Eine Rezension von Hans Hauser
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Zwischen Tugend, Pflichterfüllung und Verbrechen

Wolfgang Ribbe/Hansjürgen Rosenbauer (Hrsg.): Preußen
Chronik eines deutschen Staates.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2000, 288 S.

Als im Februar 1947 der Alliierte Kontrollrat die Auflösung des als Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland bezeichneten Staates Preußen verkündete, war das eigentlich ein überflüssiger Akt, denn Preußen war mit den anderen deutschen Ländern schon zu Beginn der Hitlerzeit der „Gleichschaltung“ zum Opfer gefallen. Preußen, dem noch einmal ein letzter Stoß versetzt wurde, war schon lange tot, seine Eliten waren im wesentlichen während der NS-Zeit von der Ausübung der Macht ausgeschlossen, Hitler und seine Kumpane fürchteten sich vor ihnen, ließen aber nichts unversucht, „preußischen Geist“ seit dem „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 in der Propaganda als Verbindung von alter Größe und junger Kraft zu beschwören. Sehr zielgerichtet wurden wirkliche und vermeintliche Aussprüche Friedrichs II., vermittelt auch durch den Film, für die Stabilisierung der Diktatur, für die Eroberung anderer Länder eingesetzt. Es gehört zu den Perfidien der Diktatur, daß der Wahlspruch des Schwarzen Adlerordens als der höchsten preußischen Auszeichnung „Jedem das Seine“ als Motto über dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald stand. So endet das Begleitbuch zur sechsteiligen Fernsehreihe, die von den ARD-Sendeanstalten Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg, Sender Freies Berlin und Westdeutscher Rundfunk anläßlich des Preußenjahres 2001 ausgestrahlt wurde, mit Betrachtungen über das Verhältnis von Preußen und NS-Staat, an dessen Ende vorgeblich preußische Tugenden wie Gehorsam und Pflichterfüllung nur noch als „Munitionslieferant“ für die Durchhaltepropaganda dienten. Umsonst drehte der Ufa-Regisseur Veit Harlan mit großem Aufwand den Historienfilm „Kolberg“, mit dem den kriegsmüden, enttäuschten, verängstigten „Volksgenossen“ Kampfeswillen eingehämmert werden sollte. Die letztlich erfolglose Verteidigung der kleinen ostpreußischen Festung Kolberg gegen die französische Übermacht wird als heroischer Opfergang vorgeführt, bei dem jeder die Pflicht zur Verteidigung der Heimat hat und weiche Knie angesichts des übermächtigen Gegners Verrat an der Volksgemeinschaft sind. Als der „Film der Nation“ Anfang 1945 da und dort aufgeführt wurde, konnte er kaum etwas bewirken. Das Ende der schrecklichen Hitlerherrschaft war nicht mehr aufzuhalten.

Während an dem Ufa-Schinken noch gedreht wurde, rafften sich Offiziere zu einer tragischerweise erfolglosen Tat auf, das Attentat vom 20. Juli 1944. Unter den später hingerichteten Hitlergegnern waren auch viele Vertreter der ehemaligen preußischen Führungsschicht, die spät, aber nicht zu spät, zu der Erkenntnis gelangt waren, einem verbrecherischen Regime zu dienen, gegenüber dem ein einmal geschworener Eid keine Geltung mehr haben durfte. „Für viele Anhänger und Verehrer des alten Preußen symbolisiert der 20.Juli 1944 gleichwohl ein Datum, an dem ,das gute Preußen‘ ein letztes Lebenszeichen von sich gegeben hat“, schreibt Johannes Unger, einer der Autoren dieses lesenswerten Buches, das mit vielen, zum Teil wenig bekannten Bildern besticht. „Am Ende kann man wohl nicht von einem ,preußischen Widerstand‘ gegen die Nazi-Herrschaft sprechen, sondern nur von couragierten und vorbildlichen Persönlichkeiten wie Henning von Tresckow, die für das andere, das gute, das tugendhafte Preußen stehen.“

Indem das Buch einen Bogen von den schlimmen Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618- 1648) auf das Kurfürstentum Brandenburg, dessen Herrscher sich 1701 zum König „in“ Preußen krönte, bis zur Einvernahme preußischer Traditionen durch die Nazis schlägt, bietet es ergänzend zu der von der Schauspielerin Katharina Thalbach moderierten TV-Serie in einer verständlichen Sprache viele wichtige Informationen über einen Staat, dessen Entwicklung nicht widersprüchlicher hätte verlaufen können. Eroberungskriege mit hohem Blutzoll stehen der intensiv betriebenen Kultivierung des Landes gegenüber, Religionsfreiheit und Reformfreudigkeit kontrastieren mit administrativer Gängelung bis in persönlichste Bereiche, und ein stark entwickelter Wille zur Macht bei einigen von ihrem Gottesgnadentum besessenen Herrschern will nicht zu Mätressenwirtschaft und Entscheidungsunlust passen. Die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen, von denen sich die Hohenzollern vor allem wirtschaftlichen Aufschwung versprachen, reibt sich mit der Unterdrückung von Minderheiten, die von der Krone betriebene Förderung der Künste und Wissenschaften steht der Ausgrenzung und Verfolgung von Regimekritikern und damit auch der Vergeudung von Ressourcen gegenüber. Sanssouci und Charlottenburg, des Großen Königs sanfte Flötentöne und Schinkels bewundernswürdiger Wille zu klarer Form wollen nicht zu preußischer Blut-und-Eisen-Politik passen. Ein Soldatenkönig, der seine Soldaten in den Kasernen läßt und keinen Krieg führt, ein Flötenspieler, der sich sofort nach der Thronbesteigung in einen riskanten Krieg stürzt, ein Romantiker, der sich in mittelalterliche Zeiten zurück sehnt, Gartenparadiese hier und Gefängnisse da, Museen und Mietskasernen, Kulturkampf, der Hauptmann von Köpenick und der bramabarsierende Kaiser - all das mischt sich in dem, was unter Preußen verstanden wird, und sowohl die Fernsehreihe als auch das dazu gehörige Buch können helfen, diese Phänomene zu erklären und vielleicht auch zu verstehen. Es zeigt, daß viele Ankündigungen aus königlichem Mund reine Theorie waren, etwa der berühmte Satz Friedrichs II., wonach in seinem Reich jeder nach seiner „Fasson“ selig werden könne und „alle Religionen gleich und gut“ seien, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrlich sind. Denn wenn es darauf ankam und die Hohenzollern ihren Thron gefährdet sahen, wußten sie ihre Macht- und Marterwerkzeuge sehr wohl zu gebrauchen, wie etwa bei der sogenannten Demagogenverfolgung, in der Zeit der 48er Revolution und bei der Bekämpfung der Sozialdemokratie in der Bismarckzeit.

Hervorzuheben ist der Verzicht auf tiefschürfende Analysen und wolkige Formulierungen, vermittelt werden vor allem Zahlen, Namen und Fakten, wie es sich bei einer Chronik gehört. Doch leider endet das Buch mit dem Jahr 1947, und so muß man sich hinzudenken, wie das Thema Preußen seither hüben und drüben behandelt wurde und welche Wünsche und Emotionen es heute auslöst. Auch daß das preußische Erbe in zwei bedeutenden Kultur- und Kunststiftungen, einer Akademie der Wissenschaften und anderen Institutionen fortlebt und gepflegt wird, wäre einer Erwähnung wert gewesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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