Eine Rezension von Friedrich Schimmel

„Ich bin nicht für halbe Portionen“

Essen und Trinken mit Theodor Fontane
Herausgegeben von Luise Berg-Ehlers und Gotthard Erler.
Aufbau-Verlag, Berlin 1996, 2. Aufl., 139 S.

Der Apotheker, Theaterkritiker, Balladendichter, Romancier, Wanderer und Briefeschreiber Theoder Fontane hat schon in seinen Kindertagen den Unterschied zwischen einer „Gänseschlachtepoche“ in Swinemünde und „Berliner Milchbroten“ in Neuruppin kennengelernt. Und wer lange lebt, hat auch in dieser Hinsicht manches aufzutischen. Den Vorwurf der editorischen Ausschlachterei eines Werkes können die Herausgeber sogleich mit Fontane selbst abwehren, der am 30. September 1894 an die Tochter Mete schreibt: „Die Verpflegungsfrage ist für den Kulturmenschen eigentlich das Wichtigste.“

In den Romanen Fontanes wird gern und gut gegessen. Im „Stechlin“ werden vorzügliche Krammetsvögelbrüste in einer „höheren Form von Schwarzsauer“ serviert, in „Vor dem Sturm“ ein echtes Berliner Essen beschrieben: „... erster Gang eine große Schüssel mit Mohnpielen, daneben links ein Heringsalat und rechts eine Sülze. Alles reich gewürzt; auf dem Mohn eine dichte Lage von gestoßenem Zimt, auf dem Salat kleine Zwiebeln, die mit Pfeffergurken und sauren Kirschen abwechselten.“

Nicht nur die Geschmacksrichtungen ändern sich, auch lassen zwischen alldem neue Figuren sich genüßlich nach dem Willen des Erzählers einführen. Aber auch der Korrespondent flocht gern Gaumenfreuden in den Text ein, seine Maxime: „Ich habe eine hohe Vorstellung von der Heiligkeit der Mahlzeiten; gleich nach dem schlafenden kommt der essende Mensch.“ Das ist zwar schön gesagt, täuscht aber darüber hinweg, daß es mit den Mahlzeiten in der Mark Brandenburg manchmal etwas haperte. Der Wanderer Fontane beschwert sich gelegentlich über die Knickrigkeit der Märker, die viel Aufsehen über einen dünn servierten Kaffee machen können. Er schätzt sie als „tüchtige, aber eingeengte Leute“, die ihn auch auffordern, „Lamm und Maccaroni mit Pflaumen“ zu essen.

Im Spreewald entdeckt und lobt er die Vorzüge von Kürbis, Meerrettich und Sellerie. Wenn er bei dieser Entdeckung bemerkt, „daß unsere verschrieene Mark ein wahres Eldorado für Feinschmecker ist“, wissen alle Wanderer auf Fontanes Spuren den Wert solcher Ironie zu schätzen.

Richtig ins Schwärmen kommt er dann, wenn er zur Kur unterwegs ist, in England, Frankreich oder Belgien weilt. In den Mitteilungen des Kriegsberichterstatters Fontane nehmen Essen und Trinken breiten Raum ein.

Auch scheut er sich nicht, an der Kost der Gefangenen teilzuhaben, doch ein Nachtmahl aus sieben Gängen bietet weit größeren Genuß. Unversehens wird diese Auswahl zu einem Brevier des Gaumenberichterstatters. Der schwärmt von einem halben Hummer im Bremer Ratskeller, läßt sich nur kurz von einem Knoblauch-Kotelett schrecken, verfolgt den Weg vom Moor-Aal zum Edel-Aal und landet gar zu gern bei Krebsen und Hechten.

Der vielseitige Gourmet kennt auch den Gourmand. Nicht Fontane selbst, doch eine Figur im Roman „Frau Jenny Treibel“ wird von der Freßsucht erfaßt, ein „Frühstück mit Blindgänger“ ist natürlich ein Kriegserlebnis Fontanes. Auch ganze Wochenspeisepläne werden mitgeteilt. Fast immer Fleisch, das in eine „Hammel- und Schweinefleisch-Sphäre“ oder in eine „Rindfleischsphäre“ eingeteilt wurde. Daß gutes Essen auch in die Sphäre der Politik ragen konnte, berichtet er 1866 vom Kriegsschauplatz Böhmen aus. Es sei „für gefrühstückte Leute leicht, über Hunger zu plaudern“, zugleich gibt er hier zu bedenken, „daß diejenigen, deren Patriotismus eben von einer guten Mahlzeit kommt, nicht allzu hart urteilen sollten über diejenigen, deren Vaterlandsgefühl durch bittere Tage der Entbehrung gegangen ist“.

Fontane weiß, was ein „semmelmüder Zustand“ ist, und seiner Frau teilt er von der Kur in Krummhübel mit, daß er „kein Fresser vom Fach“ sei, aber in Berlin brauche er „das viele Schinkenfutter“ nur, um die Nerven „in einigermaßen leidlicher Verfassung zu halten“.

Und die Getränke dürfen nicht fehlen. Kaffee viel, aber keinen Milchkaffee, dafür Cognac-Kaffee, besonders bei einem „verlatschten Magen“.

Champagner weniger, Wein möglichst oft, „denn man muß etwas trinken, was einen erfrischt und nicht so verschlappert wie Wasser und Brausepulver“.

Da Fontane immer wieder die Mark durchstreifte, unterläßt er es auch nicht, ihre Bewohner stets zu kritisieren. Und ich vermute, daß auch die Herausgeber bemerkt haben, „daß in der Mark Brandenburg und seiner Landeshauptstadt eine der traurigsten Heimstätten alles dessen, was ,Gastfreundschaft‘ heißt, erkannt werden muß“. Ganz anders hingegen in London: „Kaffee und Tee, Hammelbraten und Eier, Speckschnitte und geröstetes Weißbrot machen die Runde am Tisch, und unter Essen und Trinken, Sprechen und Lachen vergeht eine volle Frühstücksstunde.“

Dieses leicht handhabbare Bändchen läßt sich bei jeder Tischgelegenheit hervorholen, es ist auch ein Vorlesebuch für Bonmotjäger. Der ernsthafte Fontane-Leser, auch jener, der es noch werden kann, wird bei dieser Ausgabe auch die Nase rümpfen, denn ebenso ließe sich ein Brevier über „ruppige“ deutsche Verleger, über Maler und Autoren, über Frauen und Schulden vorstellen. Modischer literarischer Eintopf. Da gerät auch gleich einmal etwas zweimal in die Schüssel. So der Brief Fontanes von der Insel Norderney, der zuerst auf Seite 38 erscheint (hier trägt er das Datum 9. August 1882), dann aber auf Seite 134 (Datum 11. August 1882 !!) schon wieder. Fontane schreibt darin: „Ich lebe hier buchstäblich von der Luft“, und da dies zugleich noch als Überschrift steht, muß befürchtet werden, daß auch dieser Mann von so viel Luft nicht leben konnte. Doch scheint mir dies Versehen Fontanes Satz zu bestätigen, der diesem Buch den Titel gab: „Ich bin nicht für halbe Portionen“, was ja auch heißen kann, Doppelbestellungen nicht ausgeschlossen. Deshalb gilt auch weiterhin Fontanes guter Rat: „Nur essen, worauf Ihr lebhaften Appetit habt, sonst lieber gar nichts.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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