Eine Annotation von Bernd Hahlweg
BERLIN zwischen den Zeiten
Optik des Umbruchs
fotografiert von OSTKREUZ.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1996

Ihr Name ist heute bekannter als die neun Fotografen selbst: OSTKREUZ. Im Jahr der deutschen Einheit im Ostteil Berlins gegründet, hat sich die Agentur mit Ausstellungen, Bildberichten und Büchern einen Namen gemacht. Vom Tempo ihrer Stadt und den Umwälzungen herausgefordert, erweist sich OSTKREUZ auch als ein Bildchronist Berlins. Das neue Buch zieht in eigener Sache Bilanz, BERLIN zwischen den Zeiten.

Auch dieses Fotobuch kommt im Begleittext nicht ohne philosophisch angehauchte Sentenzen aus, gepaart mit pseudo-feuilletonistischen Verrenkungen, die leider zum Markenzeichen vieler Bildbände geworden sind. Neben einigen klugen, gut formulierten Sichten verstreut Autor Klaus Hartung viele Zitate und Fragesätze. Zum Symbolgehalt der Bilder noch mal Symbole in Worten. Ich hätte mir lieber Beobachtungen und Begegnungen eines Spaziergängers gewünscht, statt Gedanken-Blicke aus einem zu weiten Fenster mit halbgeschlossenen Jalousien.

Auf vielen Fotos schauen Betrachteraugen durch Gitter, über Brüstungen, zwischen Betonkerne. Eine stehende Abordnung von Herren in Rückenansicht blickt zur Grube des Geschehens am Potsdamer Platz (von Harald Hauswald). Die Moderne wächst sich aus. Neue Horizonte und wechselnde Kulturen. Nonnen mit weißen Leinenhauben im Gleichschritt zu Christos eingepacktem Reichstag, lebenslang Verhüllte bei der Verhüllungsschau (von Georg Schönharting), Schafwollezupfende türkische Frauen im „Mauergarten“ am einstigen Todesstreifen. Unkrautzupfende Rotarmisten am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten. Tango-Tänzer im Roten Salon des ehemaligen Grandhotels Esplanade am Potsdamer Platz (von Ute Mahler). Und auch Zeitloses, wie die märchenhafte Innenansicht eines alten „Wolga“ -Wagens in Prenzlauer Berg (von Sibylle Bergemann). Auf dem letzten Bild schaukelt ein Mensch im Bungee-„Super Swing“ unterm Abendhimmel überm Potsdamer Platz (von Jens Rötzsch). Berlin wohin? Fast alle Motive wurden mit dem Weitwinkel aufgenommen, wollen in ihrer Struktur, Stimmung und ihrem oft besonderen Licht auf großen Seiten wirken. Doch die bietet das Mittelformat-Buch nicht. OSTKREUZ-Fotografen werden weiter in Berlin mit der Kamera „sammeln“. Es bleibt zu hoffen, daß nach einigen Jahren ihre Auswahl in einem großen Band erscheint.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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