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Dieter Weigert

Offizier und Dichter - Bilder
aus Preußen

Preußens schreibende Offiziere im Berliner Umfeld (Teil I)

Der schreibende und publizierende Offizier ist in den ersten 150 Jahren preußischer Geschichte eine Ausnahmeerscheinung - im Militär und im literarischen Leben. Einige wenige ragen qualitativ heraus, junge Leutnants versuchen sich in Poesie, manche quittieren den Dienst, um sich freiberuflich der Dramatik oder Lyrik zu widmen oder ihre technisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse und publizistischen Fähigkeiten zu vermarkten.

Heute noch kann man auf dem Alten Berliner Garnisonfriedhof an der Linienstraße (Berlin-Mitte) die Grabanlagen und auch künstlerisch wertvollen Grabplastiken der beigesetzten Literaten bewundern; daher sei es erlaubt, hier einige dieser Offiziere vorzustellen, für die Berlin Teil ihrer militärischen Laufbahn, ihren Wohnsitz oder ihre literarische Wirkungsstätte bedeutete.

Zurückhaltung, Abneigung, zum Teil sogar Auflehnung gegen den „gelehrten Offizier“ ist in der preußischen Armee im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts weit verbreitet. Es wurde an anderer Stelle in dieser Zeitschrift (12/2000) dargestellt, welches Aufsehen in der Garnisonstadt Prenzlau der „Sonderling“ Karl Andreas von Boguslawski hervorrief, der naturwissenschaftlich, historisch, fremdsprachlich und musisch begabt war und als Absolvent des Berliner Kadettenkorps und Schüler Karl Wilhelm Ramlers vielfältigen literarischen Interessen nachging. Wir verfügen über ein literarisches Zeugnis aus dieser Periode - die Memoiren („Militärische Laufbahn des Verfassers“, enthalten im Buch Abriß zu einer sublimen Kriegskunst, Berlin 1808) des damaligen Fähnrichs im Prenzlauer Infanterie-Regiment Julius von Voß.

Julius von Voß (24. 8. 1768- 1. 11.1832)
Die militärische und literarische Laufbahn des Julius von Voß soll für jene „Aussteiger“ stehen, die nach einem mehrjährigen Offiziersdienst die preußische Armee verließen und sich voll dem Risiko des freiberuflichen Lebens stellten.

Voß war ein ausgezeichneter Offizier, Autodidakt, technisch und wissenschaftlich befähigt. Auf seine Initiative und auf seine Planungen geht die erfolgreiche Verteidigung der befestigten Stadt Thorn im Jahre 1794 gegen die Truppen der polnischen Insurgenten unter Führung der Generale Dabrowski, Madalinski und Bielamowski zurück. Für diese militärische Leistung erhielt er den Orden Pour le mérite. Mangelnde Selbstdisziplin, ungezügeltes Temperament und blindes Vertrauen in den „gerechten König“ führten Leutnant von Voß nach 1794 angesichts der täglichen Ungerechtigkeiten, des Nepotismus, der persönlichen Kränkungen durch Vorgesetzte in eine Karriere-Sackgasse, der er nur durch den radikalen Bruch mit der dennoch geliebten Armee entfliehen konnte. Den ungestümen Kämpfer gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse der Armee jener Tage liest man aus jeder militärtheoretischen Schrift heraus, die er vor und nach 1806 publizierte. Von den über zwanzig zeitgeschichtlichen, militärwissenschaftlichen und politischen Publikationen sind als bedeutend zu nennen: Beiträge zur Philosophie der Kriegskunst, 1804; Geschichte eines bei Jena gefangenen preußischen Offiziers, 1807; Was war nach der Schlacht von Jena zur Rettung des preußischen Staates zu thun?, 1807; Fragmente über Deutschlands Politik und Kriegskunst, 1807; Anleitung zur sublimen Kriegskunst, 1808; Feldtaschenbuch für junge Freiwillige, 1813; Sendschreiben eines Brandenburgers an die Bewohner Rheinpreußens, 1818). Die militärische und gesellschaftliche Katastrophe Preußens von 1806 sieht er wie viele seiner sinnesverwandten Kollegen voraus, bleibt aber ohne Einfluß, da außerhalb der Armee.

Das Theater hatte ihn immer angezogen, sehr zum Leidwesen der Eltern, die eine exzellente militärische Karriere von ihm erwarteten. Schon während der Abkommandierungen nach Berlin zur militärischen Weiterbildung in den Wintermonaten war er mehr in den Theatersälen als in den Unterrichtsräumen zu sehen. Nach dem Ausscheiden aus der Armee im Jahre 1798 hatte sich Julius von Voß auf Reisen in Frankreich, Österreich, Italien und Dänemark mit modernen Entwicklungen in der Dramatik und dem Lustspiel bekannt gemacht. Seine Bestrebungen nach einer festen Theater-Anstellung oder gar der Leitung eines Berliner Theaters bleiben ergebnislos, trotz der Bekanntschaft mit E. T. A. Hoffmann, die aus der Militärzeit in der Festung Glogau zwischen 1796 und 1798 herrührte.

Auf dem Berliner Theater ist er 1804 erstmalig mit der Übersetzung der „Armide“ von Quinault (Paris 1802) zu sehen, es folgen Lustspiele und Possen (u. a. „Ton des Tages“, 1805; „Der Bankerott“, 1805; das wohl bekannteste Stück „Künstlers Erdenwallen“, in dem er sich in der Rolle des Magister Lämmermeier selbst charakterisiert). Der Philosoph Immanuel Kant und der Dramatiker Friedrich Schiller sind seine Leitsterne, den Kreis der Romantiker um die Gebrüder Schlegel, de la Motte Fouqué und die romantische Graecomanie bekämpft er mit Hohn und Satire. Der „Almanachskatholizismus“ ist ihm verhaßt, bigotte Frömmelei wird in ihrer christlichen und jüdischen Gestalt satirisch behandelt („Die Flitterwochen“, 1818; „Die Griechheit“, 1807; „Der Berlinische Robinson“, 1810).

Voß gilt als einer der letzten Berliner Aufklärer, den Ideen und Idealen der Zeit Friedrichs II. verhaftet und fast hilflos den neuen ökonomischen und moralischen Tendenzen des anbrechenden 19. Jahrhunderts ausgesetzt. Aus der fast unübersehbaren Menge seiner literarischen Produkte ragen diejenigen Werke heraus, die der Darstellung des Berliner Kleinbürgertums gewidmet sind. Auf diesem Felde kann man ihn als Bahnbrecher sehen („Die Schildbürger“, 1823; „Fräulein, Mamsell und Jungfer Kunkel“, 1817).

Ein bedeutender Teil seiner über 200 Werke sind Prosaschriften. Darunter sind die folgenden Romane und Erzählungen erwähnenswert: Ignatz von Jablonsky oder die Lebenden in den Tiefen der Weichsel, 1806 (ein in der jüngsten Vergangenheit spielender Abenteuerroman mit den Fortsetzungen Die Versöhnung mit dem Schicksal und Die Geschichte eines österreichischen Parteigängers aus dem Jahre 1809; spürbar ist deutlich der Einfluß Friedrich Schillers), Gemälde der Verfinsterung in Abessinien, 1818 (eine heute noch lesbare, köstliche bittere Satire auf die romantischen Philosophen um die Gebrüder Schlegel, die den afrikanischen Ländern die neuesten Kulturerrungenschaften Europas bringen möchten), Florens Abenteuer in Afrika, 1808 (ebenfalls ein dem Zeitgeist entsprechender Abenteuerroman - in loser Fortsetzung des Romans Ignaz von Jablonski).

Das Lustspiel „Der Stralower Fischzug“ war von Julius von Voß programmatisch in der Vorrede als Volksstück mit Gesang konzipiert worden. Am 18. Oktober 1821 überaus erfolgreich im Königlichen Opernhaus Berlin uraufgeführt, machte es Voß über Nacht berühmt. Für die Berliner war es sofort ihr Stück, nicht zuletzt auch, weil ihr Dialekt und auch das sehr verwandte Plattdeutsche auf die Bühne gebracht wurde. Die professionelle Theaterkritik war gespalten, die Verrisse kräftig. Aber Volkes Stimme gab den Ausschlag, wie zwei Wortmeldungen in der „Vossischen Zeitung“ beweisen. In der ersten heißt es: „Die Äußerungen zweier Rezensenten in den Berliner Zeitung über den Stralower Fischzug leichtsinnig hingeworfen, können nur mit geringer Theilnahme gelesen werden, da das Ziel ihres kränkenden Spottes verfehlt worden ist. Lasse Herr von Voß diese ,Tageblattläuse‘, mit Voltaire zu reden, an seinem Machwerke nur nagen, das Publikum erkennet den Werth desselben an ... Die öffentliche Meinung, nicht die Einzelner, kann allein über den Werth eines Volksstückes competente Richterin seyn.“ Der zweite Kommentar war sogar in Reime gefaßt: „An Julius von Voß: Der Du den Geist des Volks beachtest, Dem Publikum so viel Vergnügen machtest, O laß die Rezensenten toben, Wenn Dich nur die Kassirer loben.“

Der nun einmal Erfolgreiche aber kann seine Kassensituation nicht dauerhaft verbessern. Die verbleibenden zehn Jahre lebt Voß unter ärmlichen Bedingungen, wenn auch eine königliche Pension einen Umzug aus dem proletarischen Voigtland in die bürgerliche Stallschreiberstraße im Stadtzentrum erlaubt hatte. Vereinsamt stirbt Voß in Berlin im Jahre 1832, als ehemaliger Offzier wird er auf dem Alten Garnisonfriedhof an der Linienstraße beigesetzt, das Grab ist aber nicht mehr vorhanden.

Friedrich de la Motte Fouqué (12. 2. 1777- 13. 1. 1843)
Der in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weit über die Grenzen Berlins und Brandenburgs bekannte Romanschriftsteller und Dramatiker hugenottischer Abstammung, Enkel eines friderizianischen Generals, war mit Leib und Seele preußischer Offizier. Mit dem Ausbruch des I. Koalitionskrieges 1792 gegen Frankreich fiebert er dem Tag entgegen, an dem auch er endlich ins Feld ziehen durfte. Erst am 17. Februar 1794 war seine Zeit gekommen, er wurde mit 17 Jahren Kornett im preußischen Kürassier-Regiment „Herzog von Weimar“, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vom Herzog geführt wurde, sondern vom Obristen von Froreich. Im März erfolgte der Ausmarsch ins Feld - von der Garnison Aschersleben über Eisenach, Hersfeld, Friedberg, Frankfurt/Main nach Homburg, von dort weiter nach Mainz, Rüdesheim. Mitte April ist Ankunft im ersten Standort Koblenz, der Festung Ehrenbreitstein. Fouqué erlebte den Marsch als Ritterfahrt, diese romantische Stimmung ist nachlesbar im Zauberring als Reise des Otto von Trautwangen. Anfang Mai geht es unter dem Oberkommando des Feldmarschalls von Möllendorf gegen die Armeen der französischen Republik, Fouqués Regiment ist Bestandteil des Korps Hohenlohe, der junge Offiziersanwärter erlebt die Kämpfe in der Pfalz, den Sieg der Preußen bei Kaiserslautern am 23. Mai 1794, aber dann den allgemeinen Rückzug im Herbst 1794 über den Rhein, den Verlust der linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Fouqué ist im Regimentsstab Adjutant des Obristen von Froreich, trifft dort als Vertreter des Korpsstabes die Offiziere Karl Andreas von Boguslawski und Christian von Massenbach, die später ebenfalls als Literaten bekannt werden. Das Regiment verbleibt bis zum Basler Frieden (April 1795) am Rhein, Fouqué hat viel Zeit zum Lesen und Träumen, dann erfolgt der Rückmarsch in die Garnison.

Es kamen die Jahre des eintönigen Garnisonsdienstes, sie ließen ihn die Hohlheit dieses Daseins erkennen, so daß er sich mit Schriften von Herder, Novalis, Tieck und seinem späteren Lehrer August Wilhelm Schlegel zu beschäftigen begann. Er lernt Caroline von Rochow kennen, nimmt 1802 seinen Abschied, heiratet sie und zieht auf Schloß Nennhausen bei Rathenow. Hier ist der Treffpunkt vieler berühmter Künstler und Gelehrter, und hier beginnt er auch wieder zu dichten.

1809 schrieb er seine Undine, die, als sie 1812 erschien, allgemeine Zustimmung erfuhr und auch im Ausland stark beachtet wurde. Die Fabel ist einfach und dem romantischen Zeitgeist entnommen.: Die Wasserjungfrau Undine, vom Ritter Huldbrand mit einer menschlichen Seele ausgestattet und zur Ehefrau erkoren, wird durch die Schwäche und den Verrat des Mannes zugrunde gerichtet. Fouqués wurde zu dieser Undine durch ein persönliches Erlebnis inspiriert. Beim Rückmarsch im Jahre 1795 bei einem ländlichen Fest in der Gegend von Minden tanzt der Kornett immer wieder mit einer Fünfzehnjährigen: „Mehr denn einmal ward mir die Ehre zuteil, meiner holdseligen Erscheinung die Hand zu bieten: sie schwebte wie eine Elfe im Tanz (...) Meine Seele empfand in leisen innigen Schauern: hier war ihr etwas für das Leben Unvergeßliches erschienen.“ Diese Elisabeth von Breitenbauch hat Fouqué in seinem ganzen Leben nicht vergessen, obwohl - oder vielleicht gerade deshalb - sie ihn beim nächsten Ball kalt abweist. Undine oder Eloisa, wie er sie in Gedanken nennt, taucht später nicht nur in wechselnden Gestalten in seinen Werken auf, sondern überschattet auch als unerfüllte Sehnsucht seine drei Ehen, die er mit dem Maßstab seiner Phantasie mißt.

Das Märchen Undine läßt in E. T. A. Hoffmann den Gedanken an eine Oper entstehen. Hoffmann setzte sich mit dem beiderseits bekannten Verleger J. E. Hitzig in Verbindung, und für die Gestaltung eines echt gotischen Bühnenbildes wurde Kontakt zu Karl Friedrich Schinkel hergestellt. Am 3. August 1816 wurde die „Undine“ im Königlichen Schauspielhaus uraufgeführt. Fouqué war zufrieden. Die Aussichten für eine große Theaterkarriere waren gut, in den nächsten Monaten folgten 14 weitere Aufführungen. Doch dann kam das Unglück: Am 29. Juli 1817 brannte das Schauspielhaus ab, und bis heute ist die Fouqué-Hoffmannsche „Undine“ in Berlin nicht wieder aufgeführt worden. Nur einmal noch war die „Undine“ in einer anderen Form auf der Berliner Bühne zu sehen - 1837 als Ballett.

Anfang 1813 meldete sich der 36jährige Fouqué als Freiwilliger und nahm an den Befreiungskriegen teil. Damit tauschte er zwar die Feder gegen das Schwert, aber die Muse verließ ihn auch im Kriegsgetümmel nicht. An Liedern unterwegs hat es nicht gefehlt. So sang der Anführer seinen Jäger-Jünglingen auch das Lied vor: „Frisch auf zum fröhlichen Jagen!“ - „... und fröhlich und frisch haben sie's nachgesungen, und ist es erklungen durch das ganze Preußische Heer, mitunter auch wohl weiter, und ist noch immer nicht verklungen bis auf den heutigen Tag“, heißt es in der von ihm verfaßten Lebensgeschichte. Das Lied muß in der Tat dem Gefühl der Freiwilligen entsprochen haben, denn es wurde nicht nur von den Jägern, sondern auch von den Schützen, allerdings mit abgeändertem Text, gesungen.

In diesen Jahren aber begann Fouqués Stern zu sinken. Es gab zunehmend mehr Zeitgenossen, zu denen auch mancher ehemalige Freund gehörte, die sich verwundert oder auch ironisch über Themen und Gestaltung seiner Dichtungen äußerten. Die Sagen von alten deutschen Helden, mit denen der Dichter seine Leser vor den Freiheitskriegen begeisterte, hatten nun ihren Glanz verloren; sein tragischer Irrtum war, daß er sie weiter am Leben erhalten wollte, daß für ihn Rittertum, Adel und Thron die gottgegebenen Führungskräfte des Volkes waren. Fouqués Zeitgenossen hatten sich in den Freiheitskriegen nicht nur gegen die napoleonische Herrschaft aufgelehnt, sondern auch mehr bürgerliche Freiheiten verlangt.

Rahel Varnhagen, die eine besondere Fähigkeit hatte, das Wesen der sie umgebenden Freunde zu erfassen, schrieb schon im Jahre 1809 an den Dichter: „Leben Sie nicht so einsam, lieber Fouqué! nicht so in sich gezogen; jetzt ist es noch lieblich für andere schön in Ihnen; es muß aber stocken (...) Ihnen fehlt doch das Leben innerhalb der fünf Sinne.“

Ebensowenig zartfühlend äußert sich Heinrich Heine in seiner Schrift Die romantische Schule. Zwar gesteht er der Undine zu, daß sie „ein wunderliebliches Gedicht“ sei, „aber obgleich sie unendlich schön ist, obgleich sie ebenso leidet wie wir und irdischer Kummer sie hinlänglich belastet, so ist sie doch kein eigentlich menschliches Wesen. Unsere Zeit aber stößt alle solche Luft- und Wassergebilde von sich.“ Und er konstatiert, als der Dichter das Verständnis der Gegenwart einbüßte: „... da mußten sogar seine besten Freunde sich kopfschüttelnd von ihm abwenden.“ Er bezeichnet ihn als „mein armer Freund“, fährt dann aber fort: „Er war ein Don Quichotte vom Wirbel bis zur Zehe; las man seine Werke, so bewunderte man - Cervantes.“

Mit einem anderen Werk, dem 1808 veröffentlichten Drama „Sigurd der Schlangentödter“, welches Fouqué dann zwei Jahre später den beiden anderen Teilen der Trilogie, „Sigurd's Rache“ und „Aslauga“, voranstellte, begann des Dichters zweite Karriere, zumal es als Nibelungenbearbeitung in der deutschen Literaturgeschichte den ersten Versuch darstellte, das altnordische Sigurd-Thema aus der Nibelungensage aufzugreifen und mit dem „Nibelungenlied“ deutscher Herkunft zu verbinden. Weil der Romantiker nun die nordischen Quellen kannte und sich auf sie konzentrierte, hieß sein Held nicht länger Siegfried, sondern nordisiert Sigurd.

Die Hinwendung zu den altnordischen Texten entspringt Fouqués Freundschaft mit den Germanisten Büsching und von der Hagen. Durch sie angeregt, hatte er die Arbeit am „Nibelungenlied“ aufgenommen. Eine neue Phase seiner literarischen Umsetzung dieses Stoffes begann, als Ludwig Tieck in Dresden den märkischen Dichter auf die altnordischen Quellen - sowohl auf die mythologischen Lieder der Edda als auch auf die Wilkinga-Saga - hinwies.

Der Briefwechsel mit Schlegel ist ein beredtes Zeugnis davon, wie Fouqué vom Gedanken an die isländische Quelle geradezu hingerissen ist. Unermüdlich beschäftigte er sich daraufhin mit den altisländischen Vorlagen, übersetzte sie durchaus auch wortgetreu, so daß der Leser nach isländischem Vorbild eingestreute eddische Strophen und vor allem Alliterationen findet.

Die Reaktionen seiner Zeitgenossen waren zahlreich. Während ein Sprachwissenschaftler wie Jakob Grimm, der sehr auf Genauigkeit achtete, den Dichter wegen eines freien literarischen Umgangs mit den altnordischen Quellen kritisierte, überwogen die begeisterten Stimmen aus Fouqués romantischem Freundeskreis. So spornte Friedrich Schlegel ihn an: „Nur werden Sie der nordischen Muse nicht ungetreu!“ Noch rund 40 Jahre nach der Veröffentlichung wurde der „Held des Nordens“ von Richard Wagner aufgegriffen. Als junger Mann hatte er des Dichters Werke kennen- und schätzengelernt. Wie dieser beschäftigte sich auch der Komponist zuerst mit dem Schicksal des Helden Siegfried. Später erweiterte er „Siegfrieds Tod“ (1848) durch die drei anderen Operndichtungen zum „Ring des Nibelungen“ (1851/52). In diesem Bühnenfestspiel profitierte Wagner vor allem formal von Fouqués Nibelungentrilogie, denn der Dichter hatte als einer der ersten in deutscher Sprache den nordischen Stabreim nachgeahmt. Leider weiß heute noch kaum jemand, daß so in den Klängen der Wagnerschen Ringschöpfung diese Dichtung von Fouqué immer noch fortlebt. Nach diesem Erfolg der Bearbeitung altnordischer Quellen förderte Fouqués Feder unaufhörlich weitere altnordische Balladen, dramatische Abenteuer und Erzählungen ans Licht der deutschen Öffentlichkeit.

Doch genaugenommen entflammte Fouqués Begeisterung für den alten Norden bereits vor seinem großen literarischen Durchbruch 1810. Schon seine Herkunft war ihm Anstoß und Legitimation zugleich, sich verstärkt dem Norden zuzuwenden, denn er verstand sich nicht nur als Franzose und als Preuße, sondern - als Sohn eines Refugié, eines im 17. Jahrhundert aus Frankreich geflüchteten Protestanten - im Grunde als Abkömmling der Normannen, welche einst von Norwegen und Dänemark nach Frankreich aufbrachen, um dort Land zu erobern. So entwickelte sich bei Fouqué seit seiner Kindheit ein starkes Interesse für die altnordische Literatur. Mit elf Jahren las er zum erstenmal altnordische Sagen, denn er war auf eine deutsche Bearbeitung der Lieder aus der Edda gestoßen.

Fouqué begann, sich im Selbststudium vor allem die schwedische, dänische und altisländische Sprache und Literatur zu erobern. Da jedoch zu jener Zeit um 1800 die Wörterbücher und Werkausgaben der altnordischen Literatur im deutschsprachigen Kulturgebiet erst erarbeitet werden mußten, forderte es von Fouqué besonderen Eifer. Fouqués Werke fanden den Weg in einen wachsenden Leserkreis. Ja, um 1800 waren seine Bücher sogar begehrter als die des Zeitgenossen Goethe, was ein Blick in die Kataloge der damals neuentstandenen Leihbibliotheken beweist.

Fouqué war im reichen intellektuellen Leben Berlins um 1810 eine zentrale Figur geworden. Er präsentierte sich der Öffentlichkeit in literarischen Gesellschaften und las in Salons aus seinen Werken vor. Die Verbreitung seiner Gedichte, Erzählungen und Dramen wurde zudem sowohl gefördert durch eigenständige Ausgaben als auch durch zahlreiche Veröffentlichungen in Almanachen und Zeitschriften. Deshalb war Fouqués Literatur vielen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft zugänglich und wurde von der Herzogin bis zur Wäscherin mit gleicher Lust gelesen. Des Dichters enge Beziehung zum preußischen Königshaus hat schon vor seiner Geburt der bereits erwähnte Großvater geprägt. Zum Dichter geworden, kannte man Fouqué später bei Hofe teils durch die Literaturvermittlung von der den Dichter protegierenden Muse Marianne, Prinzessin von Hessen-Homburg, teils durch Fouqués persönliches Vorlesen. Und es ist nicht zu verkennen - Fouqué hatte maßgeblichen Einfluß auf die romantische Geisteshaltung des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV. Arno Schmidt nennt dies „das eklatanteste Beispiel, wie der Dichter auf die Regierenden gewirkt hat“. (A. Schmidt, Fouqué und seine Zeitgenossen, Zürich 1987, S. 437)

Doch nicht nur im deutschsprachigen Kulturgebiet begeisterte man sich für Fouqués Werke. Auch seine Zeitgenossen in Island wußten derartige literarische Bearbeitungen altisländischer Stoffe zu schätzen, denn in ihren Augen hatte sich Fouqué erfolgreich um die Wiederbelebung der altnordischen Vergangenheit bemüht. Als Anerkennung ernannte man den deutschen Dichter am 30. August 1820 zum Ehrenmitglied der Isländischen Gelehrtengesellschaft zu Reykjavik und Kopenhagen.

Bis zu seinem Lebensende war Fouqué stolz auf seine engen Beziehungen zu den Isländern. Doch er stand nicht nur mit diesen in persönlichem Kontakt, sondern ebenfalls mit Dänen und Schweden. Das Gut Nennhausen mit seinem vom alten Briest kunstvoll angelegten Landschaftspark hatte sich zu einem Treffpunkt für Fouqués literarischen Freundeskreis entwickelt. Da der Dichter nicht nur mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten der damaligen deutschen Kulturszene in Verbindung stand, machten auch in Berlin weilende skandinavische Gäste Abstecher zum gastfreundlichen Nennhausen. Der bekannteste Dichter der schwedischen Romantik, Per Daniel Atterbom, zum Beispiel erinnerte sich 1822 in einem Brief an Fouqué noch gern an seinen Aufenthalt in Nennhausen zum Pfingstfest 1819 und wünschte sich von Fouqué: „... daß ich wieder in irgend einem künftigen Frühling mit Ihnen in freundlichen Gesprächen lustwandeln darf, dort in dem grünen traulichen Park, den Ihr verehrungswürdiger Schwiegervater mit ausharrender Kraft ganz dichterisch aus der Sandwüste hervorgezaubert.“

Eine besondere Freundschaft verband Fouqué mit dem dänischen Dichter Bernhard Severin Ingemann. Dieser hatte auf seiner Deutschlandreise im Frühjahr 1828 Station in Berlin gemacht und bei dieser Gelegenheit Nennhausen besucht. Danach schrieb man einander nicht nur Briefe, sondern auch Gedichte und schickte sich eigene Arbeiten. Auch Ingemanns Gattin pflegte den Austausch mit dem deutschen Freund, denn sie illustrierte nicht nur Texte von ihm, sondern sie war es auch, die Fouqué nebst seiner Frau im Oktober 1837 nach Dänemark eingeladen hatte.

Der märkische Dichter ist dieser Einladung allerdings nie gefolgt. Die wenigen Reisen, die er in seinem Leben unternahm, führten ihn merkwürdigerweise nie über die Grenzen Deutschlands hinaus.

Woher kommt die intensive Rezeption Fouquéscher literarischer Bearbeitungen altnordischer Quellen im deutschsprachigen Kulturgebiet? Wo liegen ihre Ursachen?

Dieser Zuspruch hatte wohl mehrere Gründe. Zum einen wandte man sich in der Romantik vom Süden und von der Antike ab. Diese Wandlung kannte Fouqué aus eigener Erfahrung: In den ersten Jahren seiner Schriftstellerexistenz hatte er sich noch verstärkt mit der alten Literatur des Südens beschäftigt. Durch seine Sprachkenntnisse konnte Fouqué zu dieser Zeit literarische Vorlagen im Original nutzen, denn er war von Kindheit an mit der französischen Sprache vertraut und hatte neben Griechisch und Spanisch auch Portugiesisch erlernt. Zum anderen wurden die Romantiker durch Besinnung auf ihre Nationalität zu einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte angeregt. Um sich gegen die französische Fremdherrschaft zu behaupten, waren sie auf der Suche nach ihrem eigenen kulturhistorischen Ursprung. In Ermangelung deutscher literarischer Quellen entdeckten sie um so enthusiastischer die altnordische Literatur, welche bald zu den eigenen Quellen gerechnet wurde. Die Besonderheit von Fouqués Literatur, ein bisher ungewohntes Norden-Bild entwerfend, stieß auf wohlwollende Neugier. Hatte man bisher die Nordlandshelden als Barbaren oder Halb-Barbaren beschrieben, stellte sie Fouqué als moralisch anspruchsvolle Menschen dem Leser gleich, ja, mitunter waren sie diesem sogar überlegen.

So wie die Zuwendung zu den Wissenschaften am Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ausdruck nationaler Bestrebungen war, konnte Fouqué literarisch sein tagespolitisches Interesse äußern, indem er die altnordischen Vorlagen nutzte, um durch Figuren und Handlungen seine Vorstellungen von moralischen Werten zum Ausdruck zu bringen. Seine Bearbeitungen altnordischer Literatur - vor allem die Heldengeschichten - wurden in der Zeit der Befreiungskriege begeistert aufgenommen.

Spielten Fouqués Werke im literarischen und politischen Leben seiner Zeit anfangs eine wichtige Rolle, ist dem Dichter wegen seiner royalistischen Haltung nach Ereignissen wie dem Wartburgfest 1817 und den Karlsbader Beschlüssen 1819 sogar von ehemaligen Freunden eine ignorante Rückständigkeit vorgeworfen worden. So hat man den Dichter und seine Werke von Offizieren, Adligen und Königen nach und nach verdrängt und vergessen.

Fouqué hat am Verlust seiner Popularität sehr gelitten, wie seine Frau Caroline im Jahre 1829 an Varnhagen schrieb: „... sein Mut ist gebrochen, seine schöne reine Seele in Unfrieden mit der Welt.“ Als zwei Jahre später Caroline starb und Fouqué sich wiederverheiratete, hatte er sein Wohnrecht auf Nennhausen verwirkt. Daraufhin verschaffte ihm sein Vetter Karl von Madai in Halle eine neue Bleibe: Fouqué wurde außerplanmäßiger Lektor an der Universität und hielt Vorlesungen über Literatur und Zeitgeschichte. Fast neun Jahre wirkte Fouqué in Halle, dann zog er nach Berlin, weil Friedrich Wilhelm IV. ihm eine Pension bewilligte. Nur knapp zwei Jahre allerdings konnte er sie genießen, am 23. Januar 1843 starb er in Berlin und wurde auf dem Alten Garnisonfriedhof beigesetzt. Sein Grabdenkmal ist erhalten, es gehört zu den schönsten Plastiken dieses Friedhofs.

Carl Friedrich von dem Knesebeck (5. 6. 1768- 12. 1. 1848)
Gehören Friedrich de la Motte Fouqué und Julius von Voß zu den Offizieren, die nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ihre bedeutendsten literarischen Werke schrieben, so muß man Karl Friedrich von dem Knesebeck, Georg Friedrich Ludwig von Tempelhoff, Georg Wilhelm von Valentini zu denen rechnen, für die Literatur Teil ihrer militärischen Aktivitäten war. Aus Platzgründen wird hier nur auf K. F. v. d. Knesebeck eingegangen, die Behandlung der literarischen Leistungen Tempelhoffs und Valentins bleibt einem späteren Beitrag vorbehalten.

Der Poet, Offizier und Diplomat Karl Friedrich von dem Knesebeck wurde in Karwe am Ufer des Ruppiner Sees geboren. Er stammt aus einem alten Offiziersgeschlecht. Fontane hat ausführlichst über die Familie, ihren Gutsbesitz und über die militärische Karriere des späteren Generalfeldmarschalls geschrieben. Karl Friedrich erhielt eine sehr gute Erziehung im Elternhaus durch Privatlehrer, trat 1782 in das Infanterieregiment von Kalckstein in Magdeburg ein, 1787 wird er Portepéefähnrich und innerhalb der Magdeburgischen Inspektion zum Regiment „Herzog von Braunschweig“ nach Halberstadt versetzt, ein Glücksfall für den literarisch Interssierten, war doch das Harzstädtchen Halberstadt das Zentrum einer literarischen Gesellschaft, des „Halleschen“ oder „Preußischen Dichterkreises“, in deren Mittelpunkt der Domsekretär Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719- 1803) stand. Von Halberstadt aus wirkte jener als eine Art Protektor der deutschen Dichterjugend, daraufhin wurde er „Vater Gleim“ genannt. Bekannt ist vor allem seine enge Freundschaft mit dem Dichter Ewald von Kleist, der im Siebenjährigem Krieg als Major in der Schlacht von Kunersdorf tödlich verwundet wurde und Tage später an den Folgen der Verwundung starb. Bernhard Rode hatte ihm in der Berliner Garnisonkirche ein Wandgemälde gewidmet, das Opfer der Bomben des Zweiten Weltkrieges wurde.

Karl Friedrich von dem Knesebeck war in einem literarisch bemerkenswert aufgeschlossenen, von liberaler Atmosphäre erfüllten Elternhaus aufgewachsen und ein guter Kenner der Geschichte und der klassischen wie auch der zeitgenössischen Literatur. Er gab sich gern seinen musischen Neigungen hin und kultivierte ein wenig jenes spielerische Ästhetentum, das eigentlich mit altpreußischer Art unvereinbar war. Seine freimütigen Anschauungen und sein selbständiges, kritisches Denken, das allerdings nicht frei von Widersprüchen war, zeigen vor allem den Einfluß der französischen Aufklärungsschriftsteller und Kants. Gleichzeitig verehrte er in fast schwärmerischer Zuneigung Friedrich den Großen. Der Faszination zumindest der Anfangsphase der Französischen Revolution hat er sich nie ganz zu entziehen vermocht, gestand er doch selbst einmal ein, daß er begeistert einem Volk anhing, das auf dem Wege war, sich eine gute Verfassung zu geben, und daß er mit gleichgesinnten Freunden in Entzücken geriet, als auf dem Marsfeld alle Stände ihre Vorrechte freiwillig auf den Altar des Vaterlandes niederlegten.

Ab 1788 Sekondeleutnant, schreibt Knesebeck in den „Gemeinnützigen Blättern“ Halberstadts Aufsätze und hält Vorträge. Theodor Fontane hat später in Anspielung auf diesen Sonderfall der Beziehungen zwischen Regiment und Literatur die Halberstädter als einen „vom Glück begünstigten“ Truppenteil und das Regiment anerkennend als ein literarisches charakterisiert. Von Theodor Fontane (Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Die Grafschaft Ruppin) kennen wir auch eines der ersten Gedichte Knesebecks, „Lob des Krieges“, aus jenen Halberstädter Tagen, dessen martialischer Pathos heute fast unerträglich ist:

    Es leb' der Krieg! Im wilden Kriegerleben
    Da stählet sich der Mut!
    Frei kann die Kraft im Kriege nur sich heben;
    Der Krieg, der Krieg ist gut.

    ...

    Er lehrte uns entbehren und genießen,
    Er würzt auch schwarzes Brot, -
    Und wenn durch ihn auch manche Tränen fließen,
    Er gibt den schönsten Tod.

„Väterchen“ Gleim korrespondierte mit fast allen deutschen Dichtern jener Zeit, Höhepunkt war die Zeit Friedrichs II., bekannt ist auch die enge Freundschaft mit Karl Wilhelm Ramler in Berlin, Erzieher an der Kadettenanstalt. Das Aufnahmeverfahren bei Gleim war nicht einfach. Eine anonym eingereichte Arbeit wurde als Prüfung bewertet. Man widmete sich gegenseitig die Schriften. Gleim war in den neunziger Jahren als gealterter Schriftsteller ein unbedingter Feind der Französischen Revolution, streng konservativ, in dieser Hinsicht kein Anreger für den jungen Offizier von dem Knesebeck, der durch die liberale Tradtion des Elternhauses und der märkischen Umgebung zur friderizianischen Zeit geprägt war. Die Gemeinschaft in Halberstadt inspirierte Knesebecks eigene Schreibversuche und vermittelte Kontakte zu anderen schreibenden Militärs wie de la Motte Fouqué und Heinrich von Kleist.

Über den Militär von dem Knesebeck und seine Verdienste bei der Reorganisation der preußischen Armee vor und nach 1806 ist viel geschrieben worden. Hermann von Boyen (Denkwürdigkeiten und Erinnerungen) sei hier als Zeuge angeführt. Er bescheinigt ihm eine „bedeutende Rolle“ und charakterisiert ihn als „einen von Natur gutmütigen Menschen“, hebt besonders seine „Art von poetischer Natur“ hervor. Interessant seine politische Einschätzung: „... in den Feldzügen 1793 und 1794 am Rhein hielt man ihn allgemein für einen Jakobiner, späterhin war er aber der totale Gegensatz davon geworden.“ Sehr kritisch urteilt von Boyen über den Strategen von dem Knesebeck: „Vielerlei Gegenstände der Bildung hatte er aufgefaßt, aber keinen einzelnen Zweig des Wissens gründlich zu erforschen gesucht; er selbst hielt sich indes für nichts weniger als einen vollendeten Diplomaten und Strategen und trat demgemäß in dem ersten Anlauf mit dem Anschein einer gewissen Festigkeit auf. Alle Fähigkeiten aber, die er wirklich besaß oder zu besitzen glaubte, wurden durch eine so konfuse Urteilskraft gelähmt, wie ich sie bei keinem anderen Menschen gefunden habe. Es war ihm durchaus unmöglich, eine Sache mit einfachen Mitteln auszufahren; alles sollte das Gepräge listigen Scharfsinns haben und mit einem Anstrich von Gelehrsamkeit prunken. Den neuen Gesetzen, insofern sie die gutsherrlichen Rechte bedrohten, war und ist er sehr abgeneigt.“

Für die Einschätzung der Qualität der literarischen Arbeiten des preußischen Offiziers von dem Knesebeck müssen in erster Linie seine Briefe aus dem Feldzügen gegen Frankreich zwischen 1792 und 1795 herangezogen werden. Die meisten dieser Briefe wurden schon im 19. Jahrhundert publiziert (Heinrich Pröhle, Abhandlungen über Goethe, Schiller, Bürger und einige ihrer Freunde, mit Knesebecks Briefen an Gleim, Potsdam 1889), vorrangig die in fast monatlichen Abständen an „Väterchen“ Gleim in Halberstadt. Im Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte des Jahrgangs 1978 hat Erich Schneider eine ausführliche Analyse dieser Briefe geliefert, so daß wir uns an dieser Stelle auf einige Beispiele beschränken können.

Die ersten Briefe zwischen Juni und Ende August 1792 sind anschauliche Beispiele für eine interessante Form der „militärischen Reiseliteratur“. Es sind detaillierte Schilderungen der Landschaft, der Orte, der Menschen, schrittweise auch der politischen Ziele und der Veränderungen der militärischen Taktiken, die der junge Leutnant zu Papier bringt. Noch kann er sich kein klares Bild von den revolutionären Prozessen in Frankreich machen, auf den ersten Blick sind die Revolutionäre für ihn „unruhige Tollhäusler“, denen nach dem preußisch-österreichischen Marsch nach Paris die Köpfe wieder zurechtgesetzt werden sollten. Als Andenken an den Feldzug erwirbt er schon in der ersten eroberten lothringischen Stadt für „Vater Gleim“, den Konservativen, eine Jacobiner-Mütze - das „Feldzeichen der schwärmerischen Tollheit“.

Der Knesebeck in den Briefen zeigt sich als eine problematische und sensible Natur. Diese Lebenszeugnisse demonstrieren anschaulich, wie kompliziert sich der Prozeß der Meinungsbildung bei denen, die sich mit den so turbulenten Ereignissen der Revolutionsjahre konfrontiert sahen, gestaltete. Die Briefe charakterisieren den jungen Leutnant als einen sehr informationshungrigen, lernwilligen Mann, der offen ist und kritisch, der sich auf dem laufenden hält und auch einmal bereit ist, das eigene Urteil zu modifizieren, ja zu revidieren.

Knesebeck beschreibt seine politische Erwartungshaltung gegenüber Frankreich als den Mittelweg zwischen der alten Despotie und der gegenwärtigen Anarchie. Das alles einen Monat vor der entscheidenden Kanonade von Valmy (20./21. September 1792), die nicht nur für ihn, sondern auch für die Offiziere seiner Generation und den weimarischen Minister Goethe einen tiefen Einschnitt in ihr Weltbild bedeutete. War schon in einem Brief aus Verdun vom 3. September sichtbar geworden, daß ein baldiger Einzug in Paris eine Illusion sei, so klingt im Brief aus Koblenz vom 3. Dezember 1792, also nach den schrecklichen Erlebnissen des chaotischen Rückzugs, die Verzweiflung durch: „... alle restlichen Illusionen sind verflogen, kein Sieg in absehbarer Zeit.“ Erstmals wird im Feldzug die Frage nach Literatur, nach Neuigkeiten aus der literarischen Gesellschaft flehentlich nach Halberstadt geschickt. Die Briefe des Jahres 1792 enden mit der Erkenntnis am 20. Dezember: Wären sie doch zu Hause geblieben, hätte man diesen Krieg doch nicht begonnen.

In den Jahren 1793 und 1794 erfolgen neue Anläufe in der Auseinandersetzung mit der Republik Frankreich, ebenso vergeblich, die Briefe nach Hause fast bedrohlich: „Was wollen wir hier?“ In einem Brief aus Mainz vom 8. März 1794 konstatiert Knesebeck den Wunsch nach Frieden auf beiden Seiten, auch Deutschland stehe vor einer Revolution, wenn der Krieg sich weiter in die Länge ziehe. Schließlich aus dem Hauptquartier Kreuznach vom Stabsoffizier Knesebeck am 1. September 1794: Die Generale wollen Frieden, die subalternen Politiker aber betreiben weiter das Kriegsgeschäft. „Sonderbares Schicksal in diesem Kriege, daß die größten Feldherren ihn satt werden, und nur die subalternen Köpfe sich träumen, Lorbeeren in ihm zu erwerben, daß die ersten nur den Frieden wünschen, und in ihm Rettung für Europas Ruhe sehen, während die letzten immer Alles zum Kriege entflammen.“ Konsequenz für den Poeten: „Bis zu dem Frieden hänge ich meine Leyer in die ödeste Halle, die ich finde und sage, sie soll verstummen in diesen traurigen Zeiten.“

Die Sammlung der Briefe Knesebecks enthält literarische Kostbarkeiten, die über die politische und militärgeschichtliche Tagesbedeutung hinausragen. Augenzeugenberichte und in Journalen veröffentlichte Briefe von Kriegsteilnehmern entstehen spontan, sind aus dem unmittelbaren Erlebnis heraus verfaßte Aufzeichnungen. Sie gewinnen da an Ausdruckskraft und Farbe, wo sich Autoren nicht auf eine bloße Beschreibung der militärischen Vorfälle beschränken, sondern uns Einblicke gewähren in die Stimmungs- und Bewußtseinslage der Truppen, in die Vorstellungs- und Gedankenwelt von Offizieren und Mannschaften. Besonders wertvoll sind dabei die Berichte, die uns mitteilen, wie es den Menschen wirklich ergangen ist, die das eigene militärische Engagement reflektieren, die sich mit dem neuartigen Phänomen des Revolutionskrieges und den aus Frankreich einströmenden revolutionären Ideen beschäftigen und in denen die Briefschreiber die Eindrücke schiIdern, die sie von Gegend und Menschen in der Kampfzone und auf den Märschen gewannen.

Beispielhaft für die literarische Qualität des Prosaisten und scharfen Beobachters Knesebeck sind die Briefe aus Koblenz. Knesebeck rühmt die Aussicht: „Koblenz hat die schönste Lage, die man nur sehen kann. Die stille Mosel und der ehrwürdige Rhein vereinigen sich hier und machen ein Paradies aus der Gegend. Diesseits des Rheins liegt die Festung Ehrenbreitenstein, auf einem hohen Felsen beinahe wie Silberberg aufgetürmt und kommandiert Mosel und Rhein.“ Genauso fasziniert ihn „das herrliche Tal der Nahe bei Ebernburg: Diese Gegend gibt eine der schönsten Ansichten zwischen hohen schroffen Felsen durch, abwechselnd auf kurze Wiesenfleckchen, mehrenteils aber auf Kieselboden weg, wo sich die Nahe hindrängt.

Vier verfallene Ruinen, die Kauzenburg, der Rheingrafenstein, ihm dicht gegenüber Franz von Sickingens alte Veste, die Ebernburg, in etwas weiterer Ferne in dem Alsenztale die alte Bamburg. Alle diese alten, zum Teil noch ziemlich gut erhaltenen Vesten und Raubritterschlösser liegen in dem einer Viertelmeile auf den äußersten Spitzen dieser über das Tal hinragenden Felsen und erfüllen die Seele mit romantischen Bildern der Vorzeit, indes in dem Tale selbst diese lachenden Kunstwerke der Salinen bis zum Dorfe Münster sich hinziehen (...) Der Rheingrafenstein verdient wegen der in Erstaunen setzenden Kühnheit, mit welcher er auf den Spitzen der Felsen aufgeführt eine besondere Erwähnung.“ Und dann die herrlichste Aussicht von ihm in das Tal hinab! Knesebeck hat dort wiederholt gelagert, den Anblick genossen und seinen Empfindungen in heiteren Versen Ausdruck verliehen:

    Ein schönes Plätzchen, um vergnügt zu sein,
    An Freundeshand und einer Flasche Wein,
    Ein schön'res, um des Lebens sich zu freun,
    Nein, Freund, ein schön'res sah ich nicht ...

Der Leutnant schwärmt von den nektargebenden Rheinufern, eine Flußfahrt bei schönem Wetter nennt er bis zur Begeisterung romantisch, doch hat die Gegend an Rhein und Mosel für ihn noch ein zweites, weniger anmutiges Gesicht, denn wer den Nachen verläßt und vier bis fünf Meilen ins Land hineingeht, den überfällt herbe Enttäuschung ob der dortigen Kargheit und Armut.

Knesebeck sieht aber auch die Stadt Koblenz, die an anderer Stelle als sehr hübsch charakterisiert wird, etwas nüchterner. Er lobt die Anlagen des kurfürstlichen Schlosses, doch die Stadt selbst ist nicht sonderlich groß und mittelmäßig gebaut. Sie hat zwar einigen Handel wegen ihrer Lage, aber im Grunde ist es jetzt nur der Krieg, der ihr das große Leben mitteilt. Knesebeck beobachtet aufmerksam die Geschäftigkeit in den Straßen und auf den Flüssen und Rhein- und Moselbrücken: „Das ist hier ein Leben und eine Tätigkeit und ein Wimmeln auf dem Fluß und ein Sprechen und Schreien von Franzosen und Deutschen durcheinander, daß man denkt, man ist im alten Tyrus oder Karthago oder zum wenigsten in London oder Amsterdam (...) Man geht in der Stadt umher und glaubt sich mitten in Frankreich versetzt, so wimmelt alles von französischen und französisierten Herrn und Frauen.“

Dürftig waren die geistigen Anregungen in einer solchen Residenzstadt. Knesebeck schreibt an Gleim: „Was gibt es Neues in der literarischen Welt? Hier ist in keinem Buchladen was anderes wie Gebetbücher zu bekommen, und mit diesem Jahr gehen sogar die beiden Buchläden, die hier sind, ein. Im Kriege verwildert man ganz, und wer kein Friedrich ist, hat keine Zeit für Wissenschaften zu fühlen. Hier würde aber auch ein Friedrich darben (...) Die hiesigen Einwohner sind im ganzen entsetzlich zurück. Herzlichkeit und feine Bildung sind hier nicht zuhause, es ist, als wenn man nicht in Deutschland wäre.“

Knesebeck mokiert sich über den herrschenden Krämergeist und die Geringschätzung des Soldatenberufes: „Kaufmannsgeist allein ist der herrschende Ton, und in den sogenannten großen Häusern ein Stolz, eine Dummheit und Ungastfreundschaft, daß es so wenig ratsam und uninteressant ist als schwerfällt, Bekanntschaften zu machen. (...) Der Soldat ist hier nicht allein der Stand, der am wenigsten geachtet wird, nein, er ist sogar verachtet. Er gilt nur soviel, als er Gehalt bekommt, und man schätzt ihn ein als ein bezahltes Schlachttier, das nun für seine acht Taler monatlich sein Leben verkauft hat und zu nichts weiter gut ist, als sich totschießen zu lassen.“

Daß sich der Kreis der Offiziere um Knesebeck von den Koblenzern absondert und im Winter 1792/93 in dieser Stadt einen eigenen literarischen Klub gründet, läßt sich somit verstehen. Der Zirkel versammelt sich in einem Gasthaus, schafft Zeitungen und andere Journale an und bringt selbstgemachte Aufsätze, Abhandlungen und Gedichte zum Vortrag. Gleichgesinnte Offiziere aus anderen Einheiten stoßen zu dieser Runde, die nicht nur Freundschaft, edles Menschentum, Gemeinsinn und Patriotismus in Versen feiert. Das Halberstädter Journal berichtet mit Genugtuung von diesen Aktivitäten der Offiziere im Feldlager einer Gegend von Deutschland, die mit der unsrigen verglichen an Bildung des Geistes und des gesellschaftlichen Umgangs doch noch in vielen Stücken zurück ist. Durch ihre Liebe zu den Musen hätten diese Offiziere ihre Wintermuße auf vorbildliche Weise erleichtert und veredelt. Allerdings waren die kriegsbedingten Umstände nicht immer so günstig wie in den Wintermonaten in Koblenz.

Knesebecks Briefe offenbaren, wie sehr er psychisch gelitten hat unter der Leere und Eintönigkeit des Felddienstes und der manchmal auf längere Zeit gänzlich unterbrochenen Kommunikation mit den Freunden in Halberstadt: „Sind wir einst wieder in Ruhe, so entfernt mich nichts von den Musen, die Welt ist nirgends schöner, als wie diese sie zeigen. Jetzt aber, ach, wo sind die Musen! Wo ist der Feind, ist die Frage!“ heißt es voll Wehmut, und ein Brief aus Waldleiningen, im äußersten Winkel des Pfälzer Waldes gelegen, beginnt mit den Sätzen: „Endlich einmal wieder ein Brief von Ihnen, lieber Vater Gleim. Manna in der Wüste, worin ich lebe, denn wahrlich Petrarca kann in seiner Grotte zu Vaucluse nicht einsamer gewesen sein als ich und die wenigen, die mit mir hier sind in diesen vierzehn Hütten Vogesischen Gebirges.“

Die Briefe, zwischen 1792 und 1795 in den „Neuen Gemeinnützigen Blättern“ Halberstadt publiziert, trugen dazu bei, die dem Lesepublikum des ausgehenden 18. Jahrhunderts nur wenig bekannten linksrheinischen Gebiete ein wenig vertrauter zu machen, wobei nicht vergessen werden darf, daß es ja gerade die Revolutionsjahre waren, die wegen der aktuellen Ereignisse ein wachsendes Interesse der Öffentlichkeit am Schicksal dieser Gebiete auslösten.

Verleiht der Rheinhandel wenigstens den Koblenzern noch Tätigkeit und Betriebsamkeit, so wird dem märkischen Beobachter die verbreitete Unwissenheit und geistige Trägheit der trierischen Menschen geradezu ein Ärgernis, und die Gegend vor allem abseits des Moseltales erscheint ihm immer mehr wie ein wüstes Arabien. Zwar begegnet Knesebeck den Altertümern in Trier interessiert, doch Stadt und Umgebung erhalten keine gute Zensur: „Die Stadt selbst zählt wenig gute Häuser, so wie das Land wenig Menschen und folglich wenig Städte und angebautes Land; und die Seelen der Menschen sind ebenso unbebaut wie das Land, das sie bewohnen. Sie fühlen für nichts, sie haben kein Interesse, keine Neugierde; sie sind trocken wie die Täler der Mosel (...) und geben dem Menschenbeobachter, der nicht wie Forster den Erdball umsegelte, ein leibhaftiges Bild dieser Halbmenschen, die für nichts als ihren kümmerlichen Unterhalt fühlen.“

Das etwas stumpfe und abweisende Verhalten der Einwohner mitsamt dem krassen Kulturgefälle glaubt man auch in den entlegenen Dörfern des Taunus wahrnehmen zu können, wo die Menschen in ihrer Einfalt dahinleben, ohne sich um die Welt zu bekümmern, wie man auf allen Gesichtern deutlich genug lesen kann.

Die Halberstädter Offiziere, die sich über jeden Funken von Aufklärung freuen, zeigen sich deprimiert, und Knesebeck fragt sich: „Woran das nur liegt? Das weiß der liebe Gott! Wenn ich nicht irre an allem, an den gebirgigen Gegenden, an der Regierung, an der Religion, an der Erziehung und Bildung der Menschen; alles trägt das seinige dazu bei.“ Und auf den Katholizismus bezogen versichert er: „Daß ich insbesondere den Geistlichen nicht zuviel in die Schuhe schiebe, beweisen die Menge Klöster und die wohlgenährten Bewohner derselben; denn so arm und mager das Land ist, so rund und schier sind diese anzusehen!“

Zur weiteren Erklärung der Indolenz und allgemeinen Rückständigkeit, die auch dem gemeinen preußischen Soldaten auffällt, verweisen die Herausgeber der „Gemeinnützigen Blätter“ auf die scharfsinnigen Analysen in Georg Forsters gerade erst erschienenen Ansichten vom Niederrhein, in denen die triste geistig-moralische und wirtschaftliche Situation namentlich der Weinbauern kritisch reflektiert wird. Für Knesebeck führt die hier skizzierte Konfrontation mit den Verhältnissen in der Fremde zu einer Stärkung des preußischen Selbstbewußtseins: „O, wie schätze ich Luther und unser Vaterland erst jetzt! Und hätte der Marsch kein weiteres Gute, so hat er das, Glückseligkeit, Zufriedenheit und Vaterlandsliebe aller Preußen zu vermehren, die diesem Kriege beiwohnen, sehen und vergleichen!“ Und er ergänzt: „Freund, es war wirklich Zeit, daß wir einmal einen Marsch in die hiesigen Gegenden machten, um unsere Armee und Nation in ihrem wahren Lichte zu zeigen. Ich denke, dies sollte uns gelungen sein.“

Für die erstaunliche Willenskraft wie auch für das wache geistige Interesse Knesebecks spricht, daß er während der Rheinkampagne trotz allem in seiner schriftstellerischen Produktivität nie erlahmt. Mitunter klingt das Bedrücktsein auch bei den flüchtigen Natur- und Landschaftsskizzen, die sich in den Briefen finden, an. Da geht von den dicken Wäldern in der Pfalz etwas Bedrohliches aus, werden die Anhöhen zu grausamen Gebirgen, spricht man von schrecklichen Bergen, gar von entsetzlichem Terrain und der wüsten Gegend des Vogesischen Gebirges nahe Pirmasens, wo man glaubt, in den Harz oder den Thüringer Wald versetzt zu sein. Man macht sich nicht ganz zu Unrecht Gedanken darüber, warum gerade in einer so unendlich abgelegenen Gegend Kriegsgeschichte geschrieben wird.

Das aus dem Augenblick heraus vermittelte Landschaftsbild ist stets mit ein Reflex der eigenen militärischen Lage des Briefschreibers. Vom Feind besetzte Wälder wirken unheimlicher, zudem kann langer und entbehrungsreicher Aufenthalt im Wald in schlimmen Jahreszeiten zum Alpdruck werden. Bemerkenswert jedoch ist, wie stark der Soldat auch ein Gefühl entwickelt für die Besonderheiten der Topographie, hier wiederum, wie der Briefschreiber beeindruckt ist von den waldreichen und gebirgigen Gegenden im Taunus und im Oberrheinischen.

Manchen Beifall findet auch der Landstrich um Mainz, nicht zuletzt wegen seiner Fruchtbarkeit, allerdings ist das Gesicht der Stadt selbst schwer gezeichnet von den Verheerungen des Krieges, von denen Knesebeck schmerzlich berührt ist. Knesebeck notiert 1794: „Welche Veränderungen würden Sie jetzt finden, mein Teurer, von außen und innen! Alle schönen Alleen um die Stadt sind niedergehauen; das ganze Gartenfeld ist ruiniert, und jetzt da eine Wüste, wo sonst längs dem Rhein hin die fruchtbarsten Gärten waren. In der Stadt selbst sind die schönsten Gebäude nicht mehr. Das Dalbergsche Haus ist bis auf die Mauern und das Portal abgebrannt; die schönsten Kirchen sind ruiniert, und von der prächtigen Dompropstei zeigen einige übriggebliebene Säulen dem Vorübergehenden nur, daß es wahrscheinlich das schönste Gebäude von Mainz war. Auf den Straßen von Mainz ist alles öde.“

Neben diesen Impressionen von Landschaft und Städten enthalten die Briefe auch manches Lesenswerte über die Landeskultur, Lebensgewohnheiten und sozialen Verhältnisse. Wiederholt ist vom Klima, dem Obstbau, den Lebensmittelpreisen, dem Gemüseanbau etc. die Rede.

Dem Beobachter fallen besonders die vielen großen und stattlichen Dörfer der Vorderpfalz auf, und dem Kartoffelanbau und Konsum wird auffallende Beachtung zuteil. Gelegentlich macht man sich auch Gedanken über die Erwerbsmöglichkeiten und den Lebensstandard der Menschen.

1799 wird Knesebeck Hauptmann und Inspektions-Adjutant, er wird nach Potsdam versetzt, 1802 zum Major befördert, in den Generalstab versetzt. Als junger Generalstabsoffizier, Adjutant des Generals von Rüchel, ist er von 1802- 1805 Mitglied der Militärischen Gesellschaft zu Berlin unter der Leitung des Reformers Gerhard David Scharnhorst. Politisch bedeutsam ist die im Auftrag des Generals von Rüchel und der seit 1795 bestehenden Immediat-Militär-Organisationskommission 1803 erarbeitete Studie „Ausarbeitung unterschiedlicher Ideen über eine formidable Landmiliz für den preußischen Staat auf den Fall der Not“. Knesebeck entwickelt in dieser Studie die Strategie einer Volksmiliz, einer Landwehr, scheitert aber an der konservativen Staats- und Militärführung Preußens. Erst die Niederlage von 1806 schuf einen Nährboden für solche grundlegenden Reformen. General Rüchels Satz wird zum geflügelten Wort: „Die preußische Militärverfassung und Staatswirtschaft ist ein ehrwürdiges Original, rührt man ein Glied an, so erhält die ganze Kette einen Schlag.“

Die diplomatischen Missionen des Stabsoffziers von dem Knesebeck sind zeitlich in die Periode zwischen 1794 (in der Umgebung des Freiherrn von Hardenberg) und 1815 (Wiener Kongreß) einzubetten, Kontakte zu den Höfen von Wien, St. Petersburg, Kassel sind überliefert. Während der Verhandlungen des Wiener Kongresses heiratet er am 7. Mai 1815 in der Garnisonkirche von Berlin Adolphine von Werdeck, geb. von Klitzing - eine Literatin. Adolphine war eine geschiedene Frau, Jugendfreundin Heinrich von Kleists. Die Briefe Kleists an sie sind erhalten, im Kleist-Museum Frankfurt/Oder zu sehen und auch durch das Museum publiziert. Einblick in das gesellschaftliche Leben der damaligen Zeit geben auch Briefe, die Adolphine v. d. Knesebeck in ihren späteren Jahren an eine jüngere Verwandte geschrieben hatte. Diese veröffentlichte das Briefgut dann nach dem Tode der Schreiberin. Mit Adolphine kehrt die Poesie in das Gutshaus von Karwe und in die Wohnung Breite Straße 23 in Berlin zurück. Epigramme, Lehrgedichte und Reflektionen, meist unveröffentlicht, stammen aus beider Feder.

1817 wurde Karl Friedrich von dem Knesebeck Mitglied der außenpolitischen und militärischen Abteilung des preußischen Staatsrates, 1822 erhielt er seine Ernennung zum Chef des Reitenden Feldjägerkorps, 1825 zum General der Infanterie.

Die elegische Herbststimmung des Generals hat Fontane auch durch den Abdruck eines Gedichtes Knesebecks in den „Wanderungen“ anschaulich gemacht:

    Wie du gelebt, so geh' zu Grabe,
    Still, prunklos, wenig nur gekannt,
    Was du für Welt, für Vaterland,
    Für andere hier getan, sei stumme Gabe -
    Des Gebers Name werde nie genannt.

Im Oktober 1847 versetzte ihn der König als Generalfeldmarschall in den Ruhestand. Am 12. Januar 1848 starb der Militär, Diplomat, Künstler und Ehrenbürger Berlins. Bei dreitägiger Armeetrauer wurde er auf dem Alten Garnisonfriedhof mit militärischen Ehren beigesetzt, in einer Grabanlage neben seiner dort schon im Jahre 1844 beigesetzten Ehefrau.



Weiterführende Literatur zum Thema:
Der Alte Berliner Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, Haude & Spener, Berlin 1995
Arno Schmidt, Fouqué und seine Zeitgenossen, Zürich 1987
Ursula Waetzold, Preußische Offiziere im geistigen Leben des 18. Jahrhunderts, Dissertation, Göttingen 1936

Für Anregungen zu diesem Artikel bin ich Gisela und Heinz Berg sowie Sigute Wosch dankbar.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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