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Karl Gass

Die „Geisterhöhle“

Kurz nach ihrer Inbetriebnahme (am 17. August 1732) hat der Volksmund der Königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam den Beinamen die „Geisterhöhle“ gegeben. Für das Volk war diese Kirche nicht gedacht. Es hatte keinen Zutritt. Sie war dem Hof und dem Militär vorbehalten. Sie war die Zuchtanstalt für die „Langen Kerls“, das Leibregiment des königlichen „Menschenfressers“ (Friedrich Wilhelm I.), wie Voltaire ihn genannt hatte.

Zur Einweihung erklang Chorgesang; in die Pausen zwischen den einzelnen Strophen, es waren ca. 30, knallten Gewehrsalven über die Stadt. Die feierliche Umrahmung des Ganzen besorgte preußischer Kanonendonner. Der König, Bauherr und Kirchenfürst zugleich, hatte das alles im einzelnen befohlen. Die „Geisterhöhle“ hatte damit ihre Visitenkarte abgegeben. Kirche, Krone, Kanonen und Krieg waren eins. So hat es begonnen, und so blieb es, über die Herrschaftszeit der Hohenzollern hinaus, bis zum 14. April 1945, als Potsdam und die Königliche Hof- und Garnisonkirche durch britische Bomber schwer zerstört wurden und teilweise ausbrannten.

Die von Preußenschwärmern und Wiederaufbau-Verfechtern seit Jahren verbreitete Theorie, der „Tag von Potsdam“, der 21. März 1933, sei ein Mißbrauch dieser „traditionsreichen Kirche“ gewesen, ist eine Legende. Die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam war von Anfang an eine hochpolitische, militärische Anstalt für die preußische Kriegsmaschine. Alle preußischen Könige (und Kaiser), von Friedrich Wilhelm I. bis zu Wilhelm II., hatten so etwas wie eine päpstliche Autorität über die ganze protestantische Kirche Preußens, die gegenüber der „Geisterhöhle“ besonders stark ausgeprägt war. Der Bauherr, der „Soldatenkönig“, hatte durch ihr Äußeres schon ihren militärischen Charakter deutlich gemacht. Auf dem Turm prangte eine Kanonenkugel. Das Dach über der Kanzel war mit Ritterrüstungen, Waffen und Fahnen bestückt, getreu dem Sinn und Zweck dieser „Kirche“, eine „ecclesia militans“ zu sein. In einer Reliefdarstellung war der zur Sonne aufsteigende Adler zu sehen, und der Schalldeckel trug eine Kartusche mit den Initialen „FWR“ und die Königskrone. Darüber erhob sich ein großer, aus Kupfer getriebener und feuervergoldeter Strahlenkranz, in dessen Mitte das dreieckige Gottesauge leuchtete - die Dreieinigkeit Gott, König und Vaterland! Auf beiden Seiten des Gebälks waren Helmtrophäen, Fahnen, Standarten und zwei zum Strahlenkranz aufblickende preußische Adler mit königlichem Beiwerk angebracht. Unterhalb der Kanzel markierte wiederum Trophäenschmuck den Eingang zur Gruft, die ein vergoldetes Gitter verschloß. Die Gruft war noch leer. In ihr sollte nach dem Willen Friedrich Wilhelms I. er selbst und seine Frau die letzte Ruhe finden. Ihn beruhigte der Gedanke, daß er auch in seiner Heldengruft ständig von Soldaten umgeben sein würde. Aber dazu kam es nicht; anstelle der Königin wurde Friedrich II., der „Große“, neben seinem Vater beigesetzt. Die mit der Orgel synchronisierten behelmten Engel bliesen die Trompeten und schlugen die Trommeln. An den Turmgesimsen, am Kuppeldach, an den Säulen, auf den Emporen, überall waren militärische Symbole angebracht: Fahnen, Standarten, Trophäen, Helme, Adler und mehrmals das vom „Soldatenkönig“ so geliebte „NEC SOLI CEDIT“ - Selbst der Sonne weicht er nicht - der preußische Adler. Dem von Militärköpfen ersonnenen, nach Blei und Pulver riechenden Appell- und Aufmarschsaal der preußischen Legionen fehlte ein schwingendes Geläut, das den Befehl zum Erscheinen beim „Gottesdienst“ hätte bedeuten können. So wurde der Beginn des Soldaten-Appells in der Kirche ersatzweise durch - wie konnte es anders sein? - lautstarke, weithin hallende Trommelwirbel angezeigt. Ein schwingendes, friedliches Geläut lag überhaupt nicht in der Absicht des Bauherren, das wäre ein seinem Zweck zuwiderlaufendes Element gewesen. Auf dem Weg zur Garnisonkirche begegneten die „Langen Kerls“ bereits mancherlei mythologischen Gestalten. Sie kamen an einer bärtigen und nackten, mit Löwenfell und Keule bewaffneten Herkulesfigur vorbei, sie begegneten dem Feuergott Vulkan und einigen Zyklopen - allesamt Sinnbilder des Krieges und der Soldatentugenden Kraft, Mut und Tapferkeit. Und in der Kirche war der zentrale Blickpunkt für die Hof- und Soldatengemeinde, der etwa 3 400 Plätze zur Verfügung standen, die mit militärischen Symbolen überladene Kanzel, die rechts und links von den römischen Kriegsgottheiten, Mars und Bellona, flankiert war - überlebensgroß und ebenfalls aus Marmor.

Mit dem Marmorkomplex - Kanzel, Kriegsgottheiten, Orgel und Gruft - war ein mächtiger „Fanfarenstoß“ entstanden, ein unübersehbares, Eindruck erheischendes Signal der ganz auf das Militärische orientierenden Garnisonkirche der Hohenzollern, worüber schließlich im März 1933 ein Potsdamer Obermagistratsrat, Dr. Friedrich Bestehorn (NSDAP), schreiben konnte: „Der Potsdamer Geist ist fromm. Die Garnisonkirche, an ihren äußeren Fassaden geschmückt mit Gewehren, Trommeln und Pfeifen, übertönt mit ihrem Stundenchoral vom Glockenturm die alte Soldatenstadt. Hier schlägt das Mahngewissen des Potsdamer Geistes: ,Üb' immer Treu' und Redlichkeit, bis an dein kühles Grab, und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.‘ Der Potsdamer Geist ist bejahend und vorwärts stürmend, er ist immer gläubig. Die Gläubigkeit an einen in der Zukunft liegenden Idealzustand seines Vaterlandes ist an sich ein besonderer Zug deutschen Wesens. Kampfbereitschaft und die Freude am Heldischen, diese beiden Tugenden sichern dem Potsdamer Geist irdische Ewigkeit.“ Der Mann hatte bedauerlicherweise recht. Er hat seine Theorien 200 Jahre nach der Inbetriebnahme der „Geisterhöhle“ niedergeschrieben und damit eine ungebrochene Gesinnungskontinuität zum Ausdruck gebracht, die in Kriegen und Eroberungen eine vordringliche, nationale Aufgabe sah. Dieser „Potsdamer Geist“ scheint auch heute wieder umzugehen. Das „Preußenjahr 2001“ ist dafür ein willkommener Anlaß. Vor allem für (ehemalige) hohe Militärs und Nachkommen der Hohenzollern, die den Wiederaufbau der Garnisonkirche befürworten und ihn so schnell wie möglich herbeiführen wollen. An der Spitze dieser Initiative stehen der Oberst a. D./d. R. Max Klaar aus Bonn und der Ex-General der Bundeswehr Jörg Schönbohm, brandenburgischer Innenminister und Vorsitzender der brandenburgischen CDU, der, als er in dieses Amt gewählt wurde, sein Rednerpult mit einer überlebensgroßen Statue Friedrichs II. (er sagt: Friedrich der Große) hat flankieren lassen.

Der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche ist mit 20 Millionen DM veranschlagt. Knapp die Hälfte hat der Vereinskommandeur der „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V.“, Oberst a. D. Max Klaar, bei seiner Klientel bereits gesammelt, und er meint: „Der Bau kann beginnen.“ Schönbohm, inzwischen Vorsitzender der Stiftung preußisches Kulturerbe, hat soeben Ziel, Programm und Zeitplan für die beabsichtigten Baumaßnahmen verkündet. Dies und auch alles Bisherige geschah, ohne mit der zuständigen Kirchenleitung auch nur ein Wort zu reden. Das zeugt von einer sehr bedenklichen Annäherung an diktatorische Methoden. Es ist aber nicht so, als hätte sich die Potsdamer Kirche zu solchen Plänen nicht geäußert, wie Schönbohm behauptet. Seit vielen Jahren schon liegt eine Erklärung des Gemeindekirchenrates dazu vor, verfaßt und unterzeichnet von Pfarrer Uwe Dittmer, inzwischen außer Diensten. Darin heißt es zu den Wiederaufbau-Plänen: „Aus dem Geist Jesu Christi heraus ist es nicht zu verantworten, eine Kirche ohne Bedarf zu errichten. Von vornherein eine Zweckentfremdung zu planen, entspricht dem 19. Jahrhundert (Moschee als Pumpstation) und verhöhnt die Gefühle der Glaubenden einer Religion ... Die allgemeine Weltlage, in der täglich 40 000 Kinder an den Folgen der Armut, des Hungers und der fehlenden medizinischen Versorgung sterben, erlaubt keine Investition auf einer wie auch immer formulierten moralischen Grundlage für ein Kirchengebäude, das nicht benötigt wird. Auch wohlverstandener preußischer Geist widerspricht einer unsinnigen Geldausgabe in solchen Größenordnungen. Der Gemeindekirchenrat ist der Überzeugung, daß es an der Heilig-Kreuz-Gemeinde, die der einzige Eigentümer dieser Kirche sein könnte, keinen Weg vorbei gibt, wenn jemand einem Kirchenbauprojekt nähertreten will.“ Zu dieser Argumentation gegen den Aufbau der Kirche gehört auch die Vermutung, daß „wir keine Königsfamilie nach Potsdam bekommen, noch daß Militäreinheiten geschlossen zum Gottesdienst geführt werden“, wie das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges der Fall war.

Innenminister Schönbohm will die Kirche, so seine Erklärung, wieder als „Gotteshaus“ errichten - als wisse er nicht, daß sie das bis April 1945 niemals war. Ob er das wirklich nicht weiß? Für diesen Fall wäre ihm einschlägige Literatur und gründliches Quellenstudium zu empfehlen.

Unzweifelhaft ist, daß die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, von den Nationalsozialisten nicht mißbraucht worden ist, sondern daß sie diesen „Ruhmestempel der Hohenzollern“ ganz der bisherigen Praxis entsprechend genutzt haben. Beide, Hindenburg und Hitler, haben sich auf den „großen“ Friedrich berufen, das Stundengeläut „Üb' immer Treu' und Redlichkeit bis an dein kühles Grab ...“ wurde an diesem Tag dem Deutschlandsender als Pausenzeichen verordnet. Alles, was von November 1918 bis Januar 1933 von „nationalen Verbänden“ an preußischem Gedankengut vererbt und gepflegt worden war, in der Reichswehr vor allem, von deren Offizieren und Generälen, marschierte auf zur Parade: „Der Stahlhelm“, die Soldatenverbände, die Veteranen des Ersten Weltkrieges, die preußischen Traditionsvereine, voran die Reichswehr - sie alle marschierten mit, eine Konzentration preußischer Traditionen mit dem wiederauferstehenden „Potsdamer Geist“, wie sie seit 14 Jahren vermißt worden war. Und sie alle nutzten in den folgenden Jahren die Garnisonkirche für ihre Jubiläen, ihre Gedenktage, ihre Heldenverehrungen und zum feierlichen „Gottesdienst“ anläßlich aller historisch bedeutsamen Tage der preußischen Geschichte, in erster Linie die der gewonnenen Schlachten - wie das zwei Jahrhunderte hindurch von den preußischen Herrschern gehandhabt worden ist. Dazu gehörten auch die Geburts- und Todestage „großer“ preußischer Könige, Friedrich II. an der Spitze, mit einschlägigen Zitaten, zeitgenössischen Märschen und oft auch mit der Präsentation historischer Tafeln und Bilder. Die Vereidigung der Rekruten und die Höhepunkte der Offizierslehrgänge wurden wie zu Königs- und Kaisers Zeiten festlich begangen. Von „Mißbrauch“ konnte keine Rede sein. Adolf Hitler selbst eiferte dem „großen“ König nach. Wie dieser hatte auch der „große“ Kanzler keine Zeit und wenig Neigung zu Auftritten in der „Geisterhöhle“. Dafür nutzte sie die Hitler- Jugend recht gründlich für Vereidigungen und bei Neuzugängen von Gauen anläßlich der faschistischen Eroberungen wie Saarland, Memel, Österreich und Sudetengau. Auch das geschah - ganz im Stile alter preußischer Vorbilder - mit Paraden. Bei solchen Veranstaltungen waren die Reden der Garnisonprediger, der alten und der neuen, von erstaunlichem Gleichklang. Können Sie, verehrter Leser, erkennen, welcher Zeit die nachfolgenden Predigt-Ausschnitte zuzuordnen sind? Vielleicht verrät es der Redestil.

„Die Hand der kindlichen Unschuld wird beim Schlußgesang unserer Feier diese Tafel mit Kränzen und frischen Blumen schmücken, euch zur Ehre und zum freundlichen Sinnbild der heiteren Gefühle der Hoffnung, die in dieser festlichen Stunde unser Herz erheben und erweitern ... Es ist eine der glücklichsten und ehrenvollsten Augenblicke meines Lebens, wo ich mich des ... Befehles entledige, im Namen des Vaterlandes und der Religion die innigsten Gefühle der Achtung und der Dankbarkeit ausgesprochen zu haben, die euch gebühren. Der Gott, der in des Kampfes heißer und gefahrvoller Stunde euch stärkte und beschirmte, sei und bleibe eure Zuversicht für und für, wo euch eure letzte Stunde auch finden mag, sei es auf dem Sterbebett oder, was ihr lieber wünschen werdet, auf dem ehrenvollen Schlachtfelde.“

Zwei weitere Ausschnitte aus den Predigten der Garnisonpfarrer lauten so: „Wer ist ein Mann? Der sterben kann für Freiheit, Pflicht und Recht. In Sturm und Wetter, in Angst und Grauen, in Not und Tod soll es heißen: Ich will mich lieber bei lebendigem Leibe in Stücke hauen lassen, als daß ich ein Feigling, ein Verräter, ein ehrloser Mann werde. Der ist ein Mann, der sterben kann ... Wer als Christ glauben und beten kann, der wird freudig sein zu jeder harten Arbeit und schweren Pflicht, auch freudig zum Bluten und Sterben ...“

„Das Grab ist des Lebens Ende nicht. Es gibt einen Sieg! Es gibt ein Auferstehn! Das hat der Gottessohn am Ostertag ans Licht gebracht, daß er uns führe zur Reife der Persönlichkeit, die Gott ihr Leben antragen darf im heiligen Tod fürs Vaterland. ,Was Tod, was Leid, mich brennt ein Eid. Der brennt wie Feuersbrände, durch Herz und Mark und Hände. Drum: Ende es, wie es ende, ... ich bin bereit!‘“

Dies sind Ausschnitte aus Predigten der Garnisonpfarrer, die mit einem Abstand von hundertundfünfundzwanzig Jahren gehalten wurden: zwei am 7. November 1935 bzw. am 6.März 1938, letztere anläßlich des Heldengedenktages, die dritte im Frühjahr 1810 von Garnisonprediger und Bischof Eylert nach Rückkehr der königlichen Familie (Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise) aus ihrem Fluchtort Königsberg - in deren Anwesenheit.

Noch einmal: Vom „Mißbrauch“ der Garnisonkirche kann keine Rede sein. Getreu ihrer zwei Jahrhunderte lang praktizierten Bestimmung, Soldatenkirche, Militärtempel, Kriegskirche zu sein, wurden die entscheidenden Traditionen der Garnisonkirche fortgesetzt, und alle „vaterländisch“ gesinnten schwarzweißroten Kräfte des alten Reiches und der neuen Macht haben sich mit ungebremster Begeisterung daran beteiligt. In allen steckte noch die Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Nun gab es endlich Hoffnung auf eine echt preußisch-großdeutsche Revanche - wie damals, nach dem Debakel von Jena und Auerstädt, der Sieg über Napoleon 1813/14. Der feierliche Jubel in der „Geisterhöhle“ zum Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig gehörte vor 1933 wie auch danach, ebenso wie der „Sieg von Sedan“, am 2. September 1870, zum Potsdamer Jubiläumskalender der Garnisonkirche. Das Potsdamer Infanterie-Regiment Nr. 9, das preußischste aller preußischen Regimenter, war an solchen und ähnlichen Tagen Hauptträger jedes kirchlich-militärischen Spektakels, sowohl bei den Paraden als auch bei der Marschmusik und im Soldatenchor. Das Infanterie-Regiment Nr. 9 war vor 1933 und noch intensiver nach 1933 d a s Parade-Regiment der Potsdamer Garnison.

Die Predigt des Bischofs Eylert (1810) und auch andere dieser Art ließen Königin Luises Herz so sehr höher schlagen, daß sie den Wunsch äußerte, alle diese Kanzelansprachen des Bischofs und Garnisonpredigers drucken zu lassen, damit auch ihre preußischen Untertanen sich daran bilden und erfreuen könnten. Noch bevor dieser allerhöchste Wunsch erfüllt werden konnte, starb die Königin. Der geschmeichelte Bischof und Garnisonprediger hat aber diesen Auftrag als Befehl empfunden, den es - nun erst recht! - auszuführen galt. Auf Anregung des Königs, der an ein „würdiges“ und „ewiges“ Gedenken für die Verstorbene dachte, an ein „Weiterleben im Herzen des Volkes“, hatte der Herausgeber angekündigt, daß der Erlös aus dem Verkauf seiner gesammelten Predigten einem Stiftungsfonds zugeführt würde, aus dem alljährlich, zum Todestag der Königin, drei „unbescholtene und tugendhafte arme Mädchen“, die in der Garnisonkirche zum Traualtar schritten und den damaligen Vorstellungen von Sittenreinheit, Menschenfreundlichkeit gegen Hilfsbedürftige sowie den Normen des ehelichen und häuslichen Lebens entsprachen, mit hundert Talern ausgestattet werden sollen. So ließe sich „im Geiste der Vollendeten“ viel Gutes tun, meinte der Bischof. Mit diesem königlichen, bischöflichen und dem jenseitigen Wind im Rücken hat der brave Eylert 4 197 Exemplare seiner Predigten verkauft, was ein Kapital von 8 148 Talern und 20 Groschen erbrachte. Das war der Grundstock für die Stiftung „Luisens Denkmal“. Ein Collegium unter dem Namen „Familienrath über Luisens Denkmal“, dem auch der jeweilige Stadtkommandant angehörte, hatte über die richtige Beurteilung und Gewissenhaftigkeit in allen Angelegenheiten, die „Luisens Denkmal“ betrafen, zu entscheiden. War der Heiratskandidat ein preußischer Soldat, steigerte sich die Chance für die Auszahlung der 100 Taler ganz erheblich.

Für die bis heute anhaltende „Verehrung“ der Königin Luise in Potsdam, Berlin und drumherum als „Mutter der Nation“ mit allen damit in Zusammenhang zu bringenden hehren Eigenschaften war der Grundstein gelegt. Die dem Tod „auf dem ehrenvollen Schlachtfelde“ gewidmeten Predigten hatten den Nerv der der Kriegspartei angehörenden Luise zutiefst getroffen. Aber so „unbescholten und tugendhaft“, wie es jährlich von den drei jungen, armen Mädchen verlangt wurde, die auf die 100 Taler aus „Luisens Denkmal“ hofften, war sie bei weitem nicht. Unmißverständliche Zeugnisse dafür haben u. a. Alexander von Humboldt, Freiherr vom und zum Stein, Hardenberg, Gneisenau und Varnhagen van Ense hinterlassen. Die von ihr so favorisierte Todesbereitschaft auf dem Schlachtfeld - für Gott, König und Vaterland - war schon deutlich geworden, als das Programm des Potsdamer Glockenspiels im Jahre 1797 auf ihren Wunsch hin geändert wurde. Seither klang vom Glockenturm der Königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam die Melodie des „Üb' immer Treu' und Redlichkeit, bis an dein kühles Grab ...“ über die Soldatenstadt. In deren damaligen Zustand und angesichts der davon bestimmten Atmosphäre, konnte dieser Text nur auf das Soldatische bezogen sein, auf den Heldentod. Das anheizende „Hunde! Wollt ihr ewig leben?“ des „großen“ Königs, dessen Tod erst 11 Jahre zurücklag, bestimmte nach wie vor das Klima im preußischen Heer. Auch hier war eine Quelle der von den Nazis übernommenen und weiter geführten Tradition. Die zum „treuen Sterben“ auffordernde Melodie des Potsdamer Glockenspiels wurde, wie schon gesagt, mit dem „Tag von Potsdam“ Pausenzeichen des Deutschlandsenders. Auch hier kein „Mißbrauch“, sondern Kontinuität, Traditionspflege, Fortsetzung, Bekenntnis zum „Potsdamer Geist“. In einem Interview, das Ex-General Jörg Schönbohm der Zeitschrift des deutschen Reservistenverbandes „loyal“ (Ausgabe Juni 2000) gegeben hat, äußerte er als Befürworter einer Wiederauferstehung der Garnisonskirche unpreußisch wortreich: „Mit dem Stadtschloß und dem Turm der Garnisonkirche verhelfen wir der Stadt zu neuem Leben und stiften einen neuen und zugleich alten Identitäts- und Integrationspunkt ... Nichts ist verloren, was in den Herzen der Menschen vorhanden ist. Ich freue mich auch für die Potsdamer auf die vor uns liegenden Aufgaben ... Die Garnisonkirche stand und steht für christliche Tugenden, die auch in dem Glockenspiel ihren Ausdruck fanden und zugleich aufforderten, immer Treue und Redlichkeit zu üben ... Preußische Herrscher haben aus Gehorsam gegen Gott und aus Respekt vor der Schöpfung ihre Regentschaft so verstanden, daß ihr Staat seinerzeit Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, sozialen Ausgleich und anständigen menschlichen Umgang in dem seinerzeit möglichen Maß verwirklichte. Das war modern und ist es bis heute geblieben. Die Grundrechte des Grundgesetzes stehen in historischer Kontinuität dazu ... Meiner Meinung nach ist die preußische Staatsidee ohne das Christentum mit den 10 Geboten und der Forderung nach Nächstenliebe gar nicht denkbar ... Ich halte den Wiederaufbau des Turms mit seiner Symbolkraft für eine Aufgabe von großer nationaler Bedeutung ... Ich denke, daß jetzt auch der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sich die beiden Konfessionen dazu äußern sollten. Auch wenn kirchlicherseits keine finanziellen Mittel dafür vorhanden sind, so kann man doch das Gelingen des Wiederaufbaus mit Spendenaufrufen und Gebeten positiv unterstützen. Die Kirchen sollten sich ruhig mehr zutrauen ... Wenn die christliche Prägung brandenburgisch-preußischer Herrscher die preußische Staatsphilosophie wesentlich formen half und wir heute die positiven Tugenden wieder lehren und einhalten wollen, und darum geht es doch hier, dann werden wir mit unserem Land auf dem Weg zur Vollendung der deutschen Einheit bestmöglich voranschreiten ... Aber ich will nicht allein von den Tugenden sprechen, ohne dabei das Wesentliche zu bedenken: Treue im Dienst, Disziplin, Pflichterfüllung, Gehorsam gegen das Gesetz, Sparsamkeit, Unbestechlichkeit und vieles andere mehr bedürfen der Freiheit für einen gedeihenden Staat. Und nur der Mensch kann frei sein, der sein Handeln unter das Recht stellt. Freiheit und Recht schließen sich so nicht gegenseitig aus, sondern bedingen einander.“

Allerdings, ob dies die Potsdamer so sehen und wünschen, ist offen. Auf die Idee einer Volksbefragung ist noch niemand gekommen. Die „Traditionsgemeinschaft ...“ des Oberst a. D. Max Klaar, so erfährt man aus dem Schönbohm-Interview, will über Spendenaufrufe und -rundschreiben hinaus (die inzwischen eine Summe von 8 Millionen DM eingebracht haben) eine Stiftung ins Leben rufen, mit deren Hilfe das neu zu schaffende Gebäude auf Dauer gesichert und in Betrieb gehalten werden soll. Schönbohm ergänzte diese Idee mit einem weiteren Griff in die Potsdamer Militär-Traditionen: „Wenn diese Stiftung eines Tages ins Leben gerufen wird, sollte sie ,Friedrich-Wilhelm-I.-Stiftung‘ heißen, denn dessen Regierungsmotto lautete: ,So ich denn baue Stadt und Land und mache nicht Christen, ist alles nichts nütze.‘“ Doch ungeachtet dessen, daß Friedrich Wilhelm I. ein gläubiger Christ und Friedrich II. ein Atheist war, ist festzustellen: So wenig, wie die Königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam eine Kirche war, so wenig war es ihre Funktion, aus dem „Leibregiment“ des „Soldatenkönigs“, den „Langen Kerls“, vom Geist der Nächstenliebe erfüllte Christen zu machen. Diese Kirche war nach dem mehrfach zum Ausdruck gebrachten Willen aller preußischen Könige eine „wirkliche militärische Stiftung“. Die Könige hatten eine Art von päpstlicher Autorität über das ganze preußische Kirchenwesen. Ihre Eingriffsmöglichkeiten in die Kirchenordnungen, in die Lithurgie und in die priesterliche Kaderpolitik waren uneingeschränkt. Diese Art von militärischer Autorität und deren Wiederauferstehung scheint den Wiederbelebungsverfechtern vorzuschweben.

Im preußischen Kirchenwesen ist die Immediatstellung der Potsdamer Garnison-Gemeinde mehr als 200 Jahre hindurch erhaltengeblieben - unerschütterlich! Gelegentliche Versuche von Hof- und Garnisonpredigern, die für die zivilen Gemeinden geltende Kirchenverfassung durchweg zur Geltung zu bringen, sind immer wieder gescheitert. Die „Militär-Kirche“ war das Exerziergelände aller preußischen Könige, wo allein ihre Vorstellungen und ihre Befehle galten. Sie ordneten an, welche Siegesfeiern, Fahnenweihen, militärischen Gedenktage, Ordens- und Standarten-Verleihungen, mit militärischer Umrahmung ausgestattete Familienfeste, Trauerfeiern für verstorbene Majestäten, die Würdigung siegreicher Schlachten, die Einstimmung der Potsdamer Regimenter auf den nächsten Waffengang, welche Veranstaltungen („Gottesdienste“) der verschiedensten Art, die etwas mit Krieg und Kriegsdienst zu tun hatten (Vereidigungen beispielsweise), in der Exerzierhalle ihrer Kirche durchgeführt wurden. Das und die Furchterzeugung vor Gott und dem jeweiligen Herrscher waren die Funktionen dieser „Kirche“.

Schon ihr Bauherr, Friedrich Wilhelm I., dessen Name die geplante Stiftung zieren soll, hat, wie bereits beschrieben, aus dieser Zweckbestimmung kein Geheimnis gemacht. Nach dem siegreichen Feldzug gegen Napoleon, am 2. Februar 1814 - der König, Friedrich WilhelmIII. befand sich noch in Troyes, in Frankreich - , richtete Se. Majestät an seinen Hof- und Garnisonprediger, Bischof Eylert, ein Handschreiben, in dem er seine Absicht erläuterte, die im Krieg gegen das verhaßte Frankreich erbeuteten Adler, Fahnen und Standarten in der Garnisonkirche zu etablieren. An „Heiliger Stätte“, neben der Totengruft seiner großen Ahnherren (Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II.) sollten die neuen Siegeszeichen Aufstellung finden und den fast hundert Jahre genossenen Anblick der marmornen Kriegsgottheiten des alten Rom, Mars und Bellona, die Napoleon einst beim Besuch der „Geisterhöhle“ zu einem spöttischen „Bah!“ veranlaßt hatten, durch Sinnbilder preußischer Siege ersetzen. Der „große Ahnherr“, Friedrich II., hatte mit der Zurschaustellung einiger Siegeszeichen schon einmal einen bescheidenen Anfang gemacht. Nun wurde das zu einem den weiten Raum des Kirchenschiffs umfassenden Prinzip eines zusätzlichen militärischen Schmucks. An Siegen in den kommenden Schlachten und an dabei zu erbeutenden Trophäen sollte es in Zukunft noch weniger fehlen als bisher. In seinem Antwortschreiben bedankte sich Eylert für des Königs Entscheidung. Er meldete pflichtgemäß die Überführung der römischen Kriegsgottheiten in das Potsdamer königliche Schloß und versicherte: „Die dadurch leer gewordenen Stellen erwarten nun als heilige Symbole die errungenen Trophäen des Kampfes für das Vaterland. Wo könnten sie auch besser und sprechender aufgestellt werden als an der Gruft Friedrichs des Großen - an dem Orte, wo Euer Königlichen Majestät Garden sich zum Gottesdienst versammeln und beim Anblick dieser Trophäen an eine Zeit und an Thaten der Tapferkeit und des Edelmutes erinnert werden, die in der Geschichte der Welt ein unsterblicher Glanz umgibt.“

1816 kamen die königlichen Absichten zur Ausführung. Zunächst, am 4. Juni 1816, gab es in der Königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam eine von Friedrich Wilhelm III. angeordnete Trauerfeier für die „im Kampf Gebliebenen“. Im Laufe des Novembers 1816 fanden dann der Reihe nach für jedes Garderegiment der Potsdamer und Berliner Garnison eine besondere Heldenehrung für lebende wie für tote Kriegsteilnehmer statt. Bei jeder dieser Feiern wurden Ehrentafeln mit den Namen derjenigen aufgestellt, die das „Eiserne Kreuz“ erhalten hatten. Jedem Regiment war für diesen Zweck eine große Tafel gewidmet. Nach einer kurzen Lithurgie und einer Ansprache des jeweiligen Militärpfarrers traten zwölf weiß gekleidete Jungfrauen auf und schmückten die frische Ehrentafel mit Eichen- und Lorbeerkränzen. So drapiert, wurden die Tafeln zu dem ihnen bestimmten Ort an den Emporen hochgezogen. Danach fand im Lustgarten die Parade statt. Den Höhepunkt bildete eine „erhabene Feier“ am 25. Dezember 1816, in deren Verlauf die in dem „ruhmvollen Krieg“ erbeuteten Siegestrophäen in der Garnisonkirche Aufstellung fanden. Das „Gotteshaus“ wurde zum Zeughaus. Mit diesem Vorgang hat der „unglaublich beschränkte König“ (Franz Mehring) die Garnisonkirche mit ihren bisher errungenen Beinamen als „Geisterhöhle“, „Soldatenkirche“, „Militärtempel“ endgültig zur „Ruhmeshalle der Hohenzollern“ gemacht. In ihr fanden nun auch die Trophäen aus den Kriegen 1864 (gegen die Dänen - Düppeler Schanzen), 1866 (gegen Österreich - Königgrätz) und 1870/71 (gegen Frankreich - St. Privat und Sedan) ihren auserwählten Platz. Bis zum Ende der Hohenzollern-Herrschaft waren alle Säulen im Innern des „Ruhmestempels“ mit solchen Fahnen und Standarten drapiert, die dann in schräg gestalteten Körben standen, so daß sie sich in wohlgefälligen Falten zu den „Kirch“gängern hin neigten. Heinrich Heine hat mit seiner spritzigen Ironie diesen König treffend geschildert: „Außerdem ist der König ein sehr religiöser Mann, er hält streng auf Religion, er ist ein guter Christ, er hängt fest am evangelischen Bekenntnisse, er hat selbst eine Lithurgie geschrieben, und er glaubt an die Symbole - ach! ich wollte, er glaubte an den Jupiter, den Vater der Götter, der den Meineid rächt, und er gäbe uns endlich die versprochene Konstitution. Oder ist das Wort eines Königs nicht so heilig wie ein Eid? Solange der König von Preußen diese heilige ,Obligation` nicht erfüllt, solange er die wohlverdiente freie Verfassung seinem Volke vorenthält, kann ich ihn nicht gerecht nennen: Und sehe ich die Windmühle von Sanssouci, so denke ich nicht an preußische Gerechtigkeit, sondern an preußischen Wind.“

Das alles sind Urteile, Bekenntnisse und Einschätzungen, die das Preußenbild der heutigen zivilen und uniformierten Preußenschwärmer in Unordnung bringen. Es wird ihr Geheimnis bleiben, wieso der „Wiederaufbau des Turmes mit seiner Symbolkraft ... eine Aufgabe von großer nationaler Bedeutung“ sein soll.



Zum „Preußenjahr 2001“ sind zwei interessante Bücher von Karl Gass zu empfehlen (d.Red.):
Der Militärtempel der Hohenzollern
Aus der militanten Geschichte der Königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam.
Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1999, 320 S.

Zielt gut, Brüder!
Das kurze Leben des Max Dortu
Märkischer Verlag, Wilhelmshorst bei Potsdam 2000, 178 S.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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