Eine Rezension von Horst Wagner
cover

Die Umkehrung einer alten Regel

Gisela Karau: Der jüngere Mann
Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 2001, 222 S.

Nach Die Liebe der Männer (1990) und Der gemachte Mann (1991), nach Marthas Haus (1994), Buschzulage (1996) und Küsse auf Eis (1997), nach dem Roman Go West. Go Ost (1998) und der Porträtsammlung Weibergeschichten (1999) nun also Der jüngere Mann. Gisela Karau, aus DDR-Zeiten vor allem durch Kinder- und Jugendbücher wie auch ihre Kolumnen in der „BZ am Abend“ bekannt, hat sich wohl als die produktivste ostdeutsche Nachwende-Autorin erwiesen. Ihr Erfolg mag auch daher rühren, daß sich ihre Bücher leicht lesen, lebensbejahend sind und daß in ihnen zuweilen recht unverblümt über Sex und Erotik gesprochen wird. Das hat ihr gelegentlich schon den Kritikervorwurf der Trivialität oder auch zu großer Nähe zu Kolportage oder Pornographie eingebracht. Dabei geht es Gisela Karau nicht in erster Linie um äußere Spannungseffekte oder allein um die „Sache selbst“. Es geht ihr zumeist um den Lebens- und Liebesanspruch junger oder auch älterer Frauen, hineingestellt in die Probleme heutiger Gesellschaft, den Wünsche- und Wertewandel vor allem in Ostdeutschland.

Um einen Wertewandel, besser gesagt um die Umkehrung eines alten, freilich schon immer mehr brüchig gewordenen Privilegs geht es - der Titel deutet es an - in Der jüngere Mann. „Männer wollen junge Frauen, je älter sie werden, desto jünger sollen die Frauen sein. Rudolf ließ mir keine Ruhe. Er mußte sich seine ungebrochene Manneskraft beweisen.“ So versucht die Bildhauerin Luisa ihrer zehn Jahre älteren Freundin Isabella zu erklären, warum sie sich dem Seitensprungverlangen von deren 25 Jahre älteren Ehemann, einem angesehenen DDR-Maler, hingegeben hat. Gisela Karau gestaltet die inzwischen nicht mehr ganz so seltene Umkehrung dieses männlichen „Gewohnheitsrechtes“. Isabella, inzwischen 55 und Witwe („Seit es Rudolf nicht mehr gibt, wünscht sie sich in schlaflosen Nächten, er würde sie vögeln bis zur Ermattung“), erobert sich den jüngeren Mann bzw. läßt sich von ihm erobern. Es ist Stefan, 35jährig, drahtig, mit glatter Haut und langem Zopf. Zu DDR-Zeiten war er Leutnant des zum Mielke-Ministerium gehörenden „Personenschutzes“. Ihn lernt Isabella kennen, als sie Luisa auf deren spanischer Finca besucht, wo sich auch Stefan eingemietet hat, um unter südlicher Sonne und auf seinem Mountainbike früheren Dienst- und späteren Wendefrust zu vergessen.

Das versucht er nun mit der immer noch recht attraktiven Isabella. („Ich liebe dich. Du gibst mir das Gefühl, noch einmal ein neues Leben beginnen zu können.“) Und sie fühlt sich um viele Jahre jünger. („Obwohl ihr Schoß noch heiß ist von der Spannung ungestillter Sehnsucht, empfindet sie ein tiefes Glücksgefühl. Sie hat einen Mann gefunden, der sie begehrt, einen jungen noch dazu.“) Manchmal kommt es wegen Stefans Rückfällen in Alkoholexzesse auch zu Zerwürfnissen. Aber sie finden immer wieder zueinander; während der spanischen Urlaubswochen wie danach auch in Deutschland. Auf den ersten Blick eine simple Geschichte und eine ein bißchen schnulzige dazu. Aber Gisela Karau versteht es nicht nur Leseanreize zu schaffen und auf durchaus realistische Weise Lebensanspruch zu schildern. Sie stellt überholte Denkweisen in Frage, mischt DDR-geprägtes frauliches Selbstbewußtsein mit eher westlichen Feminismus-Vorstellungen. Sie stellt DDR-Verkrustungen und Nostalgiedenken auf den Prüfstand, mehr aber noch die Oberflächlichkeiten und die Ellbogenmentalität der neuen alten, der kapitalistischen Gesellschaft.

Stellenweise liest sich Karaus Roman auch wie ein schönes Reisebuch. Die spanische Küste, Südfrankreich, Paris ... Die Schilderungen von Landschaften, Sehenswürdigkeiten, Geschichte gehören für mich zu den gelungensten Passagen des Buches. Hier spürt man Karaus Journalisten-Erfahrungen. Auch wenn sie das durch die „Spätheimkehrer des Kapitals“ gewandelte Berlin um Friedrichstraße und Gendarmenmarkt schildert. Oder das mecklenburgische Dorf, in das Isabella zurückgekehrt ist und von wo aus sie eine Art Wochenendehe mit Stefan führt, der inzwischen in Berlin Arbeit als Taxifahrer gefunden hat. Gut beobachtet ist auch die Jugendszene. Da ist die 17jährige Britta, Stefans Tochter, die Isabellas jungen Lover unerwartet früh zum Opa macht. Da sind Brittas Freund Alex, Zivi im Pflegeheim, mit seinem Spruch „Scheiße ist besser als schießen“ und Eddy aus Kenia, den Alex beschützt hat und mit dem er nun in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt. Als Kontrastprogramm dazu erscheinen die Geschichten um Isabellas Mutter und die „Katzenoma“. Amüsant zu lesen sind Stefans nächtliche Taxierlebnisse. Ein kleines sprachliches Kunstwerk: die Wiederbegegnung Isabellas mit dem früheren SED-Bürgermeister ihrer Kreisstadt, der noch in seiner alten Funktion, aber inzwischen in einer anderen Partei, der SPD, ist.

Gegenüber diesem lebendig eingefangenen Alltag finde ich die wenig differenziert geschilderten, immer wieder aufeinanderfolgenden kurzzeitigen Zerwürfnisse zwischen Isabella und Stefan und ihre darauffolgenden bettbetonten Versöhnungsfeste zunehmend langweilig. Und in die Abschlußszene in der Kellerbar scheint mir nach dem Rezept „Was ich eigentlich noch sagen wollte“ viel zuviel hineingestopft zu sein. Trotzdem: Der jüngere Mann beweist wieder einmal die Fähigkeit Gisela Karaus zu interessanten Fragestellungen, ihre gute Beobachtungsgabe und die Vielseitigkeit ihrer Ausdrucksmittel.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite