Eine Rezension von Friedrich Schimmel

Aufbruch der Kunst aus Trümmern

Markus Krause: Galerie Gerd Rosen
Die Avantgarde in Berlin 1945-1950.
ARS Nicolai, Berlin 1995, 224 Seiten

Ein Vierteljahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eröffnet der Galerist Gerd Rosen am 9. August am großenteils zerstörten Kurfürstendamm - zwischen Fasanen- und Uhlandstraße - die erste Nachkriegsausstellung mit Bildern, die noch vor kurzem als „entartet“ diffamiert worden waren. Was die einen feiern und genießen, bereitet anderen, die den Schutt der nationalsozialistischen Herrschaft noch nicht gänzlich abgeschüttelt haben, einen Schock. Dennoch: Die Galerie Rosen wurde für Künstler und ihre Freunde über Nacht zum Zentrum der Moderne in Berlin. Der Maler Heinz Trökes war erster künstlerischer Leiter der Galerie, und sein Text eröffnet dieses in jeder Hinsicht schöne und gelungene Buch mit einer Erinnerung an jene Aufbruchzeit: „Es war eine unglaublich aufregende und turbulente Zeit, damals im zerstörten Berlin vor nunmehr genau fünfzig Jahren. Wir alle, Künstler und Kunstfreunde, warfen uns nach dem lange erwarteten Ende des Krieges mit voller Kraft ins Geschehen. Trotz des Elends um uns herum waren wir glücklich, nun endlich loslegen und unserer Phantasie, unseren Ideen freien Lauf lassen zu können.“

Überschäumende, mitunter auch durch alte oder neue Kritikaster irritierte Aufbruchstimmung durchzieht dieses Buch. Der Herausgeber und Autor Markus Krause war von seiner Arbeit nicht minder besessen als einst die Künstler inmitten der Ruinen. Und er hat dokumentarisch gute Quellen erschlossen, seine Details stimmen und überzeugen. Zur einzigen Maxime erhob die Galerie Rosen seinerzeit das Prinzip der weitestgehenden künstlerischen Offenheit. Nazis schieden aus, aber es sollte auch kein zusätzlicher Ismus kreiert werden, das „Reich der Fantasie“ sollte leben. Neben den zeitgenössischen jungen Künstlern wurden auch die einst verfemten ausgestellt. Unter ihnen so klangvolle Namen wie Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz. Gepflegt wurde ein pluralistisches Kunstverständnis, das hieß, neben dem spezifisch berlinischen „Nachkriegssurrealismus“ auch andere, reduktionistische oder üppig ausschweifende Stilrichtungen.

Zunächst blickt der Betrachter des Buches, noch bevor er zu blättern begonnen hat, auf das Bild „Berlin am Meer“ von Werner Heldt. Das Bild, sorgsam reproduziert und auf den Einband aufgeklebt, wurde 1946 gemalt. Es verrät nichts von den Wunden des Krieges: eine gefaltete Kulisse farbiger Wände vor Altberliner Häusern, daneben ein Denkmal auf unregelmäßig geschnittenem Platz. Berlin? Ja. Bis auf das aus Dünen aufragende Boot, ein überraschend visionär-graziles Gefährt. Ein poetisches, ein symbolisches Bild. Werner Heldt, der für Generationen von Malern nach dem Krieg zum Vorbild wurde, hat einmal gesagt, als er Berlin nach dem Krieg durcheilte, jetzt sei Berlin wirklich eine Stadt am Meer.

Das Credo der Phantasten war und ist: Was man träumt, das soll man malen. Expressiv und bizarr sind die Bilder von Ernst Wilhelm Nay, nüchterner und in sich ruhend hingegen die vegetativ-kreatürlichen Skulpturen des Bildhauers Karl Hartung. Das Buch berichtet sehr atmosphärisch und durchgehend authentisch von der Begeisterung und vom Widerspruch, der die Ausstellungen und Diskussionen begleitete. Heinz Trökes versuchte das Für und Wider einer „Fantasten“ -Ausstellung Anfang 1946 ironisch so zu erklären: „Vor unseren Bildern braucht keiner strammzustehen, wir standen auch nicht vor der Kunst der letzten zwölf Jahre stramm.“ Übelgelaunten Neinsagern versuchten die Künstler, mitunter intensiv pädagogisch, die Augen zu öffnen, ob sie viele der „im trüben fischenden Philister“ auf ihre Seite bringen konnten, bleibt ungesagt. Zu den Philistern im Westen der Stadt gesellten sich schon bald die Verfechter der Formalismus-Debatten aus dem Osten. Einer schrieb: „Kein Zweifel, diese Kunst spiegelt die Absurdität einer Welt, in der die stolzesten Triumphe der erkennenden Vernunft der Fabrikation von Atombomben dienen, in der es durchaus für logisch gilt, die Lokomotiven mit Getreide zu heizen und die Kartoffeln mit Petroleum zu begießen, während Millionen hungern.“

Daß die Galerie Rosen nach drei Jahren ihre große Zeit nicht mehr hat, ist nicht allein solchem Demagogengewäsch geschuldet. Inzwischen wurde in Berlin nicht nur die politische, sondern auch die künstlerische Spaltung deutlich. Der Kalte Krieg überschattete vieles. Während die kulturpolitischen Machtkämpfe anfangs noch in der ganzen Stadt ausgefochten wurden, verlagerte sich deren radikaler Diskurs später ganz in den Ostteil der Stadt. Der Galerie Rosen machte zudem die Währungsreform zu schaffen. Überwog anfangs der Hunger nach geistiger Nahrung, verdrängten nun materielle Güter und deren Beschaffung Kunst und Kultur.

Im Rückblick bleibt die Intensität jener Jahre lebendig. Die Bilder, Zeichnungen, Biographien, Publikationen, Pressestimmen und Photographien machen die Galeriearbeit noch einmal gegenwärtig. Der durchgehend analytische Text von Markus Krause macht das Buch gleichermaßen anschaulich und gut lesbar. Dieses Buch basiert auf seiner Magisterarbeit, mit der er das Studium der Kunstgeschichte 1993 abschloß. Bestechend der Ton der Unvoreingenommenheit. Liebe zur Kunst und Kenntnis ihrer Prozesse, Gegenständlichkeit und Abstraktion haben eine lebendige Edition zustande gebracht, die heutigen Debatten und Schaustellungen von Kunst oft fehlt. Noch einmal kann sich der Betrachter und Leser in die Zeit der Anfänge versetzen. Er wird vielen Namen begegnen, die einmal Furore machten, inzwischen aber vergessen sind. Durchgesetzt bis auf den heutigen Tag haben sich hingegen Künstler der einstigen Galerie Rosen, deren Arbeiten in den Museen und Galerien dieser Stadt zu sehen sind. Ich nenne hier nur Karl Hartung, Bernhard Heiliger, Willi Baumeister, Werner Heldt, Hannah Höch, Heinz Trökes und Ernst Wilhelm Nay. Sie haben Kunstgeschichte geschrieben und sind in einem Band vereinigt, der nicht nur den älteren Erfahrung, sondern den immerfort Jüngeren Anregung bieten kann.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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