Eine Rezension von Licita Geppert

„Gott will es?“

Eva Thies: Der Normanne und das Mädchen
Roman.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2001, 544 S.

Es ist gegen Ende des 11. Jahrhunderts, die Zeit des ersten Kreuzzuges der Christenheit. Der Papst hatte unter vielerlei Vorwänden unter dem Motto „Gott will es“ zur Befreiung des (jedermann zugänglichen) Grabes Christi von arabischer Herrschaft aufgerufen. Diesem ersten Aufruf leisteten vor allem normannische Ritter, zunächst aber auch einfache Bauern und Tagelöhner, Folge. Einer dieser Normannen, Boemund von Tarent, lebte von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis zum Jahr 1111. Ein Bild von einem Mann, war er schön wie Apoll, außerdem hochintelligent und ein begnadetet Führer, dem jedwede Skrupel fremd waren. Wenn nötig, konnte er verschlagen, gewalttätig und von erlesener Grausamkeit sein. Bereits im Jahre 1097 erreichte er als einer der Führer des Ersten Kreuzzuges die Stadt Konstantinopel. Obwohl weder vom Papst noch durch hohe Geburt legitimiert, wurde er durch seine Fähigkeiten als Kriegsherr von den einfachen Soldaten vergöttert und zu ihrem eigentlichen Führer auserkoren.

Seine ersten Erfahrungen im Kampf gegen die Byzantiner hatte Boemund während der Kämpfe seines Vaters in Griechenland fünfzehn Jahre zuvor gesammelt. Als Erstgeborener ohne Erstgeburtsrecht war er frühzeitig gezwungen, sich sein Erbe oder seinen Besitz zu erstreiten. Später sollte er sich als exzellenter Feldherr erweisen. Um Kaiser Alexios für sich einzunehmen, leistete Boemund diesem ohne Zögern den Lehnseid und gab damit das Versprechen, alle durch ihn zukünftig eroberten, ehemals byzantinischen Territorien dem Kaiser zurückzugeben. Wie wenig ernst diese Zusicherung gemeint war, erwies sich spätestens bei der Einnahme von Antiochia, das er keineswegs an Alexios übergab, sondern zu seinem eigenen Herrschaftsgebiet erklärte. Damit war der Kreuzzug für ihn beendet. Er blieb in Antiochia. Seine Skrupellosigkeit sollte Boemund jedoch nur kurzzeitig Erfolg bringen. Mit dem Jahrhundert wendete sich auch sein Glück. Bis zu seinem einsamen Tod auf seinen apulischen Besitzungen sollte es seit dem Jahr 1100 stetig bergab gehen.

Der bereits zu Lebzeiten sagenumwobene Boemund, gebürtiger Hauteville, erregte zwiespältige Gefühle unter seinen Feinden. In den blutigen Schlachten dieses ersten, siegreichen Kreuzzuges erzeugte er Schrecken und Angst unter der einheimischen Bevölkerung. Aber er wurde von ihnen auch als großer Kriegsherr anerkannt und als Mann bewundert. So ergeht es Anna Phokaina bereits in ihrer Kindheit, bei ihrer ersten Begegnung mit dem damals fünfzehnjährigen Boemund, der seine siebenjährige Schwester Olympias, die zukünftige Braut des damaligen byzantinischen Thronfolgers, nach Konstantinopel begleitete. Mit diesem Schachzug wollte sich Boemunds Vater, der berüchtigte Guiskard, eine Tür zum Orient offenhalten. Annas Bewunderung für den blonden Hünen, zunächst nur Laune des Augenblicks, festigt sich im Laufe der Jahre zu Liebe und Leidenschaft, die durch die Tatsache, daß Boemund bei ihrer nächsten Begegnung der Feind ihres Volkes ist, in keiner Weise geschmälert wird. Als engste Freundin Helenas, wie Olympias in Byzanz benannt wird, ist sie Boemund innerlich nahe und bewahrt sein Bild durch die Gesichtszüge seiner Schwester im Gedächtnis.

Die Wege führen die beiden auf abenteuerliche Weise wieder zusammen, ihre gegenseitige Liebe entbrennt über die Maßen, trotz der heiklen Situation. Als Angehörige des Hauses Phokas ist Anna eine reiche byzantinische Prinzessin mit beträchtlichem Vermögen und Einfluß. Die politischen und kriegsbedingten Umstände, aber auch Intrigen ihrer Feinde verhindern das Zusammenbleiben der Liebenden. Den gemeinsamen Sohn wird Boemund nie kennenlernen, wohl aber von ihm erfahren, als es fast zu spät ist. Aus Liebe wird Haß, der in Boemund wie in Anna gleichermaßen schwelt aus Groll über vermeintlichen Verrat, aus dem tatsächlicher Verrat wird. Annas späte Rache wird dazu führen, daß Boemund eine lange Leidenszeit bevorsteht, die den immer noch Liebenden jedoch später die Gelegenheit bieten wird, in der Abgeschiedenheit Apuliens wieder zusammenzukommen.

Über den Helden dieses gleichermaßen spannenden wie ergreifenden historischen Romans gibt es das Zeugnis einer Zeitgenossin, die Schriften der Anna Komnene, der Tochter des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos, mit dem sich Boemund fast sein ganzes Kriegerleben lang maß und anlegte. Alexios I. war der Begründer des Geschlechts der Komnenen. Als Herrscher von Byzanz konnte er sich seinerzeit der durch Boemunds Vater unternommenen normannischen Angriffe nur durch die Unterstützung Venedigs erfolgreich erwehren. Die Vereinbarungen mit den kurz vor Ende des 11. Jahrhunderts eintreffenden Kreuzfahrern und die Schwierigkeiten der Verhandlungen, aber auch die Person Boemunds, werden von seiner Tochter Anna Komnene in deren Geschichtswerk Alexias eindrucksvoll beschrieben.

Eva Thies geht überaus sorgfältig und detailgenau mit den historischen Fakten um. Auch wenn die Geschichte zwischen Boemund und Anna Phokaina vermutlich nicht belegt ist (leider gibt das Buch keine Auskunft darüber), so würde diese Konstellation die Lücken in der überlieferten Geschichtsschreibung füllen und viele Abläufe, so auch den Rückzug Boemunds, des überaus erfolgreichen Kämpfers, aus dem Orient auf seine bescheidenen apulischen Besitzungen erklären. Die kenntnisreiche, sprachmächtige Darstellung der Personen, der Zeit und ihrer Umstände, die packende Handlung, gelungene Dialoge und die mit Geschick bewältigte Gratwanderung zwischen psychologisch ausgefeiltem Personal und einem dem geschichtlichen Kontext entsprechenden Handlungsverlauf lassen die Lektüre dieses Romans zu einem nachhaltigen Erlebnis werden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite