Eine Rezension von Sabine Kaldemorgen

Einsam in New York – Dichter in New York von Federico García Lorca in neuer Übersetzung

Federico García Lorca: Dichter in New York
Spanisch und Deutsch.
Übertragung und Nachwort von Martin von Koppenfels.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000, 236 S.

Rund 70 Jahre nach Lorcas Amerikareise ist seine Gedichtsammlung in neuer Übersetzung auf dem deutschen Buchmarkt erschienen. Ein Ereignis, das Bücher ausländischer Autoren nach gewissen Zeitspannen ereilt, um sie der modernen Sprache anzupassen. So selbstverständlich ging es bei Dichter in New York nicht zu. Heinrich-Enrique Beck, der Erstübersetzer, war mit der Aufgabe sprachlich überfordert und überdeckte den klaren Stil von Lorca mit seinen eigenen dichterischen, aber erfolglosen Bestrebungen. „Mädchen“ wurden zu „Mägdelein“, „Erbrechen“ zu „Gespei“ und die „fette Frau“ zum „feisten Weib“. Dem Kopfschütteln von Übersetzern und Philologen folgte 1998, zum 100. Geburtstag des Dichters, eine Offensive von Siegfried Unseld. Der Verleger, Herr bei Suhrkamp und dem Insel Verlag, der seit 1963 die Lizenz innehatte, stoppte die Auslieferungen bei Insel, gab zwei Gutachten in Auftrag, die den Beck'schen Schwulst als „schweres Rezeptionshindernis“ abqualifizierten und verklagte die Beck-Erben, die zäh an ihren Rechten festhielten. Das Frankfurter Landesgericht entschied den Fall Lorca zugunsten einer Neuübersetzung. Leser im deutschen Sprachraum kommen erstmals in den Genuß eines reinen, aber auch schwermütigen Lorca.

Die Reise nach New York und Kuba 1929 war für den Dichter eine Flucht. Ein Studium an der Columbia-Universität sollte dem 31jährigen Ablenkung bringen. Er war tief gekränkt durch den Spott des Malers Salvador Dalí und des Regisseurs Luis Buñuel, die seine Lyriksammlung „Zigeuner-Romanzen“ als „abgedroschen“ verurteilten. Die Freunde aus Studententagen hielten die Verbindung von klassischen und folkloristischen Elementen, die dem Dichter über Nacht zum Weltruhm verholfen hatte, nicht mehr für zeitgemäß. Kurz zuvor hatten sie in Paris mit großem Erfolg den surrealistischen Film „Ein andalusischer Hund“ gezeigt, den Lorca als Anspielung auf sich verstand.

Die in New York entstandenen Gedichte zeugen von der angespannten Gefühlslage und dem Kulturschock. New York erscheint als abschreckendes Chaos, als „eine Welt zerbrochener Flüsse und unfaßbarer Entfernungen“ wie es in „New York (Büro und Anklage)“ heißt. Entsetzt rechnet der Naturverbundene die Schattenseiten der Moderne auf: Millionen geschlachteter Tiere, Transporte „mit gefesselten Rosen, / die aufs Konto der Parfumgroßhändler gehen“, Entfremdung und Kälte. Er klagt gegen eine gigantische Vernichtungsmaschinerie und bietet sich an „als Futter für die zermalmten Kühe, / wenn ihre Schreie das Tal erfüllen, / wo der Hudson sich an Öl besäuft“. Die Reiseeindrücke dienen als Auslöser für eine Bilanz über das Dasein überhaupt. Die Folgen des Börsenkrachs, die erdrückende Architektur und das menschliche Leid, das er in diesem Ausmaß nicht kannte, potenzieren die düstere Stimmung des geplagten Dichters, der sich inmitten einer verrohten Welt sieht. Alltägliche Dinge verwandelt er in beklemmende Visionen. In „Vom Spaziergang zurück“ heißt es „Stolpernd über mein täglich wechselndes Gesicht. / Vom Himmel umgebracht!“.

Die Unvereinbarkeit von Mensch, Technik und Natur gehört bei dem fast prototypischen Werk der modernen Lyrik zum Grundtenor. In zehn Kapitel tastet das lyrische Ich ähnlich einem Scheinwerfer die verschiedenen Bereiche des Lebens ab: Kindheit, Freundschaft, Liebe, Zusammenleben, Zukunft. In „Der König von Harlem“ zeigt er sein Mitgefühl für die unterdrückte schwarze Bevölkerung. Aussichtlosigkeit und Wut über seine Zwangslage als Homosexueller kommen in der „Ode an Walt Whitman“, einem Dichter, der in den 20er Jahren in Madrid gefeiert wurde, zum Ausdruck. Heiterer und beschwingter geht es in „Kleiner Wiener Walzer“ zu, den Leonard Cohen vertonte. Die Stimmung wechselt von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. „Einführung in den Tod“ heißt das sechste Kapitel über seinen Abstecher nach Vermont, den Lorca für die gesamte Sammlung erwog.

In einem dichten Geflecht aus Metaphern, die in der spanischen Lyrik Tradition haben, bringt er Phantasie, Träume, Gefühle, Erinnerungen und Alltag zusammen. Er spielt mit Klängen, Farben und Formen, mal hymnisch, mal in freiem Rhythmus. Lorca arbeitet nach einem Verfahren, das er von seinen surrealistischen Freunden her kannte. Die einzelnen Gedichte sind fast hermetisch, der Zugang erfolgt gefühlsmäßig. Für Lorca beschreiben sie „New York in einem Dichter“, und er bietet seinem Publikum „Sand oder Schierling oder Salzwasser“. Im Unterschied zu seinen vorherigen Werken fehlt in „Dichter in New York“ jeglicher Humor.

Für seinen Verleger José Bergamín, dem Lorca das Manuskript zur Veröffentlichung überließ, porträtiert er sich „wie ein Selbstmörder“. Fast scheint es, als hätte er sein eigenes Schicksal vorhergesehen. In der „Fabel von den drei Freunden“ schreibt er: „Sie durchkämmten Cafés und Friedhöfe und Kirchen. / Sie öffneten Tonnen und Schränke. / Sie zerstörten drei Skelette, um ihr Zahngold auszubrechen. / Sie fanden mich nicht mehr. / Sie fanden mich nicht? / Nein, sie fanden mich nicht.“ Die Leiche des Dichters, den die Aufständischen Francos zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges umbrachten, wurde nie gefunden.

1940 erschien „Dichter in New York“ postum im mexikanischen Exil, parallel zu einer englischen Ausgabe beim New Yorker Verleger Norton. Erst in den 70er Jahren fiel auf, daß die beiden Erstausgaben nicht identisch sind. Das Originalmanuskript tauchte 1997 durch Zufall in Mexiko auf und diente Martin von Koppenfeld als Grundlage für die Neuübersetzung, der aus dem „unruhigen Textbündel“ eine lesbare Fassung machte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
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