Eine Rezension von Manfred Lemaire

Menschen mit kalten Herzen

David Ignatius: Der König von Washington
Roman.
Karl Blessing Verlag, München 2001, 320 S.

Die Geschichte ist erfunden. Die Zutaten sind dem wirklichen Leben entnommen. David Ignatius beschreibt die Welt der Journalisten in den USA, eine Welt übrigens, der sich deutsche Journalisten leider immer mehr annähern, wenngleich da noch ein Stück Weges zu beschreiten bleibt.

Wir lesen ein Drei-Personen-Stück. Erste Person, mehr beobachtend als handelnd, ist ein Gesellschaftsreporter, wie es vornehm heißt, ein Schreiber über Klatsch und Persönliches und Unappetitliches. Der Mann ist weder schön noch reich noch mächtig, ein dünner jüdischer Journalist, auch sein beruflicher Erfolg ist dünn. Er muß dies alles über sich selbst berichten. Dieser David Cantor macht uns als Ich-Erzähler mit den beiden anderen Figuren bekannt, die hier die tragenden Rollen spielen.

Da ist einmal Carl Galvin, der als Rohstoffspekulant ein riesiges Vermögen zusammengeschaufelt hat und nun, durch Fehldispositionen eigentlich schon ruiniert, mit Finanzierungstricks eine angesehene Washingtoner Tageszeitung kauft. Da ist zum anderen die ebenso ehrgeizige wie gutaussehende Journalistin Candace Ridgway. Sie kommt aus großbürgerlichem Haus, der Vater war Vizeverteidigungsminister der USA, während Galvin einfacher Leute Kind ist, wie es so schön heißt, ein Selfmademan, erfolggewohnt, ohne geschäftliche und persönliche Skrupel. Weitere Personen gehören zur Staffage des Romans, sind nur angedeutet, bleiben weitgehend gesichtslos.

Galvin als neuer Verleger krempelt die traditionsreiche konservative Zeitung um, verpaßt ihr Pep und Pop und Nepp, hier ein Preisrätsel, da ein Skandälchen, dort ein barer Busen, damit die Auflage steigt, dazu noch blatteigenes TV, damit der Verleger als Selfmade-Journalist auf dem Bildschirm zu sehen ist. Das wird, mit gepumpten Millionen finanziert, nur veranstaltet, um die schöne Candace zu gewinnen. Sie hat vor Jahren Galvin einen Korb gegeben. Nun will er sie an sich binden, hat sie zur neuen Chefredakteurin des Blattes gemacht.

Aber es geht schief. Den großspurigen Machtmenschen Galvin erreicht endgültig der Pleitegeier, und das Herz der Dame Candace bleibt kalt. Sie liebt den Erfolg und ihre Selbständigkeit, möchte den Mißerfolg keineswegs ehelichen, haut den zeitweiligen Geliebten in die Pfanne, deckt seine unsauberen Geschäfte auf, bleibt die saubere Journalistin. Im Hintergrund scheint als Lohn der Enthüllung ein Pulitzerpreis zu winken, einen hat Candace schon früher als Auslandskorrespondentin gewonnen, weil Galvin, obwohl verschmäht, Informationen für eine Top-Story besorgte, er verhalf ihr zum Preis. Mister Pulitzer, wüßte er's, würde sich im Grabe umdrehen. Einer der vielen Seitenhiebe des Autors auf den Filz, in dem sie beide hausen, Candace und Galvin.

Was David Ignatius seinen Klatschreporter berichten läßt, stimmt bis in die Details. Der Autor ist vom Fach, arbeitet bei der wirklich existierenden feinen „Washington Post“, von der Nixons Watergate-Skandal ausgegraben wurde. Ignatius weiß, wie hinter den Kulissen der Medienbühne agiert wird, serviert sein Insiderwissen mit leicht ironischem Durchblick. Dies ist eigentlich kein Roman, mehr ein Bericht, neudeutsch Report genannt. Die Personen werden beobachtet, der Klatschreporter teilt dem Leser sein Wissen über sie mit.

Auf diese vordergründige, eindimensionale Weise bekommt auch das politische Washington sein Fett weg - alles, was Rang und Namen hat, der schwarze Bürgermeister und der weiße US-Präsident, beide bleiben farblos, der Autor möchte sich wohl Ärger vom Hals halten. Und alle sind sie auf den zum Zeitungsmacher mutierten Rohstoffspekulanten reingefallen. Der zeitweilige König von Washington, ein blendender schlechter Mensch, läßt die feinen Leute der Hauptstadt keineswegs gut aussehen.

Das Buch ist sachkundig geschrieben und liest sich gut. Die Botschaften, die David Ignatius vermitteln will, treten deutlich hervor: Haltet den Journalismus sauber und laßt Profis das Blatt machen, nicht übernahmegeile Geldsäcke! Ein ebenso frommer wie ehrenvoller Wunsch. Und: Lernt endlich aus politischen Fehlern und militärischen Desastern! Der Vater von Candace wird mit der Niederlage in Vietnam, für die er die Mitverantwortung hatte, nicht fertig und hängt sich auf. David Ignatius versucht, zu den Wurzeln dieses Dramas, ja des ganzen Übels vorzudringen. Er bleibt zwar an der Oberfläche, findet jedoch starke, treffende Worte zu dem Trauma, das noch nach Jahrzehnten in den Köpfen der Nation sitzt.

Diese Männer, die den Krieg befohlen und vom Schreibtisch aus geführt hatten, „benahmen sich wie Jungen in einem schicken Kabriolett, die so von sich und ihren Fahrkünsten überzeugt waren, dass sie die Tachonadel bis zum Anschlag hochjagten. Mit Tempo hundertachtzig prallten sie gegen eine Mauer ... Diese Männer hatten kein Versagen gekannt; mit Zweideutigkeiten, Zweifeln oder auch nur dem kleinsten Anflug von Schwäche kamen sie nicht zurecht. Genau darum erwiesen sich ihre Fehler als so verheerend - weil sie sich für unbesiegbar gehalten hatten. Sie gehörten zu der Generation, die den Weltkrieg gewonnen hatte - wie also konnten sie einen so unbedeutenden Krieg verlieren?“ Irgendwann im Laufe des Jahres 1967 „erkannten Mr. Ridgway und einige andere, dass der Krieg ein Fehler war. Er bot keine Lösung. Es war möglich - ja, sogar wahrscheinlich - , dass sie all diese jungen Männer in einen sinnlosen Tod geschickt hatten ...“

In der landesüblichen Danksagung vermerkt der Autor, er habe diesmal nicht über Spione geschrieben. Das ist richtig. Sein erstes Buch, Reporter ohne Auftrag (1997 bei Blessing), handelt von der Nebentätigkeit so mancher Journalisten der freien, halbfreien und unfreien Welt als Helfer von Geheimdiensten. Hier nun habe er einen Roman „über Normalsterbliche“ geschrieben. Das ist nur zum kleineren Teil richtig. Lediglich der Ich-Erzähler, Klatschreporter David Cantor, also eine der drei Hauptfiguren, ist nicht den Schönen und Reichen und Mächtigen zuzurechnen. Diese in der amerikanischen Gegenwartsliteratur weit überrepräsentierte Gruppe angeblich faszinierender Menschen, in Wirklichkeit eine Minderheit, ist von David Ignatius distanziert beobachtet und in Ansätzen kritisch gezeichnet worden. Er hat sie schließlich als zu leicht befunden, gierig und kalten Herzens. Normalsterbliche sind anders.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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