Eine Rezension von Wolfgang G. Schwanitz

„Familienbetrieb Saudi-Arabien“

Uwe Pfullmann: Politische Strategien Ibn Sauds beim Aufbau
des dritten saudischen Staates.
Leipziger Beiträge zur Orientforschung Bd. 8, herausgegeben
von Günter Barthel.
Peter Lang Verlag, Frankfurt/M., 1996, 570 S.

Auf- oder Abbau Saudi-Arabiens nach dem Zweiten Weltkrieg, diese Frage stellt sich nach den Hintergrundberichten zum Bombenanschlag auf ein dortiges Gebäude des Militärs der USA. Denn eine Kette ähnlicher Gewalttaten durchzieht die Geschichte des Reiches der Heiligen Stätten des Islams. Dabei hoben die Gegner des Königshauses 1979 sogar an, maßgebende islamische Heiligtümer in Mekka erobern zu wollen.

Noch konnten die Königsgarden innere Übergriffe abwehren, die äußeren Bedrohungen freilich nicht. Auch daher stehen US-Truppen seit 1990 im Kernland der Arabischen Halbinsel, gilt es doch, Überfällen vorzubeugen, die etwa seitens des Iraks als möglich erschienen. So wirkt der dritte saudische Staat zerbrechlich. Im Lichte der jährlichen Pilgerzüge nach Mekka und Medina sowie der weltwirtschaftlichen Einbettung reifen Fragen nach dem modernen Saudi-Arabien in jener Gründerzeit zwischen den Weltkriegen, als die Monarchie, wie ihr Staatsname verrät, eine Persönlichkeit prägte.

Die Söhne Ibn Sauds, des Staatsgründers von 1932, treten ein wechselvolles Erbe an. Es ist, wie nunmehr der Arabist und Historiker Uwe Pfullmann aufzeigt, im ersten als auch im zweiten saudischen Staat, 1744-1818 und 1821-1891, dreifach bestimmt. Abd al-Aziz I. Ibn Muhammad Ibn Saud versucht den Islam zu erneuern. Er erobert den Nagd 1786 und befestigt den ersten saudischen Staat nach puritanischen Lehren des Muhammad Ibn Abd al-Wahhab. Allein dies währt kurz, denn aus dem nahen Ägypten unterwirft Muhammad Ali die Gebiete bis 1818, so daß der erste saudische Wahhabitenstaat untergeht. Im Kampf der Stämme zum einen und der Städter und Nomaden zum anderen setzt sich Faisal I. Ibn Turki 1844 im Nagd durch. Vierzig Jahre darauf ergreifen Shammarstämme unter Muhammad Ibn Rashid die Macht. Als sie durch Ibn Saud 1902 aus Ad-Dariya verjagt werden, kommt das moderne saudische Staatswesen auf. Von London 1915 anerkannt, endet diese Staatsgründerzeit mit dem „Königreich Saudi-Arabien“ am 23. September 1932.

Nicht bloß Religion, Stämme oder lokale und regionale Mächte prägen die Landesgeschichte. Erdöl, seit 1938 gefördert, belebt das industrielle Gewerbe in Europa, Nordamerika und alsbald in Japan. Prägt Politik zuvor das Ringen von lokalen und regionalen Kräften, so wächst dem Königreich alsdann mit dem flüssigen Gold eine weltweite Rolle zu. Die saudische Politik, die infolge der Heiligen Stätten des Islams bereits zuvor die islamischen Erd-regionen erreicht, erfährt nun ihren weltwirtschaftlichen Unterbau, den der sogenannte Petrodollarstrom auf vielen Gebieten befestigt.

Ob Allahs Fluch oder Segen, diese Moderne bricht in das Reich der Stämme vor der Erdölära ein. Wie der Band gleichwohl anhand der deutsch-saudischen Beziehungen anzeigt, kommen beide Seiten einander Mitte der 20er Jahre näher. Indes die Weimarer Republik neue Märkte erschließt, liegt den saudischen Herrschern an einer auswärtigen Bestätigung ihres jungen Staatswesens. Es ist jene Periode, in der das Auto die Halbinsel erobert und das Kamel als Transportmittel zu verdrängen beginnt. Britische Automobile, darunter „24sitzige für die Königsgarden“, und deutsche Wagen wie „Opel“ und „Daimler-Benz“ führen saudische Einfuhrlisten an. Eisenbahnpläne werden geschmiedet, so daß der deutsch-saudische Freundschaftsvertrag vom 26. April 1929 rasch mit Leben erfüllt wird. Freilich zählen zu den ersten deutschen Lieferungen danach Waffen.

Es wird symbolisch, daß „Amerikaner mit ihrem geländegängigen ,Ford‘“ den Europäern in Saudi-Arabien Konkurrenz bereiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfen die USA ihre Sonderbeziehungen zum Königshaus unter Saud IV. Ibn Abd al-Aziz. In seiner Amtszeit folgen bis Mitte der 60er Jahre gemeinsame Projekte, die sich in einer modernen Infrastruktur niederschlagen. Umgekehrt wachsen saudische Anteile in Nordamerika, so daß sich Firmen der Länder vor allem im Finanzbereich verzahnen. Das erhärtet die spezielle US-Interessenlage im Wüstenreich, deren Streitpunkt die Politik Israels im Nahostkonflikt wird. Zwar versuchen die Könige Faisal und Khalid, die US-Politik in Nahost zu beeinflussen, zumal in den 80er Jahren die Nachbarn Irak und Iran Krieg führen, jedoch legt erst König Fahd 1982 einen Plan vor, der Palästinenser und Israelis befrieden soll und zur Aktionsbasis der Arabischen Liga wird.

Was kann der Leser über Saudi-Arabien seit den 80er Jahren erfahren? Nicht alle Bewohner, führt Uwe Pfullmann aus, lieben das Königshaus. Gewinne aus dem Erdölboom kämen vor allem der Königsfamilie zugute, wohl 20 000 Menschen. Sie lebten im Luxus. Unter ihren rund 3 000 Prinzen hätten 150 Ämter inne, davon 20 mit Entscheidungsgewalt. Im Familienrat fielen Hauptbeschlüsse. Die Königsfamilie gliedere sich in Zweige, so Al Thunaiyan; Ibn Galwi; Saud al-Kabir; Abdallah Ibn Turki und der alles bestimmende Zweig Faisal Ibn Turki. Parteien und Gewerkschaften seien verboten. Opposition käme aus der Armee und aus der Luftwaffe. Hingegen zählten zu den treuesten Stützen der Al Saud die Nomadenstämme, aus deren Reihen sich die Nationalgarde unter Kronprinz Abdallah als Gegengewicht zur regulären Armee bilde. Der Kronprinz stamme mütterlicherseits von dem al-Shammar-Stamm ab.

Zur „Zukunft der reichsten Erdölmonarchie“ schreibt der Autor, gerade von einer Forschungsreise aus Saudi-Arabien heimgekehrt, ein Millionenheer von Gastarbeitern erledige die Dreckarbeit, indes europäische und amerikanische Spezialisten die Kopfarbeit leisten. Selbst verteidigen lasse man sich, denn die Ölmilliarden erlaubten dies. Die Al Saud, gehaßt von den Bewohnern der armen arabischen Staaten, trügen nach außen ihren Fundamentalismus zur Schau, doch innen verfalle der wahhabitische Islam. Noch habe der zwanzigtausendköpfige Familienclan alles im Griff. Die nötige Reformierung des politischen Systems werde hinausgeschoben. Im März 1992 sei ein Dekret zum Grundgesetz erlassen worden, das eine neue Thronfolge regele. Demnach dürfe der Kronprinz nur so lange nach dem Ableben des Königs herrschen, bis unter den 500 Prinzen als Enkel Ibn Sauds ein neuer Herrscher gewählt worden sei.

Der Verfasser wertete für die Zeit vor und zwischen beiden Weltkriegen deutsche und britische Akten aus. Hierbei entkommt er einigen Zerrbildern zum „Familienbetrieb Saudi-Arabien“. Doch wird deutlich, Islam ist als dortige Alltagskultur viel zu wenig erforscht. Denn sowohl Ja wie Nein zum König als der einen Identitätsfigur kleiden sich in diverse Religionsbewegungen, so daß damit ein Aus-, Um- oder Abbau des Königtums und des dritten Staates einhergehen kann. Wie das Buch erhellt, sind es durchaus offene Prozesse.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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