Eine Rezension von Manfred Knoll

Mehr als märkischer Sand

Joachim Marcinek/Wolfgang Sadler/Lutz Zaumseil:
Von Berlin in die Mark Brandenburg
Geographische Exkursionen.
Geographische Bausteine - Neue Reihe, Heft 41
Justus Perthes Verlag, Gotha 1995, 184 S.

Man lüftet den Hut, um eine alte gute Bekannte zu begrüßen, und freut sich über Kontinuität. Die alte gute Bekannte ist die Broschürenreihe „Geographische Bausteine - Neue Reihe“ aus der Geographischen Verlagsanstalt Justus Perthes Gotha. Sie wurde vom ehemaligen wissenschaftlichen Leiter und Herausgeber, dem bedeutenden Kartographen Prof. Dr. Hermann Haack (1872-1966) noch kurz vor seinem Tode veranlaßt. Heft 1 erschien 1967. Da trug der Verlag zwar schon ein Jahrzehnt den Namen VEB Hermann Haack Verlag Geographisch-Kartographische Anstalt Gotha/Leipzig, aber nicht nur, um den verdienstvollen Wissenschaftler zu ehren, sondern auch deshalb, weil 1955 die Rechte am überkommenen Verlagsnamen an ein Unternehmen in Darmstadt übergingen. Seit 1992 trägt die (nun zum Klett-Verlag gehörende und mittlerweile 210 Jahre alte) Gothaer Anstalt wieder den Namen ihres Gründers, des Thüringer Buchhändlers Johann Georg Justus Perthes (1749-1816).

Doch zum Buch, dem 41. Titel der Reihe. Indem er Wesenszüge und Besonderheiten der brandenburgischen Landschaften darstellt und mit der Beschreibung von Exkursionsrouten durch ausgewählte Regionen dieses Bundeslandes dem Leser Einzelheiten nahebringt, will er - so das Vorwort - „informative ,Handreichungen‘ für einen breitgefächerten Benutzerkreis (geben), der sowohl am Fach Geographie als auch am Land Brandenburg interessiert ist“. Eine versteckte Warnung schließt sich an: „Da der Exkursionsführer nicht für eine enggefaßte Zielgruppe geschrieben wurde, mußte auch eine spezifische methodische Aufbereitung entfallen.“ Was das heißt, werden wir noch sehen.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Teil 1, „Rund um Berlin - durch brandenburgisches Land“, gibt in acht Kapiteln Überblicksdarstellungen zu bestimmten geographischen Phänomenen: Gletschereis und Schmelzwasser als Landschaftsgestalter; Blick unter die Ablagerungen aus dem Eiszeitalter; Wandernde Zyklonen bestimmen das Klima; Vom natürlichen Waldland zum Wirtschaftswald zwischen Äckern und Wiesen; Das landschaftsbelebende Wasser - Flüsse und Seen; Mehr als nur „märkischer Sand“ - zur Vielfalt des märkischen Bodens; Landschaftswandel und Besiedlungsgang; Das Umland von Berlin - ein besonderes Wirtschafts- und Siedlungsgebiet. Teil 2, „Exkursionen“, führt vor Ort und spürt auf 12 Routen all diesen Phänomenen nach. Der Beschreibung des jeweiligen (inhaltlichen und naturräumlichen) Exkursionszieles schließt sich die Abfolge der durchfahrenen Ortschaften mit ihren zugehörigen geographischen Fakten an; das reicht von Einwohnerzahl, Siedlungsform und -geschichte über Landschaftsform, Vegetation und Gewässer bis zu Bodenschätzen usw.

In gedrängter Darstellung erfährt man von Fachleuten eine Fülle unterschiedlichster Einzelheiten über Brandenburg, die man sonst nur in vielen Büchern verstreut findet, zum Beispiel über die Entstehung des Gewässernetzes, über die Besiedlung und ihre Auswirkungen auf das Landschaftsbild, über die Wechselbeziehungen zwischen Berlin und dem brandenburgischen Umland etwa hinsichtlich Besiedlung, Industrie, Verkehr, Naturschutz oder Tourismus. Das Buch ist eine „Stopfgans“: Jedes Kapitel quillt förmlich über von Informationen und Fakten, manche Routenbeschreibungen sind gar im Telegrammstil notiert.

Mit den gängigsten geographischen Fachbegriffen möchte der Leser schon vertraut sein (sie werden nur gelegentlich im Text, nicht aber in einem Wörterverzeichnis erklärt), das war schon aus der erwähnten „Warnung“ im Vorwort zu folgern. Manches aus der Geographen-Terminologie läßt sich von dem „breitgefächerten (!) Benutzerkreis“ aus dem Zusammenhang deuten, etwa wenn Täler „trocken fielen“ oder wenn von einer „anthropogen beeinflußten Phase“ die Rede ist. Auf keinen Fall liest sich das Buch wie ein Unterhaltungsroman, was ja auch niemand erwarten wird, sondern will mit Ruhe und Aufmerksamkeit studiert werden, dann lohnt es die Mühe reichlich.

Unterschiedlich wirken sich auf die Lesbarkeit die verschiedenen Handschriften der Autoren aus. Stellenweise hätte man sich die stilistische Hilfe eines Fachlektors gewünscht. Zwar erschließen sich die meisten Kapitel beim ersten Lesen, einzelne aber nicht. Bedauerlich, daß ausgerechnet das erste Kapitel, der Einstieg ins Buch, es dem Leser schwer macht. Ein Beispiel: „Unser Exkursionsgebiet, das nach Osten und Westen diese Zone nicht ganz ausfüllt, im Süden mit ihr abgeschlossen wird, reicht nordwärts über die Zone der Platten und Urstromtalungen in die nördlich angrenzende Südliche Vorlandzone des Nördlichen Landrückens und sogar bis in die Seenzone des Nördlichen Landrückens im Rheinsberger Becken und schließlich in die Haupthöhenzone des Nördlichen Landrückens ...“ (S. 13)

Viele Tabellen, geomorphologische Übersichtskarten, Farb- und Schwarzweißfotos, Verkehrskarten, Ortspläne und Schemata bilden eine aussagekräftige Ergänzung des Textes.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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