Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold

Tödliches Computerspiel

Cole Perriman: Die Stunde des Clowns
Deutsch von Rainer Schmidt.
Marion von Schröder Verlag, Düsseldorf 1996, 527 S.

Los Angeles, USA. Ein ebenso reicher wie gutaussehender Mann Ende 50 wird nachts in einem Hotel ermordet. Unversehens, auf dem Flur, direkt vor einer Fahrstuhltür. Als ihm blitzschnell die Kehle durchgeschnitten wird, erkennt er ein Gesicht - nein, die bunte Maske eines Clowns. „Eine rote Flüssigkeit sprüht rhythmisch aus seinem Hals. Ein rumpelndes Geräusch aus seiner Lunge begleitet die Fontäne. Der Mann ist für kurze Zeit entzückt von der orgiastischen Wildheit dieses Spritzens. Aber dann greift er sich unbeholfen an die Kehle, seine Finger können den jubilierenden, pulsierenden Quell nicht verstopfen. Seine Gedanken beginnen zu stammeln.“

Die beiden Autoren, Frau und Mann, die sich pseudonym Cole Perriman nennen, haben viel Vorstellungskraft, auch Phantasie genannt. Ja, so könnte ein derart schwer verletzter Mensch in den Sekunden vor seinem Exitus reagiert und empfunden haben. Solche Beschreibungen sind nicht neu, werden gern als Einleitung von reißerischer Literatur genommen, bleiben offenbar beliebt bei Büchermachern und Bücherlesern. Diese empfinden dank ihrer eigenen Vorstellungskraft ein heimlich Grugeln à la Morgenstern, und jene dürfen sich vor Widerspruch sicher fühlen: Überlebt hat seinen Tod noch niemand, zuverlässige Eigenberichte über ihn fehlen.

Cole Perrimans Phantasie erweist sich als geradezu blühend, was die Fabel ihres Buches betrifft. Sie ist gewissermaßen computergestrickt. Der Mord im Hotelflur ebenso wie ein alsbald folgendes Verbrechen - eine Journalistin wird nach der Einweihungsparty für ihre neue Wohnung in der Badewanne ertränkt, und wieder erscheint die Clownsmaske - werden nämlich jeweils 24 Stunden später in einem Network verblüffend ähnlich nachgespielt. Was dort, im Hotel und im Badezimmer, von Menschenhand tatsächlich ausgeführt worden ist, wird hier, auf dem Bildschirm, durch eine Clownsfigur reproduziert, alle Details der Mordszenerie stimmen überein. Die Figur nennt sich Auggie und ist keineswegs ein dummer August, sondern ein raffinierter Unhold, der mit Entsetzen Scherz treibt. Wer sich per Kreditkarte in dieses Network einkauft, kann Auggies Untaten als Zuschauer miterleben und mit dem Clown auch virtuell kommunizieren. Dabei kommt einer Teilnehmerin der Verdacht, der Clown könnte nicht nur die Morde nachspielen, sondern sie auch auf unerklärliche Weise selbst inszenieren. So setzt sich - unter Beteiligung der Polizei von L.A. - ein Netzwerk kriminalistischer Ermittlungen von Laien und Profis in Gang.

Selbstverständlich haben die Programmierer dieses kommerziellen Angebots noch viel mehr auf Lager. Sie laden in ein großes Haus mit vielen Räumen ein. Die Palette reicht von der Bar, in der man trinkt und quatscht, über das unverzichtbare Spielkasino bis zum Garten der Lüste, in dem man sich nicht mit „gewöhnlichem Verbal-Entertainment“ zufriedengibt, sondern „komplette Animationen“ seiner eigenen „sexuellen Interaktionen“ haben kann, sprich durchführen darf. So die Ankündigung der Betreiber dieses Programmteils, in dem Network-Sex in allen Varianten vorgeführt und „volle Teilnahme“ ermöglicht wird. Erfüllen Sie sich alle Ihre Wünsche - der Computer-Lustgarten macht's möglich! Auf dem Bildschirm. Wer an Schlaflosigkeit leidet und die Computerspiel-Manie hat oder bekommt, findet hier jede Nacht eine mehr und mehr faszinierende Unterhaltung, bei der Schein und Sein allmählich ineinander übergehen. Insomnimania ist der bezeichnende Name dieses Netzwerks der unbegrenzten Möglichkeiten, in das man von Cole Perriman eingeführt wird.

Die Autoren bringen das Kunststück fertig, dem Leser diese unwirkliche Welt zu erschließen (was von ihm einige Aufmerksamkeit erfordert) und dabei die reale Handlung nicht schleifen zu lassen. Diese bewegt sich - selbstverständlich mit einigen retardierenden Momenten - auf das Ende des bösen Spiels zu, ohne daß Langeweile aufkommt. Zum Schluß gibt's noch ein lebensgefährliches Spektakel mit viel Feuer und Rauch, doch die Guten bleiben siegreich und werden so happy, wie sie es verdienen. Die Heldin der Geschichte, die sich wegen ihrer ertränkten Freundin auf Auggies Spur setzt, und der mit den Mordfällen befaßte Polizist sind schon zuvor ein liebend Paar geworden. Das Buch bedient eine Reihe von Klischees, ohne in Penetranz zu verfallen. Es ist passable Unterhaltungsliteratur, aber da gibt es noch eine Komponente, die Gewinn verspricht. Dem Leser wird - in die originelle Story verpackt - eine psychische Seite der Computernutzung vorgeführt, die ihm ansatzweise vielleicht schon aufgefallen ist oder noch begegnen könnte: Die am Bildschirm gebotene Unterhaltung kann süchtig machen und zu Realitätsverlust führen. „Als ob die Welt des Computers irgendwie in die Wirklichkeit einsickert„ , heißt es an einer Stelle; es ist die subjektive Empfindung einer der menschlichen Figuren des Buches, die das Gefühl bekommt, mit den virtuellen Figuren zu verschmelzen, sie zumindest wie reale Wesen zu erleben. Vielleicht wollen die Autoren mit ihrer Veröffentlichung nicht nur Geld machen, was legitim ist, sondern auch vor einer Entwicklung warnen, was durchaus ehrenwert ist: warnen vor dem Austausch der Realität gegen die Imagination, ähnlich wie es durch eine Droge geschieht.

Keine Frage, daß Computerspiele süchtig machen können, und wer sich - wie geschildert - von Auggie vereinnahmen läßt, wird einen realen Mord wie ein notwendiges lustvolles Vorspiel zum Computerspiel begehen. „Die Stunde des Clowns“ jedenfalls zeigt dies als Möglichkeit, fiktiv zwar, doch denkbar in einer durch Hochtechnologie sich unaufhaltsam verändernden Welt, in der Computer und Bildschirm auch als Droge ihren Platz haben werden, ob in der Wirkung soft oder hard wird sich noch zeigen.

Die Stunde des Clowns jedenfalls macht nachdenklich. Da die mutmaßliche Warnung vor dem Verführer Bildschirm aber in eine lesbare Geschichte verpackt ist, wirkt sie nicht aufdringlich und läuft keineswegs dem Zweck einer solchen Literatur zuwider, mit Spannung zur Entspannung beizutragen. Das Buch ist mit einigen Überlängen an Computerphilosophie belastet, über die der flotte Verlauf der Handlung aber hinwegtröstet. Es setzt Grundwissen über PC voraus, das jeder interessierte User haben dürfte. Der Freak wird von dem Gebotenen zweifellos angetan sein. Mal ein unterhaltsames Buch aus seinem Milljöh!

Riecht es auf dem Büchermarkt schon nach neuen Auggies und anderem verbrecherischen Network? Noch ist das weite Feld des Computerkrimis nicht übermäßig beackert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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