Literaturstätten von Gudrun Schmidt

Abseits der B 96

Auf königlichen Spuren in der Luisen-Gedenkstätte Hohenzieritz

Wer von Berlin ins mecklenburgische Hohenzieritz aufbricht, schafft das an staufreien Tagen in knapp zwei Autostunden. Der Troß mit Wagen und berittener Eskorte, der sich in den Morgenstunden des 25. Juli 1810 von dem nahe bei Neustrelitz gelegenen Dorf auf den Weg nach Berlin begab, war drei Tage unterwegs. Preußens geliebte Königin Luise hatte ihre letzte Reise angetreten. Per königlicher Order war der Verlauf genau festgelegt. Am ersten Tag Station in Gransee, am 2. in Oranienburg und am Abend des 27. Juli Ankunft des Trauerzugs am Berliner Schloß. Glockengeläut war angeordnet „in allen Städten und Dörfern, welche von dem Leichenzuge berührt werden, und in all denen, welche rechts und links eine Meile von diesem Weg entfernt liegen“. Ein Land trauerte. „Vielleicht nie wurde eine Königin allgemeiner, herzlicher und aufrichtiger beweint als sie“, ist in der Sterbeurkunde der Parochie Prillwitz vom 19. Juli 1810 festgehalten.

Luise ist nur 34 Jahre alt geworden. In Hohenzieritz, wo sie starb, gibt es seit dem Sommer vergangenen Jahres wieder einen Ort des Erinnerns. Das 450-Seelen-Dorf liegt abseits der B 96. Biegt man bei Blumenholz von der stark befahrenen Straße ab, öffnet sich eine weite mecklenburgische Landschaft. In dieser Jahreszeit leuchtend gelbe Rapsfelder zwischen Endmoränenhügeln und Wiesen. Versteckt liegende Seen. Diese reizvolle Landschaft wußten auch die Herzöge von Mecklenburg-Strelitz zu schätzen. Mitte des 18. Jahrhunderts richteten sie hier ihre Sommerresidenz ein. Der große Park, den der Vater Luises, Herzog Carl Ludwig Friedrich von Mecklenburg-Strelitz, nach englischem Vorbild anlegen ließ, zählt zu den ältesten Landschaftsparks in Norddeutschland. Für das Schloß schien nach dem Zweiten Weltkrieg das „Aus“ besiegelt. Nach einer Aktennotiz aus dem Jahr 1947 galt der frühklassizistische Bau in dem damaligen Zustand als nicht verwertbar und „architektonisch sehr mäßig“. Doch er blieb erhalten. Beherbergte nach dem Krieg die sowjetische Kommandantur, diente als Kulturhaus, Kneipe, Kaufmannsladen, Gemeindebüro. Bis zur Wende hatte ein Landwirtschaftsinstitut hier sein Domizil.

Von der Dorfstraße führt eine schmale Allee zu dem alten Landsitz, der in den vergangenen Jahren sorgsam restauriert wurde. Mittlerweile ist die Verwaltung des Müritz-Nationalparks eingezogen. Drei Räume im Erdgeschoß sind dem Andenken der preußischen Königin gewidmet. Sie werden betreut vom „Förderverein Schloß Hohenzieritz e. V.“. Erstaunlich, was da in kurzer Zeit entstanden ist. „Manchmal grenzt es an ein Wunder“, sagt Hans-Joachim Engel, der die Ausstellung mit viel Liebe zum Detail und Sachverstand zusammengestellt hat. Manche Kostbarkeit oder Verlorengeglaubtes fand sich ein, so daß die Räume wieder den originalen Zustand erhalten konnten. Ein Ausstellungsbereich informiert über 300jährige Geschichte Preußens und des Herzogtums Mecklenburg- Strelitz. Aber im Mittelpunkt steht natürlich Luise, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz und preußische Königin von 1797 bis 1810. (Hier hat man sich auf die Schreibweise Louise verständigt, wie es in der Geburtsurkunde steht und vom Amt Neustrelitz festgelegt wurde.) Bilder, Dokumente, Büsten, Medaillen, Plastiken veranschaulichen Lebens- und Zeitumstände dieser außergewöhnlichen Frau. Reine Liebe war's, als sie, siebzehnjährig, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm heiratete. Nicht alltäglich in Zeiten, wo Ehen in Herrscherhäusern eher aus politischen Erwägungen geschlossen wurden. Zehn Kinder hat sie geboren. Sieben blieben am Leben. Zeitgenossen rühmten ihre Schönheit und Anmut ebenso wie ihre Klugheit und Fähigkeit, Menschen zu überzeugen. Legendenumwoben die Flucht nach Königsberg oder die Reise nach Tilsit, um Napoleon zu einem milderen Frieden zu bewegen. Von alldem erzählt die Ausstellung.

Besonders stolz ist man in Hohenzieritz auf eine Bronzestatuette „Preußische Madonna“ des Bildhauers Fritz Schaper. Sie zeigt die Königin mit ihrem 1797 geborenen Sohn Wilhelm, dem späteren Kaiser Wilhelm I. Eine Enkelin Schapers, von dem auch das Goethedenkmal im Berliner Tiergarten stammt, hatte den Nachguß gestattet. Wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, Kreise zieht, öffneten sich nach und nach Kommoden, Schränke und auch Portemonnaies von Sponsoren. Eine Neubrandenburgerin übereignete der Gedenkstätte eine Nachbildung von Schadows berühmter Prinzesinnen-Gruppe, Luise und Friederike, verehrt als die „schönen Engel aus dem Hause Strelitz“. So sind zahlreiche Exponate - Bücher, Bilder, Porzellan - Geschenke oder Leihgaben von Privatpersonen, und viele sind mit Geschichten und persönlichen Erinnerungen verbunden. Die Überraschung konnte nicht größer sein, als am Eröffnungstag anonym das Marmor-Kopfstück - eine Replik vom Sarkophag der Königin im Charlottenburger Mausoleum, abgegeben wurde. Der Bildhauer Daniel Christian Rauch hatte es geschaffen und 1834 selbst in Hohenzieritz aufgestellt. Über 55 Jahre blieb es im Verborgenen, dann wurde durch Zufall hinter einem Dachsparren im Schloß der goldene Kranz entdeckt, der zur Marmorgedenktafel im Sterbezimmer gehört. So fügte sich eins zum anderen.

Rund vierzig Mitglieder zählt der Förderverein. Preußen-Fans, Luisen-Verehrer, an Geschichte Interessierte aus Hohenzieritz und von weiter her. Sie arbeiten ehrenamtlich. Anliegen war es zunächst, so Dr. Gerhard Krenz, der Vorsitzende, für das Schloß einen Nutzer zu finden, der nicht nur auf Hotel- und Gastronomie aus war. Der promovierte Agrarwissenschaftler, der seit über dreißig Jahren in Hohenzieritz lebt, engagierte sich schon in früheren Jahren für die Erhaltung des Landschaftsparks. 1999 übernahm der Verein die Trägerschaft über die Gedenkstätte. Luise sei nicht nur eine Königin der Herzen, sondern eine vielseitige, eigenständige Persönlichkeit, Hoffnungsträgerin für die Reformer Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Hardenberg. Eine Frau, die an der Seite ihres zögerlichen, unentschlossenen Mannes versucht hat, die Dinge für Preußen zum Guten zu wenden.

Für Hans-Joachim Engel, den stellvertretenden Vorsitzenden und Leiter der Ausstellung, ist erst einmal ein Moment zum Luftholen gekommen, bevor die nächsten Schritte folgen. Vorgesehen ist die Ausmalung des Sterbezimmers. Gedacht ist auch an den Aufbau einer Luisen-Bibliothek. Als neueste Errungenschaft weist er auf eine Farblithographie, die nach einem Ölgemälde von Tischbein entstand. Sie zeigt Luise mit ihrer Schwester Friederike. Engels Begeisterung für Preußen begann in der Kindheit und blieb. Statt Geschenke zum 65. wünschte sich der Quereinsteiger und Hobbyhistoriker Bares - für den Abguß der Totenmaske Luises, die nun in der Gedenkstätte ausgestellt ist.

Ein trauriger Anlaß hat Hohenzieritz bekannt gemacht. Doch ehrfürchtige Weihe wird vermieden. Das würde auch nicht zum hier gepflegten Lebensstil passen. Das herzogliche Protokoll blieb außen vor. Degen und Hüte waren unerwünscht, das Grußzeremoniell zählte nicht, nur Pünktlichkeit war Gesetz. Wer sich verspätete, mußte Geld in eine Kasse zahlen, das den Armen zugute kam. Luise hielt sich offenbar gern hier auf. Voller Erwartungen und Vorfreude fuhr sie am 25. Juni vom Charlottenburger Schloß nach Mecklenburg. Endlich ein Wiedersehen mit dem Vater, der geliebten Großmutter, den Brüdern. Unbeschwerte Tage ganz in Familie sollten es in Hohenzieritz werden. Die Krankheit begann mit Brustfieber, verlief zunächst harmlos. Es war ein ungewöhnlich heißer Sommer. Um angenehmere Bedingungen zu schaffen, verlagerte man die Krankenstube von der oberen Etage in das Arbeitszimmer des Vaters, das auf der kühleren Nordseite lag. Nach vierzehn Tagen nahm die Krankheit einen dramatischen Verlauf. Zur Lungenentzündung kamen Herzattacken. Der König und die beiden ältesten Söhne wurden gerufen. Als sie am Morgen des 19. Juli eintrafen, blieb ihnen nur noch wenig Zeit zum Abschiednehmen.

Luise war schon zu Lebzeiten zum Mythos geworden. Wenige Jahre nach ihrem Tod wurde begonnen, das Sterbezimmer zu einer Gedenkstätte umzugestalten, die bis 1945 blieb. Die Faszination dieser ungewöhnlichen Frau, die ihrer Zeit in manchem voraus war, hält an. Ihr Bild hat viele Facetten, und jede Generation wird anderes entdecken.

Rund 7 000 Besucher haben seit der Wiedereröffnung im vergangenen Jahr Hohenzieritz besucht. Die Autos auf dem Parkplatz vor dem Schloß tragen Kennzeichen der verschiedensten Bundesländer.


Geöffnet ist die Gedenkstätte Dienstag bis Freitag von 10 bis 11 Uhr und 14 bis 15 Uhr. Sonnabend und Sonntag von 14 bis 17 Uhr.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite