Eine Rezension von Irene Knoll

Bella goes East

Doris Gercke: Ein Fall mit Liebe
Hoffmann und Campe, Hamburg 1994, 224 S.

Es bedarf schon einer ausgeprägten lyrischen Ader, um die Spurenelemente dessen, was uns der Titel ankündigt, im Text wiederzufinden. Der Protagonistin Bella Block darf man sie getrost zutrauen. Großväterlicherseits - Alexander Blo(c)k - bereits mit der Muse der russischen Dichtkunst ausgestattet, ist ihr Persönlichkeitsbild seitens der Revolutionärin und verdienten Spanienkämpferin mütterlicherseits - Olga Block - komplettiert worden. Während also „Liebe“ im vor uns liegenden „Fall“ ein allenfalls transzendentes Dasein fristet - von einem kurzen „Schäferstündchen“ einmal abgesehen -, so hebt sich der Roman damit gleichzeitig wohltuend ab von jener Sorte Sex & Crime, die mal mehr, mal weniger penetrant die „Bettarbeit“ der kriminalistischen Tätigkeit integriert.

Die „Wende“ ist nun schon drei Jahre alt und beginnt schon zu laufen. Auf ein Ziel zu allerdings, das von dem der Geburtshelfer von damals stets mehr abweicht. Winter ist es, trist und grau allerorten. Eine Mutter vermißt ihre Tochter und erteilt der ehemaligen Kriminalkommisarin und Privatdetektivin Bella Block einen Suchauftrag. Ihren alten Porsche gegen ein Bundesbahn-Ticket eintauschend, beginnt sie eine Reise ans Ende der Nacht, wo die Brüchigkeit jahrzehntelanger Gewißheiten immer deutlicher ans Licht kommt und ein bekanntes Pop-Art-Objekt, zum Zeichen von „Freiheit & Democrazy“ erkoren, schon Schimmel angesetzt hat. Selbstverständlich führt der „Osten“ in seinem Personal auch jenes „menschliche Elend“ in Form des unvermeidlichen Wendehalses, der die Zeichen der Zeit erkannt hat und der letzten Oma die (oder das) letzte Mark für ziemlich windige „Projekte“ aus der Tasche zu ziehen versucht. Ebenso unvermeidlich der „dickliche“ Westler, der mit elaborierterem Sprachduktus mit ebenso windigen Geschäften den Fundus seines Lebenswerkes legen will. Man kennt das schon. Dort also stochert unsere Protagonistin in altem und neuem Unrat, erfährt als Westlerin allerlei Anfeindungen seitens Ostlern aus Motiven wie „Rückgabe vor Entschädigung“ (durchaus berechtigt) oder Zechprellerei durch Westler (wenig glaubhaft). Bella will der Fall nicht schmecken, nicht zuletzt deshalb, weil die Auftraggeberin die „Nazi-Nachbarin“ ihrer „kommunistischen“ Mutter ist (was so alles unter deutschen Dächern zusammen haust!) und sie die Tochter als von ähnlichem Schlag einschätzt. Da die ständigen Wodka-Orange-Kuren die Geister nicht zu vertreiben vermögen, steigt sie immer weiter hinab in Vergangenes, bis sie bei der (gemeinsamen) jüngeren und dunklen Vergangenheit landet. Dort erfährt sie von einem Verbrechen, über dem vierzig Jahre lang der Mantel der Vergessenheit lag, und von einem (Mit-)Täter, der bis zum heutigen Tage - ähnlich dem Chamäleon - drei Wandlungen vollbracht hat. Geschichte schläft nicht ewig, sondern bricht einem Wendehals am Ende das Genick. Daß es damit den kleinen Mitläufer trifft und nicht den Haupttäter - der schon lange den Schlaf der Gerechten schläft -, stimmt einen zwar nicht froh, aber auch nicht allzu traurig.

Doris Gercke hat mit Ein Fall mit Liebe einen spannenden Roman geschrieben, ohne eines prätentiösen Jargons oder sich selbst verschlingender Handlungsstränge zu bedürfen. Die anfängliche allzu stereotype, das „p. c.“ -Klischeé überstrapazierende Charakterisierung der Mutter Olga (die vollends unwirklich wird im Kontrast zur „Nazisse“ Böhmer) setzt sich (glücklicherweise) nicht fort; die folgenden Personen (allesamt Ost-Herkunft!) werden dagegen in ihrer Gebrochenheit feinfühliger und realistischer gezeichnet. Das „Verbrechen“ ist ebensowenig „großartig“ wie der Täter, der nur den ewigen spießigen Kleinbürger repräsentiert, der, weil er es sich nur „recht machen“ will, es den jeweils Herrschenden ebenso „recht macht“.

Das mit der „Liebe“ erklärt uns Doris Gercke hoffentlich beim nächsten Mal.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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