu trennen. Der Konzern konnte dies erreichen, weil er strategisch den Potenzen des Mediums Buch in einer in Umbruch befindlichen globalen Medienlandschaft vertraute, seine Marktanteile in den Vereinigten Staaten von Amerika - der Quelle der wichtigsten internationalen Trends - entscheidend erhöhte und seine weltweit verstreuten Buchgemeinschaften einer strengen zentralen Führung unterwarf, zugleich aber bei aller Einheitlichkeit der Club-Idee in der Programmgestaltung darauf achtete, den „kulturellen, sozialen und regionalen Besonderheiten“ der jeweiligen Länder mit seinen Angeboten gerecht zu werden.6

Die 26 internationalen Buch- und Schallplattengemeinschaften mit mehr als 14 Millionen Mitgliedern erbrachten im „Jahr der deutschen Einheit“ den Männern um Reinhard Mohn einen jährlichen Umsatz von 2,184 Milliarden DM. 9 deutschsprachige Buch- und Schallplattengemeinschaften mit rund 8 Millionen Mitgliedern sicherten Bertelsmann 1990 einen weiteren Jahresumsatz von 1,136 Milliarden DM.7

Bis zum Ende des Geschäftsjahres 1994/95 erhöhte sich die Zahl der Buchgemeinschaftsmitglieder bei Bertelsmann auf insgesamt 25 Millionen. Die Umsätze, die sie erbrachten, stiegen auf 4,1 Milliarden DM.8 „Hohe Programmqualität und die Aktualität des Angebots - das unter anderem die neuesten Bestseller von Autoren wie Gaarder, Hoeg, Grisham und Pilcher aufweist - sorgten für steigende Umsätze in den deutschen, österreichischen und Schweizer Buchclubs, obwohl das Geschäft in der eigenen Ladenkette aufgrund der Konsumzurückhaltung spürbar beeinträchtigt war ...“ , wurde im Bertelsmann-Geschäftsbericht 1994/95 eingeschätzt. „Die Buchclubs in Tschechien und Ungarn konnten trotz des niedrigen Preisniveaus im allgemeinen Buchhandel ihre Position stabilisieren. Der im April gestartete polnische Buchclub entwickelte sich besser als erwartet.“ 9 Schon ist abzusehen, daß - neben Rußland - die „Wachstumsregion Asien... für Bertelsmann strategisch von großer Bedeutung“ ist. „Bis Anfang 97 soll in China der erste Buchclub eröffnet werden.“ 10

Das Buchgemeinschafts-Geschäft ist in jüngster Zeit eine der wesentlichsten Triebkräfte, weshalb die Gütersloher den Aufkauf attraktiver Verlage weiter rasch vorantreiben, gelangen sie doch auf diese Weise am ehesten und effektivsten an die Urheberrechte für Bücher, insbesondere Bestseller aus dem angloamerikanischen Sprachraum, die dann - wie Das Kartengeheimnis von Gaarder, Der Pferdeflüsterer von Evans, Der Ehrliche ist immer der Dumme von Wickert oder Gentschers Erinnerungen - oft zum Verdruß vieler Buchhändler in der Bundesrepublik als „Top-Bücher schon ab 1 DM“ und „5 Bestseller für zusammen nur 10 DM“ im Bertelsmann Club, in der Deutschen Buch-Gemeinschaft oder in der Europäischen Bildungsgemeinschaft Buch & Musik angeboten werden.11

Als Autoren mit den umfangreichsten Titel-Angeboten zeigten der Bertelsmann Club, die Deutsche Buch-Gemeinschaft und die EBG Buch & Musik im Sommer 1995 in der Belletristik an:


Rosemarie Pilcher mit 11 Titeln,
Barbara Wood mit 7 Titeln,
Heinz Günther Konsalik mit 6 Titeln,
Noah Gordon mit 5 Titeln,
Hans Ernst mit 4 Titeln,
John Grisham mit 4 Titeln,
Marion Zimmer Bradley mit 3 Titeln,
Stephen King mit 3 Titeln,
Gabriel García Márquez mit 3 Titeln,
Nancy Taylor Rosenberg mit 3 Titeln,
Erwin Strittmattter mit 3 Titeln.

Im Sachbuch-Bereich der Bertelsmann-Buchgemeinschaften führten 3 bewährte deutsche Autoren mit je 2 Titeln die Angebots-Palette an: Günter Ogger, Peter Scholl-Latour und Ulrich Wickert. Als bislang erfolgreichstes Buchprojekt der Bertelsmann-Leseringe in der Sachbuchproduktion erwies sich Das moderne Lexikon mit rund 40 Millionen Einzelbänden.12 Bei diesem Umsatz konnten im Sommer 1995 15 Einzelbände vom Bertelsmann Universal Lexikon zum „Super-Club-Preis“ von nur 19,90 DM pro Band und die 20-bändige Gesamtausgabe zum Preis von 398,- DM angeboten werden. Ein neues Bertelsmann Lexikon in 24 Bänden, von denen bislang 12 Bände erschienen sind, wurde für 24,90 DM pro Band angezeigt. „Einsteiger“ erhielten die ersten beiden Bände sogar für einen Sonderpreis von zusammen 24,90 DM.

Der Bertelsmann-Großmacht setzte die Büchergilde Gutenberg im April- Mai- Juni 1995 ein Angebot von 575 Belletristik- und Sachbuch-Titeln entgegen. Es ist nach dem Warenhaus-Prinzip angelegt und in 3 große thematische Komplexe - Romane/Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher und Sachbücher und Ratgeber - untergliedert. Den Mitgliedern der Büchergilde stehen Krimis und Schmöker, Treuebücher, Titel zum Thema 50 Jahre nach Kriegsende, Die Kleine Reihe, Frauen-Literatur, Exilliteratur und Klassiker-Ausgaben, Bilderbücher für Kleinkinder, Kinderschmöker, Kindersachbücher und Jugendbücher, Kunstbände, Nachschlagewerke, Umweltliteratur, Koch- und Reisebücher, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur auf den Gebieten der Geisteswissenschaften, der Geschichte, Politik und Kulturgeschichte zur Auswahl. Auf Bestseller wie Denkzettel von Dieter Hildebrandt, Das magische Auge. Dreidimensionale Illusionsbilder von Tom Baccei, Das Parfum von Patrick Süskind, Die unendliche Geschichte von Michael Ende, die Romane von Rosamunde Pilcher oder Das Schwert des Islam von Peter Scholl-Latour kann auch die Büchergilde ebensowenig verzichten wie jede andere Buchgemeinschaft.

„Bei mehr als 60 000 Neuerscheinungen im Jahr erstickt die Lesekultur im unüberschaubaren Dickicht verlegerischen Überangebots. Die Büchergilde wählt die wirklich wichtigen Bücher aus und verschafft ihren Mitgliedern damit einen Überblick über den Buchmarkt“ 13, warb die Büchergilde Gutenberg 1995 für ihre Erzeugnisse. In einigen Teilen des Angebots war ihre Auswahl an Belletristik- und Sachbuch-Titeln in der Tat literarisch anspruchsvoller und weniger auf Bestseller-Autoren und -Titel orientiert als bei den Bertelsmann-Buchgemeinschaften. Auf massenwirksame Trivialliteratur oder triviale Unterhaltungsliteratur wurde verzichtet. Originelle Buchausgaben enthielten die in der Reihe „Unverwechselbar Büchergilde“ unterbreiteten Angebote „Künstler illustrieren“ und „Auszeichnungen 1994/95“ - Angebote, die das Interesse der Leser verdientermaßen auf buchkünstlerische Aspekte und schön gestaltete Bücher richteten. Als Hauptvorschlagsband wurde im ersten Halbjahr 1995 die „wahre Geschichte von der Ermordung der Nibelungen“ angeboten: Jürgen Lodemanns Der Mord - Das wahre Volksbuch von den Deutschen. Hauptautoren des aktuellen Belletristik-Angebots im ersten Halbjahr 1995 waren:


Panait Istrati mit 14 Titeln
Joseph Roth mit 7 Titeln
Oskar Maria Graf mit 6 Titeln
Bertolt Brecht mit 4 Titeln
Günter Grass mit 4 Titeln
Peter Härtling mit 4 Titeln
Klaus Mann mit 4 Titeln
Isabel Allende mit 3 Titeln
Günter de Bruyn mit 3 Titeln
Gabriel García Márquez mit 3 Titeln
Lion Feuchtwanger mit 3 Titeln
Ismail Kadare mit 3 Titeln
Nagib Machfus mit 3 Titeln
Thomas Mann mit 3 Titeln
Virginia Woolf mit 3 Titeln.

Bei den Sachbuch-Autoren lagen


Arthur Schopenhauer mit 7 Titeln
Wolfgang Bittmann mit 3 Titeln
Brigitte Fugger mit 3 Titeln
Friedrich Nietzsche mit 3 Titeln
Wolfram Siebeck mit 3 Titeln
Hans Breuer mit 2 Titeln
Ernst Engelberg mit 2 Titeln
Hans-Ulrich Wehler mit 2 Titeln

an der Spitze. Die meisten dieser Titel stammten aus den Sachgebieten Philosophie, Natur & Umwelt, Essen & Trinken, Reisen, Neuzeit und Neue Deutsche Geschichte.

(Vorabdruck aus dem Manuskript „Der deutsche Buch- und Taschenbuchmarkt 1945-1995“ . d.Red.)

1 Wissenschaftliche Buch-
gesellschaft Darmstadt
1949-1974. Eine kurze
Darstellung der fünfund-
zwanzig Jahre, Darmstadt
1974, S. 12.
8 Bertelsmann AG steigert
1994/95 den Umsatz um 11,7 %
auf 20,6 Milliarden DM... In:
Buchreport, Nr. 38,
21. September 1995, S. 41.
2 Ebenda. 9 „Auf dem Weg zum globalen
Medienhaus“ . Bertelsmann-
Geschäftsbericht 1994/95,
S. 22.
3 Zusammengestellt nach
Eduard Schönstedt: Der
Buchverlag. Geschichte,
Aufbau, Wirtschaftsprinzipien,
Kalkulation und Marketing,
S.103.
10 „Multimedia nicht ohne
Buch“ . In: Börsenblatt für den
Deutschen Buchhandel,
Nr. 96, 1. Dezember 1995, S. 8.
4 Peter Kliemann: Buchgemein-
schaften, S. 139.
11 Neun Monate nach der
Einigung über das „Potsda-
mer Abkommen“ : Der
Bertelsmann Club steht
erneut im Kreuzfeuer der
Branchenkritik. In: Buch-
report, Nr. 14, 4. April 1996,
S. 34.
5 Siehe Bertelsmann Club.
Deutsche Buch-Gemeinschaft.
EBG Buch & Musik
April-Mai-Juni 95, Rheda-
Wiesenbrück 1995, S. 2-7.
12 Bertelsmann Buchclubs.
Zahlen-Daten-Fakten, Stand:
April 1995, S. 5.
6 Die Welt bewegen... Bertels-
mann lesen-hören-sehen,
S.6.
13 Büchergilde April-Mai-Juni
1995, Frankfurt am Main 1995,
S. 36.
7 Bertelsmann lesen, hören, se-
hen. Geschäftsbericht für das
Geschäftsjahr 1. Juli 1989 bis
30. Juni 1990, S. 15.
   


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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