Eine Rezension von Helmut Hirsch

In der Arena des Sprachakrobaten

Bert Papenfuß: routine in die romantik des alltags
Gedichte.
Mit Zeichnungen von Helge Leihberg.
Gerhard Wolf janus press, Berlin 1995, 77 S.

Bert Papenfuß-Gorek (Jahrgang 1956) hatte in der DDR mit der Vorzensur Ärger. Von einigen Gedichten in Anthologien abgesehen, erschien sein erstes Buch „dreizehntanz“ erst 1988 im Aufbau-Verlag. Inzwischen hat der damalige Herausgeber Gerhard Wolf mit janus press seinen eigenen Verlag und ediert die Dichter, denen er sich couragiert einst in dem verdienstvollen Forum „Außer der Reihe“ zuwandte.

Karl Mickel hat, das sprachakrobatische Talent dieses Dichters früh erkennend, Papenfuß einen „Meister nicht-syntaktischer Grammatik“ genannt, und der Wiener Ernst Jandl rühmte vor Jahren, hier ist einer, „der die Düsterkeit unseres historischen Augenblicks in Versen von hoher Originalität festhält, einschneidend und herausfordernd wie experimentelle Poesie“.

Wer den opulenten Band routine in die romantik des alltags in die Hand nimmt, muß erst einmal den schwarz-roten Pinselhieben Helge Leihbergs ausweichen, um an die vergleichsweise verschwindend klein gedruckten Gedichte zu gelangen. Alles ist Absicht, alles ist anders. Das Schriftbild: nicht dudenkonform, die Syntax: wie von gewittrigen Winden zerborsten. Auch die Grammatik will in andere Richtungen: Schon im Titel vermutet der flüchtige, der herkömmliche Leser statt des „die“ ein „der“. Doch der Leser irrt, wenn er glaubt, er werde hier in die Irre geführt. Es muß nicht gelesen und gleich verstanden werden, was gedruckt vorliegt. Der Leser muß aktiver Teilnehmer sein. Und was bei ihm aktiviert wird, schreibt der Dichter Papenfuß nur unvollständig vor. Sein Sprechen ist frech, gewiß noch frecher, als es einst die Szene am Prenzlauer Berg sein wollte. In der Zentrifuge des Wort-Artisten wird „Sinn“ zu Un-Sinn, aber: Es zerplatzt hier der Schein-Sinn vergeblicher Realität. Und das kann ganz schön heftig knallen. Feuerwerke leuchten auf, Umgangssprache und Jargon, Kürzel aus Politik und Reklame brechen als provokante Partikel in den Vers ein, der eigentlich mehr entsteht, als daß er „fertig“ wäre. Die fünf Kapitel des Buches geben die Montiermethode des Dichters vor, es beginnt mit „tendenzlyrik“, geht zu „finanzlyrik“ und „brisanzlyrik“, landet bei „militanzlyrik“ und endet mit „bilanzlyrik“.

Reiz- und Schlagwörter stehen fremd und neu zwischen verbrauchten, abgenutzten Floskeln, die durch veränderte Buchstaben an etwas erinnern und auf eine neue Seite des Textes gerichtet sind. Nichts soll erkannt oder benannt werden, aber im Hintergrund schimmert doch „alte“ Bedeutung durch. Der Stotterklang klingt so: „glättechaos / börsenverlust / faustfeuerwaffen / gewaltüberschattung / drastische wetterwende / operation, dann gesund.“ Im nächsten Vers prallen Kleinbürgermief und politische Phrasen aufeinander: „reifes mädel, eingeschlagene schädel / schwippschwager, schweigende mehrheit / konterpropagandist, eherner kolumnist.“ Im letzten Vers wird die Art der verschobenen Bedeutungen in diesem lyrischen Verfahren, das mit Willkür arbeitet, am deutlichsten: „ich erfahre, indem ich gestört werde / dann lege ich hand an & erfülle das buch / & dann kommt der böse gott & macht daraus / kompost.“

Kompost, ein Wort, das mehrfach vorkommt, und an dessen Erzeugung der Leser hier unmittelbar teilnehmen kann. Doch was auf diesem Kompost einst blühen wird, bleibt ungesagt, denn, ramponiert von reichlich erlittenen Entbindungen, sucht die durch die Arena des Akrobaten gehetzte Sprache nach Haltepunkten. Sie tut das vielleicht sogar gegen den Willen des Dichters, der nicht wissen kann, wie dem Leser zumute ist, der ja zumeist auch ein Leser seiner Erfahrungen und Assoziationen ist. Es gibt aber auch leichtere Texte. Der Band beginnt überhaupt sehr vertraut mit einem „durchknall“. Es tönt nach üblicher Weise: „geflissentliche pistolenschüsse / an der DeMarkationslinie“, denn hier „geht es doch wohl darum / einen möglichst saftigen / kompost abzugeben allhier“.

Selbstredend ist auch Ironie im Spiel, im Gedicht „breites volk auf schmalem grat“ heißt es: „was texten wir einander zu / ausgekaspert & abgekanzelt / seid ihr denn homosexuell / mach hinne, jetzt aba schnell / ohm aufm roß & hinten im troß.“

Die Texte erinnern an heftige Filmausschnitte, an überlagerte Bilder, der Ton stammt aus einer anderen Gegend, während die „börse knickt, DAX runter, waffen schweigen / von den tätern in NVA-kampfanzügen / & clownsmasken fehlt jede spur“. Auch der „einheitsbrei“ breitet sich aus und im Gedicht „woher & wie weiter“ schleicht sich eine Art Selbstzweifel ein: „nirgendwoher - nirgendwohin / genausoviel wie: daher - dorthin / ebensoviel wie: dorther - hinfort / werde ich verloren gehen, oder verlustig / schreibe ich die gedichte, oder die gedichte mich / ... / die poesie: versetzt fühle ich mich / verloren bin ich / & aufgehoben / das entsetzen zieht sich hin / dranbleiben muß ich schon.“

Der Leser wird nicht an jeder artifiziellen Sprach-Blase dranbleiben, denn die Gedichte drehen sich in konzentrischen Figuren um ihre eigenen Reizwörter. Spielen auch ganz banal gegen eine Erfahrung den strapazierten Nonsens heraus: „warten macht frei“ oder „der himmel hängt voller quitten“.

Was gibt es noch? Guten Rat für alle Zeiten: „von der größe & macht seines gefoppten geistes / kann der genarrte mensch nicht groß genug denken.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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