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Reiseführerei Atlantis

Wir sind zu Ihnen gekommen, Herr Seifert, weil „Atlantis“ eine Buchhandlung ist, die sich auf Tourismus-Literatur spezialisiert hat, auf Reise-Literatur im allgemeinen, aber im besonderen auf Berlin-Literatur. Das Angebot ist so groß, daß ich nicht schätzen könnte, wieviel Titel hier in den Regalen stehen. Können Sie es?

Das ist eine Gewissensfrage. Ich würde tippen, das ist jetzt aber ganz grob, daß es einschließlich der Landkarten ca. fünfzig- bis hunderttausend Bücher sind.

Vielleicht können Sie ein paar Akzente setzen?

Ja, der Schwerpunkt steht bei Literatur zum Reisen, das heißt Reiseführer und Karten zum Reisen. Wir haben natürlich alle die Titel, die in anderen Buchhandlungen und in Kaufhäusern auch zu finden sind, wie DuMont, Baedeker, Marco Polo oder Polyglott. Wir führen aber auch Titel, die gewissermaßen exotisch sind, und sind bekannt dafür, daß wir solche Nischen-Titel im Angebot haben. Das sind besonders Reiseführer für Individualreisen, für Globetrotter. Einige Reihen haben sich in dieser Beziehung etabliert. Viele dieser Globetrotter-Titel sind den Kunden aus den Listen bekannt, aber nicht immer beim Verlag zu beziehen. Da treten wir dann als Beratungs- und Beschaffungsgeschäft ein und besorgen kurzfristig, was noch lieferbar ist. Andererseits müssen wir auf andere Literatur verweisen, wenn ein Titel absolut nicht zu beschaffen ist, obwohl er in den Listen steht. Da gibt es ein extremes Beispiel, das ist der bekannte Felbinger-Verlag, der in seinem Gesamtangebot seit Jahren einen Nordskandinavien-Titel führt, der seit 1990 nicht mehr zu bekommen ist, was für die Kunden kaum verständlich ist.

Nun hat sich die Berlin-Literatur ja sehr differenziert. Ich weiß gar nicht, ob es d e n Überblicks-Stadtführer überhaupt noch gibt. Aber wenn Sie einen Kunden beraten sollten, was würden Sie ihm vorschlagen?

Wenn er sich für einen kurzen Berlin-Aufenthalt von zwei, drei Tagen einen Überblick verschaffen will, dann würde ich an die Reihen wie Marco Polo oder Polyglott denken, die reichen für diesen Zweck aus. Wer sich intensiver über Architektur oder Geschichte informieren möchte, Museen besuchen will, für den ist der Baedeker gut geeignet. Ein Titel, der sehr wenig beachtet wird, das ist der sogenannte Große Baedeker Berlin, der Berlin weniger durch Bildmaterial, sondern durch eine Vielzahl von Fakten vorstellt, die man sonst nicht bekommt. Er ist stadtbezirksweise aufgebaut, fast der einzige Berlin-Führer in dieser Art. Für Kunstinteressierte wären der Reclam-Führer und der Kunstführer von Knaur sicherlich wichtig und, was in Hinsicht auf das rapide Baugeschehen in Berlin ja nicht ganz unbedeutend ist, aus dem Transit Verlag der Führer Berlin, Kultur, Geschichte, Architektur.

Ein ganz neuer Titel aus dem Reise- und Verkehrsverlag ist Berlin Viva Twin, das ist eine Kombination aus kleinem Reiseführer und Stadtplan. Sehr gern wird der ADAC-Reiseführer gekauft, das ist ein solider, anschaulicher, mit sehr schönen Fotos ausgestatteter Berlin-Führer in der mittleren Preisklasse.

Die Ausstattung der Reiseführer wird überhaupt immer anspruchsvoller, nicht?

Ja, es gibt einige Reihen, die im höheren Preisniveau angesiedelt sind. Sie kommen z. B. von DuMont oder aus dem Reise- und Verkehrsverlag, Titel in einer prachtvollen Ausstattung, was nur durch Computerbearbeitung der Bilder möglich ist, mit einer Vielzahl von Informationen, die optisch, also visuell, zu erfassen sind. Ein Berlin-Titel ist in einer dieser „Visuell-„ Reihen aber bisher nicht gemacht worden, weil Berlin so stark im Umbruch ist, so daß man für die Produktion eines so teuren Titels sicherlich erst die Beendigung einiger Bauabschnitte abwarten will.

Schauen wir mal auf Berlin en detail, da fällt die Reihe von Haude & Spener zu den Berliner Stadtbezirken auf.

Ja, der Verlag hat ein sehr breites Angebot an Berlin-Literatur, zum einen nach Stadtbezirken, zum anderen thematisch angelegt. Und das ist besonders für die Berliner selbst von Interesse. Die wollen ja weniger einen Stadtführer, sondern die wollen etwas Genaueres über ihren Kiez lesen. Manche der „Spaziergänge“ durch die Stadtbezirke von Haude & Spener sind stärker historisch orientiert, wie zum Beispiel die durch Friedrichshain, für uns hier sehr wichtig, denn es zeigt den alten Friedrichshain, der ja im Krieg teilweise zerstört worden ist. Leider vermissen wir in dieser Reihe noch den Titel zum Stadtbezirk Mitte, für den nach Auskunft des Verlages bisher noch kein Autor gefunden worden ist.

Für einen Wochentag, morgens 10.00 Uhr, war schon erfreulich viel Kundschaft im Geschäft. Ist das immer so oder ist das heute eher die Ausnahme?

Es ist nicht immer so wie heute, leider. Die Karl-Marx-Allee ist noch nicht die Bummelmeile, die sie früher einmal war, so daß die Laufkundschaft noch zu gering ist. Die Kunden, die heute morgen hier waren, kamen gezielt, um bestimmte Karten zu erwerben, die häufig in anderen Buchläden nicht verfügbar sind.

Das Kartenangebot ist ja ein Service, der Ihre Buchhandlung vor anderen auszeichnet. Wie umfänglich und vielseitig ist da das Angebot?

Wir führen zunächst ein Standardangebot an Länderkarten, das auch in anderen Buchhandlungen zu finden wäre, wobei ich darauf achte, Karten in einem günstigen Maßstab für den Kunden anzubieten. Also je kleiner die Maßstabsangabe, desto genauer die Karte, was nicht jeder Kunde weiß.

Besonderen Wert legen wir aber auf genaue Wanderkarten. Damit ist auch viel Beratungs- und Beschaffungsaufwand verbunden, was ja nur von einer Spezialbuchhandlung geleistet werden kann. Das ist eine Dienstleistung, mit der wir uns unter anderem von den großen Mitbewerbern im Buchhandel abheben. Karten bilden einen wichtigen Anteil unseres Umsatzes, je nach Jahreszeit sind mehr Europa- und Deutschlandkarten gefragt, nämlich im Sommer, und im Herbst und Winter sind es dann die Karten der warmen Länder in Übersee.

Oftmals sucht man ja auch den ästhetischen Reiz bei einer Karte, bei Luftbildaufnahmen etwa. Sie haben ja hier sehr unterschiedliche, zum Beispiel vom Stadtbezirk Mitte.

Da sind wir eine der wenigen, die auch Luftbildaufnahmen anbieten, von Berlin und vom Brandenburger Umland. Berlin haben wir relativ komplett, nämlich die neuerschienenen Blätter, die vom Senat in einer Luftbildaufmessung im Jahre 1992 von allen Ostberliner Stadtbezirken erstellt wurden. Und zusätzlich auch das eine oder andere Sonderblatt, das dann Berlin in einem Gesamtüberblick aus der Luft zeigt.

Herr Seifert, sehen Sie Möglichkeiten, Ihre Buchhandlung für Ihre Kunden oder potentiellen Kunden noch attraktiver zu machen?

Wir haben ja nur ein begrenztes Platzangebot, aber was wir möchten, ist, die touristische Reiseliteratur mit Belletristik zu ergänzen, sagen wir mal als Stichwort, das Buch zum Land dazuzustellen. Wir haben da schon einen Anfang gemacht, Irland beispielsweise mit Bölls Irischem Tagebuch ergänzt oder zu den Berlin-Führern Lentz' Muckefuck gestellt. Zu jedem Reisland, Reiseziel ließe sich ein literarisches Werk von Rang gesellen, das möchten wir noch stärker ins Angebot aufnehmen.

Was hat Sie denn inspiriert, die Buchhandlung „Atlantis“ zu nennen?

Ja, wir haben lange nach einem geographischen Namen gesucht, aber solche, die naheliegen würden, waren dann auch schon vergeben, da sind ja urheberrechtliche Zusammenhänge zu berücksichtigen. Wir haben uns dann für „Atlantis“ entschieden, da schwingt die Sehnsuch nach der Ferne mit, nach dem Reisen ins Unbekannte, auch in die Geschichte. Und das ist auch ein Gesichtspunkt, den wir in Zukunft noch stärker augenscheinlich machen möchten.

Mit Jürgen Seifert sprach Irene Knoll


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 09/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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