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Mit Currywurst
und Feuerwehr

Ein junger Verlag schafft sich sein Publikum

Herr Hopp, vielleicht sagen Sie erst mal etwas zum Werdegang des Verlages. Von Geschichte kann man ja nicht gut sprechen.

Zumindest ist es eine sehr kurze Geschichte. Ich war jahrelang in der Geschäftsführung eines bekannten Berliner Regionalverlages tätig und habe dann ein Angebot von Christoph Links angenommen, mit ihm im Links Verlag zu arbeiten. Vor anderthalb Jahren habe ich mich dann selbständig gemacht und den be.bra Verlag gegründet. Der Links Verlag sitzt ja hier im selben Haus, wir unterstützen uns gegenseitig, haben auch einen gemeinsamen Stand auf der Messe und versuchen eben, als Kleinverlage über die Runden zu kommen.

Dennoch ist es ja ein ziemliches Wagnis, einen Verlag zu gründen. Was hat Sie eventuell zu diesem Wagnis ermutigt?

Ich hab' damals die Vereinigung der beiden Stadthälften mitgemacht und habe gesehen, daß die etablierten Berlin-Buch-Verlage im Westen der Stadt sich mit der Einigung der Stadt kaum auseinandergesetzt haben. Berlin-Literatur wurde nach 89 genau so fortgesetzt wie vorher in West-Berlin, und in Ost-Berlin gab es ja keinen eigentlichen Regionalverlag. Und da sah ich für mich die Chance, mit einer Mischung von Ost- und Westautoren hier im Osten der Stadt eine Regionalliteratur zu etablieren, die sich mit den Vereinigungsprozessen der Stadt und natürlich auch mit der Vereinigung von Berlin und Brandenburg befaßt. Ich habe in den letzten Jahren eine ganze Menge Erfahrungen gesammelt. Ich hab' mir eine Liste von Themen zu Publikationen gemacht, von denen ich erwarte, daß sie in den kommenden Jahren ihre Leser finden. Die Verlagsgröße läßt ungefähr acht bis zehn Titel jährlich zu, so daß die Programmatik, die ich im Kopf habe, sich in den nächsten vier bis fünf Jahren umsetzen läßt.

Es gibt ja nun schon einige Veröffentlichungen, die auf sehr unterschiedliche programmatische Gesichtspunkte schließen lassen. Ich nenne mal so ein Gegensatzpaar wie „Currywurst“ und „Der Reichstag“ . Außerdem sieht sich be.bra ja als Verlag für Berlin und Brandenburg.

Man kann es programmatisch vielleicht so zusammenfassen: Titel wie die „Currywurst“ sollen eher die Befindlichkeit und die Mentalität rüberbringen. Der Bildband Storchenland bringt nahe, was wir hier in Berlin bisher gar nicht fassen konnten, nämlich, daß wir ein ökologisch intaktes Umland haben, daß es, aus welchen Gründen auch immer, hier in Brandenburg intakte ökologische Systeme gibt, die jetzt möglicherweise der Industrialisierung geopfert werden könnten. Oder „Berliner Treppen“ in Wohngebäuden des 17. bis 19. Jahrhunderts, die Geschichte des Treppenbaus in Berlin ist eine ganz spannende Sache, und der Band zum „Reichstag“ spiegelt eben wider, daß Berlin schon immer deutsche Geschichte geschrieben hat. In Berlins U-Bahnhöfe, das ist der Bestseller des Verlages, gehen mehrere dieser programmatischen Gesichtspunkte auf. Die U-Bahnhöfe bilden so etwas wie einen Brennpunkt, um Stadtentwicklung von verschiedenen Seiten und alltägliches Leben der Menschen in dieser Stadt konkret darstellen zu können. Jeder wohnt irgendwo in der Nähe eines U-Bahnhofs und könnte sehen, wie sich die Geschichte vor seiner Haustür entwickelt hat.

Sie wissen ja, wir machen ein Berliner LeseZeichen zum Thema „Berlin erleben“. Das ist sowohl für Berlin-Touristen als auch für Berliner selbst gedacht. Welche Titel aus Ihrem Programm würden Sie den Lesern als Lektüre nicht nur für eine Reise, sondern um sich überhaupt ein wenig aufs Berlinische einzulassen, nahebringen wollen?

Da muß ich sagen, prinzipiell erst mal alle. Aber gut, ein Titel, von dem wir erwarten, daß er eine größere Zielgruppe interessiert, ist der Titel Berliner Feuerwehr, Geschichte auf der Drehleiter oder „Auf der Drehleiter der Geschichte“ , so der Untertitel. Ähnlich wie die Berliner U-Bahnhöfe dokumentiert das Buch Berlin-Geschichte und darüber hinaus Momente deutscher Geschichte. Wie zum Beispiel die Feuerwehr im Ersten Weltkrieg nicht zum Feuerlöschen, sondern als Flammenwerfer-Kommandos eingesetzt wurde. Oder die Geschichte um den Reichstagsbrand oder den Brand am Funkturm. Oder auch die Sprungtucheinsätze beim Bau der Mauer. Das sind alles Dinge, die man auf den ersten Blick nicht mit Berliner Feuerwehr in Verbindung bringt. Für diejenigen, die die Atmosphäre historischer Gebäude anregt, dürfte das Buch über die „Charite“, ein fotografischer Rundgang durch ein Krankenhaus, eine sehr spannende Sache sein. Man kann im vorderen Teil des Buches nachlesen, was an historischen Orten passiert ist, also im Vorlesungssaal von Sauerbruch und so weiter.

Das Charite-Buch gehört zum Herbstangebot des Verlages. Wollen Sie einen kleinen Ausblick geben auf das Herbstprogramm?

Ich kann vielleicht schon mal den Kantinen-Führer ankündigen. Kantine ist ja etwas, was mit einem gewissen Degout betrachtet wird. Nun hat man in den letzten Jahren in den Kantinenküchen auch gelernt, das heißt Schneller Essen, so der Titel, ist nicht mehr unbedingt gepaart mit schlechter essen. Die Autoren, die die Kantinen dieser Stadt getestet haben, haben festgestellt, daß einige Qualitäten haben, die viele Restaurants, die durchaus als Szene-Restaurants gelten, nicht erreichen. Dem Buch ist ein Plan beigegeben, wie man diese 101 Kantinen erreicht, denn, das ist ja auch kaum bekannt, viele sind für die Öffentlichkeit durchaus zugänglich. Man kann also schnell zu einem guten Essen kommen.

Die beiden Autoren Jens Klocksin und Hans-Leopold von Winterfeld sind aus der Stadt hinaus ins Brandenburgische, bis hoch ins Mecklenburgisch-Vorpommersche, gegangen, dort wird aus der Ucker die Uecker. Und den Geschichten um die Ucker und die Uecker, die Dörfer, die Landschaft haben sich die beiden Autoren und die Fotografin Susi Boxberg gewidmet. Mit einer schönen Gestaltung im Vierfarbdruck erfaßt dieser Fotoband, so denken wir, die Mentalität der Leute, den Charakter der Landschaft und des Flüßchens Ucker beziehungsweise Uecker.

Werden Ihnen auch Themen angetragen von Autoren?

Mir werden auch Themen angetragen. Die Autorenpflege ist für mich eine sehr wichtige Sache. Mein Autor Meyer-Kronthaler, der die „U-Bahnhöfe“ gemacht hat, sitzt natürlich schon an einem entsprechenden S-Bahn-Buch, oder Michael S. Cullen, der Autor des „Reichstags“, hat sich sehr stark eingebracht beim „Charité“ -Buch. Nach den Erfolgen der ersten Programme bekomme ich zunehmend Zuschriften von Leuten, die zu dieser Stadt und auch zu Brandenburg publiziert haben. Und dann treffen wir die Auswahl. Wir haben hier so ein kleines Gremium von drei Mitarbeitern, die sich damit befassen. Und ich habe natürlich auch meine Wunsch-Liste, für die ich zum entsprechenden Moment Autoren suche.

An den Fotos in Ihrem Herbst-Prospekt sieht man, daß Sie mit relativ jungen Autoren arbeiten, reflektieren Sie auch auf jüngere Leser?

Das ist genau der Punkt. Ich habe festgestellt, daß die alteingesessenen Berlin-Verlage ihre Zielgruppe nicht verlassen haben. Davon wollte ich mich absetzen, weil ich sehe, daß durch die Bewegung, die nach 89 in der Stadt entstanden ist, hier ein völlig neues Potential an Berlinern entstanden ist, und zwar in der Altersgruppe zwischen zwanzig und vierzig. Und diese Zielgruppe möchte ich erreichen, optisch und auch inhaltlich. Dem entspricht auch das Durchschnittsalter meiner Autoren, das weit unter dem der Autoren anderer Berlin-Buch-Verlage liegt.

Das Buch über die Charité zum Beispiel wurde von zwei jungen Ärztinnen gemacht, die sich auf Grund ihrer Tätigkeit dort sehr intensiv mit der Geschichte beschäftigt hatten. Sie haben in ihrem Freundeskreis zwei Fotografinnen gefunden, die gemeinsam mit ihnen das Buch optisch umgesetzt haben. Ein anderes Beispiel ist Der ÜBerliner, ein Jugendszenestadtführer, der von einer Gruppe Studenten gemacht wurde, die Berlin als Erlebnishauptstadt für junge Leute erfaßt haben. Für mich ist der wichtigste Punkt an dem, was ich mache, daß alles einem hohen Qualitätsanspruch genügt. Inhaltliche sowie drucktechnische und satztechnische Qualität ist für mich, ebenso wie die gestalterische, oberstes Prinzip. Das muß sich mit einem Ladenpreis realisieren lassen, der dann auch einen großen Absatz in beiden Stadthälften ermöglicht.

Das Gespräch führte Irene Knoll


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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