Eine Rezension von Helmut Caspar

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Unter den Flügeln des schwarzen Adlers

Eberhard Straub: Eine kleine Geschichte Preußens
Siedler Verlag, Berlin 2001, 176 S.

Eberhard Straub nennt sein Buch bescheiden Eine kleine Geschichte Preußens. Doch sie ist mehr, sie ist eine glänzend formulierte Bestandsaufnahme über einen Staat, der seine offizielle Auflösung im Jahr 1947 überlebt hat und heute bei uns als kultureller Faktor, als Idee fortbesteht. Es gibt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Preußische Schlösserstiftung mit ihren berühmten Sammlungen und Bauwerken. Sie sind Hüterinnen vor allem der positiven Traditionen. Bei aller auch durch solche Institutionen geschürten Euphorie im Preußenjahr 2001, da man der „Erhebung“ des brandenburgischen Kurfürsten zum König „in“ Preußen gedenkt, tut es gut, auf gedrängtem Raum an die Wurzeln geführt zu werden, ohne Schnörkel und weitschweifige Detailschilderung, aber kritisch-distanziert erläutert zu bekommen, was denn dieses Preußen war und wo es überhaupt lag. Denn die Jubelfeiern des Jahres 2001 erwecken, da im wesentlichen auf Berlin und Brandenburg konzentriert, den Eindruck, als bestünde Preußen nur aus seinen märkischen Kernlanden. Hier gibt Straub Nachhilfeunterricht, indem er dem Leser einmal mehr verdeutlicht, daß da weitaus mehr Menschen und Territorien unter den Flügeln des schwarzen Adlers lebten - und litten.

Preußische Geschichte war bekanntlich nicht nur eine Folge von Triumphen und kulturellen Höhenflügen, sie sah auch, wie Straub an markanten Beispielen zeigt, eine Kette von Niederlagen und Fehlleistungen, von Rücksichtslosigkeiten und bornierter Machtpolitik. Einer der bedeutendsten Hohenzollern, Friedrich II., war ein Hazardeur und Machtmensch, der sich und sein Land erst in einen katastrophalen Krieg hineinritt und nur dank glücklicher Umstände aus der sich abzeichnenden Katastrophe herauskam. Straub erinnert daran, welche wichtige Rolle gute (oder auch schlechte) Berater an der Seite der Monarchen spielten. Friedrich Wilhelm III. beispielsweise standen kluge Minister zur Seite, die nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil es unausweichlich war, das verknöchert-friderizianische Preußen reformierten und es fit für eine neue Rolle in Deutschland und Europa machten, die vielen Zeitgenossen dann doch und nicht zu Unrecht Angst einjagte.

Der Verfasser schildert, wie sich in Preußen frohe Erwartungen und tiefe Enttäuschung mischten, als ein weiterer König, Friedrich Wilhelm IV., erst die Revolution niedermachte und dann die Chance ausschlug, sich an die Spitze der Einheitsbestrebungen zu stellen, die zwei Jahrzehnte später mit Eisen und Blut vollzogen wurde. Das letzte Kapitel dieses furiosen Parcours durch 500 Jahre preußischer Geschichte behandelt das nicht unproblematische Verhältnis von Preußen zum neuen Deutschen Reich und die, wie Straub es nennt, allmähliche Eroberung Preußens durch Deutschland. Störfaktor war Wilhelm II., der die eigentliche konstitutionelle Bedeutungslosigkeit seines kaiserlichen Amtes durch Imponiergehabe und gefährliche Reden zu überspielen suchte.

Nach dem Abgang der Hohenzollern erwies sich der nunmehrige Freistaat Preußen als stabilisierender Faktor in den unruhigen Zeiten der Weimarer Republik. Wohl auch deshalb war Preußisches den Nazis ein Dorn im Auge. Sie ließen es nur noch als Staffage propagandistischer Auftritte gelten, um schließlich die Erinnerung an Friedrich den Großen im Zweiten Weltkrieg zur Mobilisierung letzter Durchhaltekräfte zu mißbrauchen.

Ob Straubs Aussage: „Eine Geschichte Preußens im nationalsozialistischen Deutschland gibt es nicht. Der Nationalsozialismus ist rein deutsche Geschichte“, stimmt, mag man bezweifeln. Zwar begründet der Autor dies mit dem Hinweis, die „sonderbaren Schwärmer vom Reich, vom Dritten Reich“, hätten gerade den Staat und damit auch preußische Traditionen überwinden wollen. Hier hätte man sich als Leser mehr Argumentationshilfe gewünscht, denn immerhin wurde ja die Liquidierung Preußens durch die Alliierten ausschließlich damit begründet, daß dieser Staat „seit jeher“ Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, ein Staat übrigens, mit dem die Siegermächte in früheren Zeiten bestens auskamen und der auch über lange Strecken wegen seiner spezifischen Eigenschaften und positiven Leistungen als vorbildlich angesehen wurde.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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