Eine Rezension von Bernd Heimberger

Dienerin der Dicht-Kunst

Matthias Wegner: Aber die Liebe
Der Lebenstraum der Ida Dehmel.
Claassen Verlag, München 2001, 415 S.

Richard Dehmel war verliebt in Ida Auerbach, geborene Coblenz, Tochter eines wahrlich begüterten Weinhändlers aus Bingen am Rhein. Ein Buch über Ida Dehmel ist da. Richard Dehmel (1863 - 1920), der einst über Gebühr gelobte und gerühmte Dichter, war Idas Liebe des Lebens. Ein Grund, diese Liebesgeschichte aufzuschreiben? Matthias Wegner hat's getan, der wieder und wieder beschwört, daß die Geschichte von Richard und Ida das Format von Tristan und Isolde hat. Donnerwetter! Was Wegner von der Lebensgeschichte erzählt, wie er sie erzählt, ist eher gelassen hinzunehmen als berührt und bewegt. Die Liebesgeschichte ist Teil der regen Lebensgeschichte von Ida Coblenz-Auerbach-Dehmel. In der Geschichte ist genug Berührendes wie Bewegendes, das die disziplinierte, kontrollierte, sich stabilisierende Ida vor der Außenwelt verbarg.

Wer war Ida Dehmel? Wie war sie? Bevor Wegner mit der biographischen Darstellung beginnt, fragt er: „Warum ein Buch über eine Frau, deren Namen hinter bedeutenderen zurücktritt und ohnehin nur noch wenigen ein Begriff ist?“ Auf 400 Seiten gibt der Biograph Antworten, die nicht verklären, doch etwas mit dem Verliebtsein des Verfassers in die „Heldin“ zu tun haben. Die Situation macht ihn immer wieder schwankend in seinen Urteilen über die Frau, deren Lebenslauf sich ohnehin eindeutigen Urteilen entzieht.

Ida, die erste musische Begleiterin Stefan Georges, die beständigste Muse Richard Dehmels und verläßlichste Musenfreundin Alfred Momberts, wird wiederholt als „selbstlose Maklerin der Kunst“ gepriesen oder umständlich - in einem Satz formuliert: „Der Traum ihres Lebens war jede Form von Teilhaben an der Entstehung der Kunst.“ Anders gesagt, Ida Dehmel war eine Dienerin der Dichtkunst ihres zweiten Mannes. Ein Dienst, der erst endete, als die Dienerin am 29. September 1942 mit einer Überdosis Schlaftabletten ihren Tod herbeiführte. Die Frau, von der es heißt, daß sie lebenslang dem Leben Träume träumte, schuf Tatsachen, um der Verelendung des kranken Körpers und der faschistischen Wirklichkeit auszuweichen. Matthias Wegner, der sich häufig wiederholt, sagt von Ida Dehmel, „die Liebe machte sie oft blind“. Zugleich berichtet er von Handlungen der Aufgeweckten, Achtsamen, Anteilnehmenden, die weit über den eigenen Hausstand hinaussah. Bis in die Gegenwart ist eine von Ida Dehmel geförderte Vereinigung von Künstlerinnen (GEDOK) existent. Sie war so lange die erste Vorsitzende der Vereinigung, bis sie von den Hitler-Anbeterinnen aus dem Amt gedrängt wurde. Ida Dehmel war nicht nur eine Person, die für andere Personen da war. Sie war nicht nur die Person hinter anderen Personen, sie war eine Persönlichkeit, die in eigener Sache und mit eigener Wirkung auftrat. Ida war viel mehr als die „junge Frau von gewinnender Anmut mit offenen, strahlenden Augen, sorgfältig zurückgekämmtem schwarzem, dichtgelocktem Haar“, wie Wegner schreibt. Sie war „eine Frau erstaunlich modernen Zuschnitts“, sagt der Autor über die Lebenserfahrene. Die selbstgewählte Abhängigkeit schläferte nicht ihren Willen ein, sich dafür einzusetzen, daß Frauen mehr Rechte, z. B. das Wahlrecht, im gesellschaftlichen Leben eingeräumt werden.

Für Matthias Wegner ist Ida Dehmel weder eine Protagonistin noch Propagandistin der Emanzipation und dennoch eine Emanzipierte, die im Dienen ein Verdienst sah. Musisch vielseitig begabt, war sie mit keinem überragenden Talent ausgestattet, das sie über andere erhob. Die Einsicht der Ida Dehmel, mehr für sich möglich zu machen, indem sie anderen etwas ermöglichte, machte sie zu einer Überlegenen. Am 14. Januar 1870 geboren, stand der Frau „modernen Zuschnitts“ der „Stoff“ des 19. Jahrhunderts zur Verfügung.

Keine abschließenden Urteile riskierend, riskiert der Biograph Urteile, die sich widersprechen. Unentschiedenheit beschädigt auch Matthias Wegners Schilderungen. In den besten Teilen der Biographie dominiert der essayistisch-feuilletonistische Stil. In erzählerischen Beschreibungen gerät so manches an den Rand der Kolportage: „Die kleine Ida, ein etwas zur Molligkeit neigendes, schwarzgelocktes Kind, mit kräftiger Nase und sanftem, geheimnisvollem Blick aus großen, dunklen Augen ...“ Manchmal ist die Ida-Dehmel-Biographie, die auch ein Richard-Dehmel-Buch ist, in das Fahrwasser des Dichters gekommen, in dem der Schwulst schäumt. Von einer großen Biographie zu sprechen ist ebenso unangebracht wie von einer überragenden Persönlichkeit. So wenig, wie das Leben der Ida Dehmel beliebig und belanglos war, so wenig ist die von Matthias Wegener verfaßte Biographie beliebig und belanglos.

Dem Autor ist es gelungen, die Aufmerksamkeit für ein beachtliches wie beachtenswertes Schicksal auf allen Seiten wachzuhalten. Ida Dehmels Leben ist Bestandteil der literarisch-künstlerischen Gesellschaft Deutschlands des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts. So wenig die Darstellung geeignet ist, die Mutter als Mutter zu sehen, die Liebende in ihrer Liebe zu verstehen, zu spüren ist die Ida Dehmel, die sich wohl fühlte in der Welt der Fontanes und Liebermanns. In die guckt gern, dem die Welt soviel wert ist wie der Porträtierten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08/01 (Internetausgabe) (c) Edition Luisenstadt, 2001
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