Analysen · Berichte · Gespräche · Essays

Helmuth Nürnberger

„Erst die Fremde lehrt uns, was
wir an der Heimat besitzen“

Fontanes unbekannte bayerische Balladen - ein unverhoffter Fund im
Preußenjahr*
„Eine reizende Frau, Herr von Stechlin, die grad Ihnen ganz besonders gefallen würde. Glaubt
eigentlich gar nichts und geriert sich dabei streng katholisch. Das klingt widersinnig und ist doch
richtig und reizend zugleich. All die Süddeutschen sind überhaupt viel netter als wir, und die nettesten,
weil die natürlichsten, sind die Bayern.“ („Der Stechlin“, 35. Kapitel)

Nachdem Paul Heyse, wie er in einem Brief vom 25. Dezember 1854 an Fontane schrieb, „mit tiefer Bewegung“ dessen neue Ballade Archibald Douglas gelesen hatte, bat er seinen bei ihm in München zu Besuch weilenden Schwiegervater Franz Kugler, den Berliner Freund zur Abfassung einiger Balladen über bayerische Stoffe zu ermutigen. Es war der Wunsch des bayerischen Königs Max II. Joseph, solche Balladen entstehen zu sehen, wobei der Monarch wohl zunächst nicht an Fontane, sondern an eines der von ihm sorgsam gepflegten „Nordlichter“ dachte. Heyse ergriff daraufhin die günstig scheinende Gelegenheit, Fontane, von dessen besonderem Talent für die Ballade er überzeugt war und den er schon damals gern nach München gezogen hätte, zu protegieren. Dieser antwortete unter dem 4. Februar des folgenden Jahres auch keineswegs ablehnend: „Nun zu den königlich-bayrischen Balladenstoffen. Ich bin für jeden Balladenstoff dankbar, und wenn er aus Lichtenstein und Vaduz wäre, was könnt' ich gegen einen Königlich-bayrischen einzuwenden haben! Das wichtigste bleibt zunächst, ihn überhaupt haben, ihn sehen, dann sehen wir weiter. [...] Bitte, befahre Du die Schächte bayrischer Archive, ich will dann münzen und prägen, so gut ich kann.“

Dabei blieb es indes zunächst, und auch Fontanes Aufenthalte in München 1856 und besonders 1859, als seine Anstellung als Bibliothekar des Königs ernsthaft angestrebt wurde, schien daran nichts geändert zu haben. Erst vor kurzem erschienenen in den „Fontane-Blättern“ die bisher unbekannten bayerischen Balladen des märkischen Dichters, die hier in nochmals überprüfter und erweiterter Form ein zweites Mal mitgeteilt werden. Fundort des kostbaren Konvoluts war eine Depositenkammer der Berliner Humboldt-Universität, wo eine Isarland beschriftete verstaubte Mappe offensichtlich seit längerem aufbewahrt wurde. Schräg über das Rautenmuster des Umschlags läuft der lapidare Vermerk „Gesehen. Ad acta. Gustav Roethe“. Mithin ist nicht auszuschließen, daß Fontane zeitweilig auch an Wanderungen im süddeutschen Raum gedacht hat und Germanisten der sogenannten „Berliner Schule“ vor der zumindest partiellen Unterdrückung des dichterischen Gedankenguts nicht zurückschreckten. Herrn Professor Dr. Peter Wruck ist für die freundliche Vermittlung, dem Theodor-Fontane-Archiv Potsdam für die Erlaubnis zum Wiederabdruck zu danken.

Eugen von Leuchtenberg

1. Wie Eugène nach Moskau kam

Ein freier Geist, im Wandel treu,
Fortunas Diplomat,
Beweglich zwischen Alt und Neu,
Ein Hofmann und Soldat,
Klug, doch an Mut den Bravsten gleich,
Flexibel, aber zäh -
Den Leuchtenberger rühm' ich Euch,
Eugène de Beauharnais.

Der Vater, Graf und General,
Küßt' einst die Guillotin';
Vor Mainz den Rückzug er befahl,
Das ward ihm nicht verziehn.
Die Witwe blieb nicht lang allein
Im prächtigen Palais -
Da sah das Kind die Mutter frei'n,
Der junge Beauharnais.

Der fremde Mann, der Bonapart,
Macht kühn und smart Karriere,
Den Stiefsohn fand er recht apart,
Und schon nach kurzer Lehre
Stieg der als Vizekönig ein,
Ein Star der Hautevollee,
Ließ sich's in Mailand bene sein,
Der schöne Beauharnais.

In München, in der Residenz,
Begehrte er die Braut.
Da gab es keine Abstinenz,
Sie ward ihm anvertraut.
Wenn er auch manchen Tort erfuhr,
Genealogenschmäh -
Er war geadelt von Natur,
Der kecke Beauharnais.

Man braucht für einen Königsthron
Nur Samt und etwas Holz.
In Warschau gab's genug davon
Für seines Gustchens Stolz.
Er zog des Kaisers Nähe vor -
Berichtet uns Darnay -,
Nach Moskau führte er sein Korps,
Der tapfre Beauharnais.

2. Wie Eugen nach Eichstädt kam

Napoleon retirierte,
Mit ihm fuhr Caulaincourt,
Murat prompt echappierte,
Standhaft blieb Eugène nur.
Im Schein des Monte Rosa
Und Rußlands tiefem Schnee,
Er war kein Mann der Prosa,
Le Prince de Beauharnais.

Da kam ein Herr Thurn-Taxis,
Der wußte schlauen Rat,
Und bot nach alter Praxis
Belohnung für Verrat -
Doch Eugène, gar nicht zögerlich,
Faßt kühl ans Portepee,
Schickt ihn retour zu Metternich
Und wahrt sein Renommee.

Bei Leipzig und bei Belle-Alliance
Zerbrach des Korsen Glück.
Postwendend fordert' Kaiser Franz
Die Lombardei zurück.
Nun ward Eugen - oh Leser, merk! -
Ein Bayer, tout à fait,
Zu Eichstädt, Duc de Leuchtenberg
Weiß-blau, der Beauharnais.

Am Ostseestrand, ich war ein Kind,
Hat man von ihm erzählt.
Ich merkt' es mir, hab ihn geschwind
Zum Liebling mir erwählt.
Ein nobler Sinn prägt uns Fontans,
Fehlt's gleich am Portemonnaie,
Wir träumen von den Lusignans,
Vom Charme des Beauharnais.

Wünscht man den Ehrgeiz schmächtiger
Und unverrückt das Handeln?
Auch Treue ist ein täglich Werk
Und muß spontan sich wandeln.
Das Leben ist doch mächtiger
Als jegliche Idee:
Das lehrt der Duc de Leuchtenberg,
Eugen von Beauharnais.

Auf der Rückseite einer Speisekarte des als preiswert bekannten Münchner Hotels Augsburger Hof (wo Fontane logierte) vom 19. März 1859, möglicherweise unter dem Eindruck seiner am selben Tage erfolgten Audienz bei König Max II. Joseph entstanden. Handschrift in flüchtigem, großzügigem Duktus, einige nicht sicher entzifferbare Zeilen mit Hilfe der von Walter Hettche entwickelten Technik der Intuitionsphilologie rekonstruiert. Im Lautstand unveränderte, dem heutigen Sprachgebrauch (unter Beibehaltung der alten Rechtschreibung) behutsam angenäherte Wiedergabe. Fontanes in der Ballade offen geäußerte Anpassungsbereitschaft an weiß-blaue Verhältnisse blieb unbelohnt. Über Gewährsmänner im „Krokodil“ in die Umgebung des Monarchen einpassiert (was freilich nicht belegt ist), mochten ihm die Verse wegen ihres Desinteresses in bezug auf die Nichtebenbürtigkeit des Leuchtenbergers bei seinen Bemühungen um Anstellung als königlicher Bibliothekar und Vorleser sogar zum Nachteil gereicht haben. Vgl. hierzu auch Vor dem Sturm, General Bamme: „Ich mache mir nichts aus diesen Windbeuteln von Franzosen, aber in all ihrem dummen Zeug steckt immer eine Prise Wahrheit. [...] Mensch ist Mensch.“ (HF I, 3, 706 = Hanser-Fontane-Ausgabe, Abteilung, Band, Seite) Fontane, der den Sohn der Josephine de Beauharnais bewunderte, war nicht im selben Maße wie dieser „Fortunas Diplomat“. Die problematische Neigung der Literaten, alles, was sie empfinden, auch auszudrücken, war ihm immer wieder im Wege.

Historische Personen und Zusammenhänge hat Fontane dichterisch frei behandelt und sich gelegentlich wohl auch nicht völlig zuverlässiger Informationen bedient. So wurde das Palais Beauharnais, auf das er anscheinend anspielt, erst 1803 von Eugène de Beauharnais erworben und im Stil des Empire renoviert und ausgestattet (seit 1817 Sitz der preußischen Gesandtschaft, später der deutschen Botschaft in Paris). Auch ist unwahrscheinlich, daß er Baron Darnays Notices historiques zur S.A.R. le Prince Eugène, Vice-Roi d'Italie tirèes 25 exemplaires, Paris 1830, selbst kennengelernt hat. Er stützte sich vermutlich auf seinen Vater, dessen Wissen, was „französische Kriegs- und Personal-Anekdoten aus der Zeit von Marengo bis Waterloo“ anbetraf, „geradezu stupend“ war. „Wo er alles herhatte, ist mir rätselhaft.“ (HF III, 4, 91). Wenn sich die Möglichkeit zum Spiel mit einem Namen bot, hat Fontane, wie von ihm nicht anders zu erwarten ist, sogleich zugegriffen. So ist etwa die Wendung „im Schein des Monte Rosa“ sicherlich als eine Anspielung auf „Leuchtenberg“ zu verstehen, in der Realität findet sie kaum eine Entsprechung, denn der Berg ist wegen der zumeist über der Ebene ausgebreiteten Dunstglocke von Mailand aus nicht sichtbar. Der Kommentar kann darauf ebenso wie auf die zahlreichen Anspielungen und Vorausdeutungen auf fremde und eigene Werke nur knapp hinweisen. Zweideutiges ist grundsätzlich unkommentiert geblieben. Dem Pflug künftiger Interpreten eröffnet sich, metaphorisch gesprochen, ein geräumiger Acker. Besonders dürfte interessieren, daß Fontane in Meine Kinderjahre, wo er so viele Persönlichkeiten aus dem Umkreis Napoleons namhaft macht, gerade Beauharnais, seinen „Liebling“, wie wir jetzt wissen, nicht erwähnt - ein weiteres Beispiel für die zuerst von Anderson beobachtete „Versteckspielmethode“?

König Ludwig und Lola Montez

I. Audienz

Herr Ludwig herrscht am Isarstrand
Und mit ihm Bayerns Leu,
Der schützt das Bajuvarenland
So wittelsbachisch treu.
Den Fürsten lockt kein Schlachtenruhm,
Was liegt ihm spät im Sinn?
Ein Zauber ist's, das Evatum
Der schönen Münchnerin.

Sein Bilderschatz von Stielers Hand,
Er sieht ihn mit Vergnügen,
Und doch, der köstliche Bestand,
Er scheint nicht zu genügen.
Freut auch den Alternden die Kunst -
Der Haare Silberschein
Hält ihn nicht ab, um Frauengunst
Ein Werbender zu sein.

Das spürt' die falsche Spanierin
(Sie stammt' aus Limerick!)
Und legte 'nen Flamenco hin
Und wurde sein Geschick.
Sein tiefster Wunsch, Ludwig bekennt's,
War Konversation,
Doch schon die erste Audienz
Schuf große Konfusion.

Sie kommen nie alleine,
Die Schönheit und die Lust,
Die eine wirft die Beine,
Die andre füllt die Brust.
Wer's ernst meint, darf nicht zaudern,
Wenn Lola avanciert,
Wer dichtet, darf nicht plaudern,
Denn Dichten fokussiert.

Sie nahmen keinen Schaden,
Der Fürst und Irlands Sproß,
Nach Nadel nur und Faden
Ging jäh der Ruf durchs Schloß.
Kein Kammerherr war zünftig
Mit Fingerhut und Scher',
Der Königsdienst galt künftig
Als dienstliches Malheur.

Da mahnte mild der Kardinal
Ans himmlische Gebot,
Und an der Hölle Arsenal -
Louis sah ein andres Rot.
„Behüte Deine Stola du,
Grausamer Erzbischof,
Ich such' bei meiner Lola Ruh
Und mache ihr den Hof.“

Und gab beglückt und ohne Eil'
Sich ganz den Musen hin
(„Gedichte“, Cotta, Vierter Teil,
„Die Andalusierin“).
Besingt den Süden, preist die Lieb'
Und der Gefühle Strom,
Dann - macht er seinen Herzensdieb
Zur Gräfin per Diplom!


II. Die Gräfin Landsberg

Wie wurde den Philistern
Von Ludwigs Versen heiß,
Wie froren den Ministern
Die Mienen schier zu Eis.
Wenn wir Trochäen schrieben,
Wir hätten ihn zitiert,
Doch ist's auch unterblieben,
Weil's kollegial geniert.

Rundum, mit manchem Judaskuß,
Begann der Sängerkrieg.
Ein Leipziger Schmierarius
Rühmt' spöttisch „Molas“ Sieg:
Wie deutsche Literaten
Wechselt die Länder sie,
Verfolgt von bösen Taten
Der Aristokratie.

Um Lola scharte sich ein Corps
Lärmfreudiger Studenten.
Bald rüttelte ans Hochschultor
Der Sturm von allen Enden.
Die Alemannen nähten
Aus Unterröcken Mützen.
Die frommen Schwarzen säten
Neid, die Moral zu stützen.

Der Bayernlöwe brüllte
Weithin bis an die Alb,
Die sich in Nebel hüllte.
Wut herrschte allenthalb.
Als schwarzes Rößlein zeichnet' man
Den Gast aus Limerick
Und legt' ihm keine Zügel an:
„Montez, Herr Ludewig!“

Zuletzt das Frauenzimmer
Ward amtlich expediert.
Dem König ging's noch schlimmer,
Er hat nicht mehr regiert.
Zurück nur in der Galerie
Blieb Meisters Stielers Bild.
Das rührt ans Herz, man weiß nicht wie,
Und stimmt das Urteil mild.

Des Lesers Tränen quillen -
Die Welt nimmt ihren Lauf.
Nicht um der Hähne willen
Geht klar die Sonne auf.
Es weicht der Haß, die Lüge flieht,
Lola schreibt Buch um Buch,
Erst kürzlich macht in Essex Street
Der Schönen ich Besuch.

Davon sei nächstens mehr erzählt
In lockerer Gestaltung,
Von Reim und Jambus nicht gequält
Bei leichter Unterhaltung.
Dann finde ich, ich ahne,
Den mir gemäßen Ton.
Es glänzt nur im Romane
Die Konversation.

Die ebenso aufschlußreiche wie drastische Bearbeitung der vom Dichter wiederholt behandelten Problematik der Fürstengeliebten ist eingangs mit Motiven aus den Liedern über preußische Feldherrn verbunden. Zur Verleihung des Grafentitels vgl. besonders Cécile, Gordon-Leslies vielsagende Bemerkung: „Denn Gräfinnen werden sie schließlich alle. [...]“ (HF I, 2, 182) In solchem Zusammenhang ist auch Gordon-Leslies Bemerkung zu beachten, er entsänne sich noch „des Eindrucks, den der Kopf der Lola Montez“ auf ihn gemacht habe. Die das Bildnis der Maria Stuart betreffende Faszination (die Cécile zu büßen hat) teilte unser Autor mit seiner Romanfigur, die Erinnerung an früher Gesehenes, die den Angelpunkt des Romans bildet, äußerte sich auch in dieser scheinbar beiläufigen Bemerkung. Die Wege Fontanes und Maria Dolores Gilberts [i. e. Lola Montez], späteren Gräfin Landsberg, haben sich wiederholt gekreuzt, wenngleich eine persönliche Bekanntschaft bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, s. das Londoner Tagebuch vom 17. Juni 1858: „Dr. Faucher getroffen“, der mich dem Schauspieler Loewenthal vorstellt. Dann mit Faucher nach 34 Essex Street um Lola Montez aufzusuchen. Dann in's Café Divan. [...]“ Mutmaßlich hat die umstrittene Künstlerin bereits 1843 in Dresden die Aufmerksamkeit des jungen Apothekers erregt. Man weiß ja, daß er sich damals allerlei Anfechtungen ausgesetzt sah. Der burschikose Ton des Gedichts - „Cécile verblaßt neben dieser Lola zu einem wasserpolnischen Waisenkind“ (G. Friedrich) - läßt als sicher annehmen, daß es die endgültige Prägung erst erhielt, als Fontane seine auf Bayern bezüglichen Pläne bereits aufgegeben hatte und sich im Berliner Freundeskreise keinen weiteren Zwang auferlegte. Dazu paßt auch das halbe Versprechen des „Causeurs“, sich dereinst dem Roman zuzuwenden. „Seit 20 Jahren redet man auf mich ein: ,schreibe Deinen Roman.`“ (An Emilie 18.8.1874, Große Brandenburger Ausgabe, Ehebriefwechsel, Bd. 3, S. 17) Heyses Vorhaben, den aus England heimgekehrten, in Berlin noch unversorgten Dichter als „Nordlicht“ in München unterzubringen, war endgültig mißlungen.

 

„Sisi, komm!“ oder Die Ischler Verlobung

Tief im stillen Bayernlande,
Wo das Schlößchen Possenhofen
Weich in Starnbergs See sich spiegelt,
Wuchs des Reiches wilde Rose
Kräftig auf, die zweite Tochter
Ihrer Mutter Ludovica
Und des Herzogs Max in Bayern,
Lebensfrohen Privatiers -
Wittelsbach'sche Nebenlinie.

Sisi hieß sie. „Sisi, komm!“
Hört' man es im Garten schallen,
Wenn sie mit Gespielen tobte,
Quick und munter, ein Naturkind,
Wie sie wohl der Herzog nannte,
Ihre kapriziöse Laune
Väterlichen Herzens duldend.
Zahlreich war des Mannes Nachwuchs
In- und außerhalb des Schlosses.

Von den Plänen ihrer Mutter,
Fürsorglich in Wien betrieben,
Wußte unsre Sisi wenig,
Galten sie doch auch der Schwester,
Der gebildeten Helene,
Die dereinst den Thron von Östreich
Neu mit Bayern zu verbinden
Schien geeignet - Vetter Franz,
Kaiser, ging auf Freiersfüßen.

Ihm zu seinem Wiegenfeste
Fristgerecht zu gratulieren,
Wie Familiensinn es eingibt,
Brach zu dritt man auf nach Ischl,
Ludovica und die Töchter
(Herzog Max schien nicht recht passend).
Sisi ward zur Camouflage
Mitgeführt, doch kaum beachtet,
Ein Naturkind, leise schmollend.

Welch ein Fest! Der junge Kaiser,
Schlank, im weißen Waffenrocke,
Goldnes Vließ und rote Hosen,
War bezaubernd, - aber Sisi,
Ganz Natur, war noch viel schöner,
Und des Fürsten Neigung wandte
Jäh sich ihr zu, nicht Helenen.
Ein verliebter Österreicher
Kennet Türe nicht noch Riegel.

Einem Kaiser gibt man keinen
Korb, so rät die kluge Mutter.
Sicherlich ist Franz der Richt'ge,
Sieht gut aus und ist von Adel,
Seine Stammburg, teils Ruine,
Meint der Vater, liegt im Aargau.
Nun fehlt nur noch das Gelöbnis,
Das der Ringtausch festlich ausdrückt,
Vielgefeiert, kaum verstanden.

Wünschen wir dem edlen Paare,
Das so zeitig sich versprochen,
Alles Glück! Es scheint gegründet.
Glanz umgibt die Bayerntochter
Und die Liebe ihres Mannes.
Selten sind an Fürstenhöfen
Glanz und Liebe so verbunden.
Nur im Park von Possenhofen
Tönt es leise: „Sisi, komm!“

 

Das in Trochäen verfaßte Sisi-Gedicht, in der vorliegenden Fassung offensichtlich wie König Ludwig und Lola Montez für den Berliner Freundeskreis bestimmt, darf als die eigentliche Überraschung des unverhofften Balladenfunds gewertet werden. Freilich wird der Tieferblickende unschwer verstehen, daß auch F. sich zuletzt des von Platen und Heine, seiner bewunderten Vorbilder, souverän gehandhabten Versmaßes bemächtigte. Die erste stoffliche Anregung empfing der Dichter mutmaßlich während seines mehrtätigen Aufenthalts in München 1856, der auch einen Ausflug in die weitere Umgebung einschloß. „Nach Sternberg. Reizende Fahrt über den See. In Seeshaupt ,Brenken‘ gegessen.“ (Tagebuch, 9.10.1856) Kaiser Franz Josephs vielbeachtete Verlobung mit der wittelsbachischen Prinzessin Elisabeth, Herzogin in Bayern, lag damals erst drei Jahre, die Hochzeit erst zwei Jahre zurück. Fontane vermeidet den Tonfall konventioneller Huldigung; bemerkenswert die - noch ohne nähere Kenntnis der die Ehe des Kaiserpaares schon bald überschattenden Ereignisse - ingeniöse Vorahnung, die sich in der Schlußwendung ausspricht, einer frühen Vorwegnahme des berühmteren: „Effi, komm!“

Die Wasserfrau (unvollendet)

Heut sing' ich von der schönen Lau,
Der wohlbekannten Wasserfrau
Im Topfe von Blaubeuren.
Ich träumt' ihr blasses Konterfei,
So stumm-beredt von mancherlei
Geschichten, nicht geheuren.

Die Arme kreuzweis auf der Brust,
Als wär' sie einer Not bewußt,
Die keinen Namen kennt.
An Fingern nur und Zehen
Konnt' man die Herkunft sehen
Vom feuchten Element.

Ihr Mann, der alte Donaunix,
Versuchte sie mit vielen Tricks
Zum Lachen zu bewegen.
Doch nichts schlug an, ob zart, ob derb,
Stets blieb sie streng, stets blieb sie herb,
Und darauf ruht kein Sege

Einst als vom Kloster Orgelklang
Hinunter in die Tiefe drang,
Kam sie emporgeschwommen.
Ein Hirtenbub hat sie entdeckt
Und voller Übermut geneckt:
„Hei, Laubfrosch, willst nicht kommen?“

Da packte ihn das arge Weib
Und riß ihn fort, zum Zeitvertreib
In ihren nassen Kammern
Im Strudel [...fehlt Text...] sich drehen,
Schwarzen Meere [...fehlt Text...] untergehen,
[.......fehlt Text......] umklammern.

Nun sagt man, daß der blaue Topf
Nachts, wenn sie ausgeht, überfließt,
Das Städtchen unter Wasser steht.
Trägst du sie heim, mit kühlem Kopf,
Und küßt sie, daß das Licht ausgeht,
Dann lacht sie, weil sie das genießt [...].

Das Gedicht bricht unvermittelt ab. Am Rande die unlustige Bemerkung: „Was soll der Unsinn? Paolo sagt, Blaubeuren läge bereits im Württembergischen.“ Inhaltlich folgt Fontane, gelegentlich sogar in der Wortwahl, Mörikes Prosaerzählung im Stuttgarter Hutzelmännlein, allerdings mit einem bemerkenswerten Unterschied. Bei Mörike nimmt die Lau den Hirtenjungen mit, um ihn zu bestrafen, Fontane hingegen führt das Motiv der Langeweile ein. Nicht zufällig erinnert die Formulierung „zum Zeitvertreib“ an Spielhagens gleichnamigen Roman über den auch von Fontane behandelten Ardenne-Stoff. Die dritte Strophe ist mit Tinte kräftig durchgestrichen (es sind sogar einige Tintenspritzer sichtbar).

Heyse hatte natürlich recht, als er den Freund darauf hinwies, daß das Kloster Blaubeuren bereits 1648 endgültig an Württemberg gekommen war. Man weiß in Berlin zuwenig von Süddeutschland. Gleichwohl hat der vorschnelle Hinweis leider bewirkt, daß eine erste Behandlung des Melusinen-Themas durch Fontane unvollendet blieb. Den Dichtern schadet Wissen oft nur. Auch als Fontane den bayerischen Löwen bis hin zur (schwäbischen) Alb anstatt zu den Alpen brüllen ließ, irrte er im historisch-geographischen Sinne, gleichwohl ist der Fehler der gewählten Form zugute gekommen.

Am 7. Oktober 1856 (Tagebuch) besuchte der Dichter die Theresienwiese.

 

Einzug in die Festwiese

Golden die Herbstessonne scheint,
Alles lacht und alles weint.
Girlandengeschmückt die weißblauen Pfosten
Der Tische, wo wir die Weißwurst verkosten.
Guten Tag, guten Tag, ihr durstigen Seelen,
Nun quält euch nicht länger mit trockenen Kehlen.

Die Sonne scheint nicht nur am Husumer Deich,
Sie leuchtet an Spree und Isar zugleich.
Das muß uns der Storm doch schließlich vergönnen,
Daß wir trinken und dabei auch reimen können.
Mit den Teekesseln und der Husumerei,
Ist's endlich im neuen Deutschland vorbei.

Wer kommt, wer?
Vier Pinzgauer Rösser von Spaten her!
Die bringen die mächtigen eichenen Fässer,
Denn direkt aus dem Fasse, da schmeckt es uns besser.
Herr Nachbar, bitte den süßen Senf!
`s ist alles Bestimmung. Ich stamme aus Genf.

Selbst Rektor Thiersch räumt heute das Katheder,
Trifft sich jovial mit Rentier Permaneder.
„ `s halt a Kreiz!“ denkt der und such das mot
Für seine Lüb'sche Gattin mit Niveau.
Dann schwenkt er den vollends geleerten Krug:
„Bon soir, ihr Lackln! Nun ist es genug!

 

Die Arbeit an dem Gedicht war, wie der Wechsel im Versmaß zwischen der dritten und vierten Strophe und das Auftauchen im gegebenen Zusammenhang nicht zu vermutender Personen zeigen, wohl nicht abgeschlossen. Auch die zugrunde liegende Intention wird noch nicht vollends deutlich. Erkannte Fontane im Theresienwiesen-Rausch 1856 wie im Wilhelm-im-(weiten)-Felde-Rausch 1871 ein einigendes Element der nationalen Leitkultur oder wollte er vielmehr eine separate bayerische Leitkultur ins Licht setzen? Mit vermehrter Entschiedenheit läßt sich jedoch nunmehr Willi Winkler entgegnen, der in einem im Dichtergedenkjahr 1998 in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienenen Artikel von Hohenzollernhörigkeit schrieb (und im Preußenjahr 2001 erneut zur Feder zu greifen versucht sein könnte!). Auf das vielzitierte „Bon soir, Messieurs, nun ist es genug“, im dritten der Berliner Einzugsgedichte (HF I, 6, 246), Friedrich II. in den Mund gelegt, der es vom Denkmal herab den siegreich heimgekehrten Truppen zuruft, fällt neues Licht. Es war eine geglückte Formulierung, die es erlaubte, die Mahnung in der Anerkennung mitzudenken. Aber darf man solche Weitsicht auch Permaneder zutrauen? Tony Buddenbrook hätte es schwerlich getan.

Bruchstückhaft wirkt ein weiteres, mit „Die Prozession in der Ludwigstraße“ etwas unsicher betiteltes Gedicht, das wohl auch Eindrücke einer Parade und eines Volksfests verarbeitet. Wie in Edinburgh an den kiltbewehrten Highlandern, so findet Fontane in der Münchner Prachtstraße an den kernigen bayerischen Soldaten Gefallen. Für den „Zauber der Montur“ ist der Dichter stets anfällig gewesen. In der Stadt des hl. Korbinian verbindet sich diese Faszination nicht zufällig mit jenem leise katholisierenden Element, auf das die Forschung erst in jüngster Zeit aufmerksam geworden ist.

 

Die Prozession in der Ludwigstraße

Sie werden standhaft sein, es kräftigt sie der Glaube,
Sie schmückt der Raupenhelm und nicht die Pickelhaube.
Hell blitzt ihr Manteltuch, man merk' es nur genau,
Das ist nicht nüchtern Preußisch-, `s ist Madonnenblau.

Sanft wie ein Page führt das Aspergill ein Hofkaplan,
Dran schließt das schmucke Defilee Ettaler Knaben an.
Potz Blitz, discipuli! Heut seid ihr Ministranten,
Und wedelt myst'schen Weihrauch unter uns Passanten.

Wie fühl' ich mich geteilt! Ein Brieffreund der Revolte,
Empfind' ich doch, daß man die Macht nicht schmähen sollte.
Der feste Krummstab und die goldne Bischofsmitra
Die widerstehen noch der liberalen Hydra.

Nun folgen Ordensritter aus dem nahen Weyarn,
So gut genährt und fromm, so kennen es die Bayern
Und träumen dennoch von dem opernhaften Einen,
Dem schwanengleichen blonden Lohengrin, dem Reinen.

Studenten seh' ich in verschnürten Röcken schreiten
Und Künstler, die sich fratzenhaft und modisch kleiden.
Mit bloßen Schultern streben zu erhellten Sälen
Lebhafte Frauen, die sich ihre Tänzer wählen.

Die Décadence ist da! Sie scheint unwiderstehlich,
Jedoch sie hat Geschmack und ist erkennbar fröhlich.
Mit Alpenhörnern, Jodeln und mit Paukenschalle
Geht es vom röm'schen Siegestor zur Feldherrnhalle.

Zuletzt Staccato unter seidenweichem Himmel,
Das harte Hufgeklapper der Trompeterschimmel.
Ein schlanker „Schwoleschee“, chevaleresk im Sitze,
Grüßt abschiednehmend mit der blanken Säbelspitze.

 

Das erinnert natürlich an den Deutschen Orden und den Bayreuther Hexenmeister, partiell auch an Joseph Roth! Marcel Reich-Ranicki hat darauf hingewiesen, Fontane und Roth haben in Berlin in derselben Straße gewohnt - und das meint nicht nur die Adresse. Ist denn Der Stechlin nicht auch ein Abschiedsroman wie nur noch der Radetzkymarsch? Zugleich aber sind wir mit diesen Bildern aus der Ludwigsstraße wiederum ganz nah an dem von Storm ob seiner handwerklichen Qualität willen anerkannten, wegen des mangelnden sittlichen Gehalts gleichwohl entschieden abgelehnten, ersten der Berliner Einzugsgedichte („Oberst von Hartmann, fest im Sitze“ usw., HF I, 6, 238). Während seines Besuchs in München 1856 sah Fontane eine Parade, bei der das bayerische und preußische Königspaar sowie das Großherzogspaar von Hessen-Darmstadt zugegen waren (Tagebuch vom 7. Oktober, mit Hinweis auf die Feldherrenhalle und die Denkmäler Tillys und Wredes).

Am folgenden 10. Oktober fuhr er in umgekehrter Richtung, als es sich im Gedicht beschrieben findet, über den Boulevard in Richtung des noch dörflichen Schwabing („durch die Ludwigsstraße und das Siegesthor bis ins Freie“). So hatte er den Blick, der Charles de Gaulle die Worte entlockte: „C'est vraiment une capitale.“

Die fünfte Strophe des Gedichts läßt vermuten, daß Fontane, was bisher nicht bekannt war, Kellers Grünen Heinrich bereits in der ersten Fassung kannte. Bei der phonetischen Fixierung umgangssprachlich verballhornter Fremdwörter („Schwoleschee“) mag Geibel, Schack oder ein anderes Münchner Nordlicht behilflich gewesen sein. Die ästhetisch günstigen Eindrücke, die Fontane 1859 gewann, scheinen übrigens dazu beigetragen haben, daß er die panikartige Flucht der bayerischen Reiterei bei Hünfeld und Gersfeld in seinem Buch Der deutsche Krieg von 1866 in überaus schonender Weise beschrieben hat. „Natürlich soll dergleichen nicht vorkommen; aber (alle Kriege bezeugen es) es kommt immer wieder vor.“ (A. a. O., Bd. 2, S. 86) Die Chevaulègers, leichte Kavallerie, waren der Stolz der bayerischen Armee. In Frankreich bereits unter Napoleon in Chasseurs à cheval oder Lanciers, in Österreich 1852 in Ulanen, in Hessen in Dragoner umgewandelt, blieben sie unter dem alten Namen nur in Bayern (und in Italien als Cavallegieri) bestehen.

Sozialkritische Töne fehlen bei alledem nicht, allerdings vermag Fontane Ludwig Thoma, Ödön von Horvath, Marieluise Fleißer (Pioniere in Ingolstadt) und neuerdings Ernst Maria Lang (Das wars wars das? Erinnerungen, Kap. „Bei den Pionieren in Ingolstadt“, München 2000), was die Intimität soldatischer Amouren anbetrifft, nicht zu erreichen. Zum Vorschein kommt vielmehr, für unvorbereitete Leser möglicherweise verwirrend, jene „bodenlose Objektivität und Ironie“, die, wie Sebastian Haffner formuliert, Fontanes „Eigentlichstes, Eigenstes und Größtes“ gewesen ist (S. Haffner, Theodor Fontane, in: Sebastian Haffner/Wolfgang Venohr, Preußische Profile, Königstein/Ts 1980, S. 122). Sie wird in Entwürfen und frühen Fassungen deutlicher als in abgeschlossenen Texten.

 

Chevaulégers Irrungen, Wirrungen

Der Menschen ungelenke Glücksversuche,
Sie stehn nicht allesamt im Kirchenbuche.
Wer war in Seeshaupt nicht des Lebens froh,
Begleitet von Margot und Isabeau.
So manche strebt auf der sozialen Leiter
Ein Stückchen weiter mit 'nem leichten Reiter.

Stets sind des Mannes Wünsche unbeständig,
Doch auch sein edles Selbst ist ungebändig.
Cupidos Pfeile fliegen blitzeschnell,
Erscheint am Ufer Mademoiselle Sorel.
Ein fesches Dirndl, schlank und ohne Tadel,
Ein Königskind von echtem Bauernadel.

Sie hat ein Haar nur um den Strauß gewunden,
Und hat ihn doch auf immerdar gebunden.
Ihr Wort ist Gold, ihr Blick ist frei und klar,
Das ist die Liebe, wie sie immer war.
Du armer Schwoleschee, nun mußt du leiden
Du weißt's, sie war die Bess're von euch Beiden.

Du hast ein Leben Zeit, es zu bereuen,
Das Glück von damals wirst du nicht erneuen.
Es kam dir nicht die rettende Idee,
Du warst zu schwach, bist nur ein Schwoleschee.
Am Ufer liegt die „Hoffnung“, euer Kahn,
Und du lebst zum Exempel - im Roman.

 

Anscheinend sammelte Fontane in Seeshaupt Eindrücke, die denen in Hankels Ablage nicht unähnlich waren und die er später verwertete. Nicht zuletzt aus der Biographie Oskar Maria Grafs wissen wir, daß die Orte am Starnberger See schon früh unter den bedenklichen Einfluß Münchens gerieten. Zu Isabeau, der aus Schillers Drama bekannten Mutter Karls VII. von Frankreich, die aus Bayern stammte, vgl. Irrungen, Wirrungen, 13. Kap. (HF I, 2, 390).

Gelegentlich schreckte Fontane auch nicht davor zurück, fremde Dichtungen, die er bei anderer Gelegenheit respektvoll zitiert, schonungslos zu persiflieren: So verbindet er, der als Kind mit dem polnischen Freiheitskampf so anrührend sympathisiert hatte, ein einst populäres Lied von Julius Mosen (vgl. Unterm Birnbaum, 5. Kap., HF I, 1, 481) mit einer militärischen Begebenheit, die jeglichen Ernstes entbehrt.

 

Die Schlacht bei Bronzell

Nicht weit von Bonifatius stillem Grabe,
Bei Bronzell stand die Heeresmacht bereit.
Das Blut des Feindes schien uns kühle Labe,
Zu lange währte schon die Friedenszeit.
|:Noch weckt die Wunde, die man „Olmütz“ nennt,
Die Kampfeslust im zehnten Regiment.:|

Wir rückten vor, die Bayern retirierten,
Dann rief ein streng' Kommando uns zurück.
Als wir Husaren heimwärts galoppierten,
Da jauchzt' der Feind und wähnte sich im Glück.
|:Bis jäh ein Schimmel das Signal verkennt,
Das schönste Pferd im zehnten Regiment.:|

Ganz ohne Reiter trabt's dem Feind entgegen,
Man will es fangen, doch das duldet's nicht.
Und wiehert unverzagt im Kugelregen,
Als sucht's den Ehrenplatz im Kriegsbericht.
|:Bis heiß ein Streifschuß ihm den Schweif verbrennt,
Da kehrt es heim zum zehnten Regiment:|

 

Ein Durchgänger, wie Fontane nach Meinung seiner Freunde selbst einer war. Der Dichter hat den historischen Vorgang sehr frei behandelt. Bei dem von ihm wiederholt erwähnten „Bronzell-Tag“ (HF I, 6, 574), der „Schlacht bei Bronzell“ (HF III, 4, 1326), in der Nähe von Fulda am 8. November 1850 war auf preußischer Seite nur der Trompeterschimmel des 10. Husarenregiments verwundet worden. Wie ganz anders „die Polenkämpfe und die Gedichte“ (HF III, 4, 111), die einst von seiner Phantasie so unwiderstehlich Besitz ergriffen hatten. Unvermeidlich wird den Dichtern zuletzt alles zum Stoff. Ein wenig Ressentiment ist allerdings auch zu beobachten: Die Demütigung Preußens in der Punktation von Olmütz, die den jungen Apotheker einst so heftig erregt hatte, wirkt emotional immer noch nach. Wieviel sicherer wußte Bismarck mit Olmütz umzugehen!

Mit einer letzten Überraschung kann nicht länger hintangehalten werden. Fontanes bayerischer Balladenfrühling endet nicht 1859. Nach dreißig Jahren griff er während eines Kuraufenthalts in Kissingen erneut zur Feder.

 

Berühmte Männer in Kissingen

Im Sommer, wenn unter den Linden kein Lüftchen sich bewegt,
Da ist des Kaiserreichs Schwerpunkt nach Kissingen verlegt.
Denn Bismarck ist auch im Bade ein Recke mit wuchtigem Schritt,
Und schreibt er nur eine Depesche, dann zittert das Nachbarland mit.
Nun soll er dienstlich pausieren, wie's in Schwenningers Bulletin heißt,
Doch kommen die Diplomaten von überall angereist.
Viel schöne Damenherzen erobert der Fürst im Sturm.
Die Kurstadt ist ihm dankbar und baut ihm gewiß einen Turm.

Wenn sommerlich unter den Linden Rauchs Reiterdenkmal gleißt,
dann kommt auch der kleine Menzel nach Kissingen gereist.
Sein Ruhm als preußischer Maler ist reif und überreif,
Er kennt alle Preußenhelden und den Lessing unter dem Schweif.
Auch ihn weiß die Kurstadt zu schätzen, man bringt ihm das Goldene Buch,
Dazu auch Feder und Tinte und bittet um einen Versuch.
Worauf der geschmeichelte Meister nicht einen Moment verliert -
Noch Kissingens spätere Festschrift hat seine Hommage geziert.

Es kam der Graf Tolstoi aus Rußland, der „Anna Karenina“ schrieb,
Es kam auch mein treuer Paolo, der tat mir so manches zulieb.
Aus Säckingen kam der Trompeter, der paßt wohl so richtig hierher,
Historische Klosterromane bespreche ich nimmermehr.
Ich gehe am Brunnen spazieren und sehe die vornehme Welt,
In Weinbergers stattlicher Handlung ist „Stine“ ausgestellt.
Ich seh wie die Gäste gekleidet (die Polinnen sehr gewählt!),
Und seh die Gesichter der Frauen, die haben mir manches erzählt.

Ich schreibe hier kleine Gedichte, die hätten Storm nicht gefallen.
Wie unterschiedlich beschaffen ist Schriftstellers Erdenwallen.
Auch schreibe ich viele Briefe, denn meistens bin ich allein,
Ich feile an meinen Pointen und drunten fließet der Main.
Zuletzt eine Novelette, wie ich hoffe, mit Geschick!
Ein Mann in meinen Jahren hat einen scharfen Blick.
Bei den Kindergräbern am Friedhof laß ich mein Paar sich verloben,
Ein Mann in meinen Jahren, der soll das Leben loben.

 

Fontane verwechselt in diesem Gedicht den Main mit der fränkischen Saale, ein für die Freunde Kissingens peinlicher Lapsus. Er hat Kissingen bereits im Zuge seiner Recherchen über den Mainfeldzug 1866 besucht, und die Erinnerung an sein Buch über den „Deutschen Krieg“ mag den Fehler verursacht haben, wenn nicht, was literaturgeschichtlich allerdings interessanter wäre, ähnlich klingende Verse Heinrich Heines ihn noch nachträglich überwältigten. Deutlicher gegenwärtig ist ihm offenbar Scheffels Roman Ekkehard, den er 1855 tatsächlich besprochen hat, übrigens sehr wohlwollend. Als Kurgast kam er dreimal nach Kissingen, 1889 zunächst allein, 1890 und 1891 von Anbeginn an mit Emilie. Das Gedicht referiert Eindrücke, die sich auch in seinen Briefen aus Kissingen spiegeln. Die letzten Verse spielen auf seine kleine Erzählung Eine Frau in meinen Jahren an, die in Kissingen handelt und auch den 1866 umkämpften Friedhof zum Schauplatz hat. Über seine Darstellung dieses Kampfes hat er in einem fingierten Gespräch reflektiert.

Fontanescher Ehedialog

„Die Preußen, Mila, kamen von Norden,
An Bronzell vorbei und über die Rhön,
Ein bergichter Marsch, doch strategisch schön
Und sehr überraschend, mit anderen Worten,
Wie Hannibal nach Italien hinein,
Zur Saale [sic!] zog Vogel von Falckenstein.“

„Ach, Theo!“

„Ich hab' es einst alles genau beschrieben,
Aber, ach, wo bist du, Sonne, geblieben!
Alle reden von Moltke und Königgrätz,
Doch Kissingen vergessen sie stets.
Das Schlachtfeld von Königgrätz glich einer Torte,
Das von Kissingen war von anderer Sorte.“

„Mein Theo!“

„Die Bayern standen am Uferrand,
Regiment König Otto von Griechenland,
Alles brave Landeskinder,
Dazu zwei Vierundzwanzigpfünder,
Ich hätte sie dennoch anders postiert
Man ahnt doch schon, was nun passiert ...“

„Wirklich, Theo?“

„Soeben (legt den Arm um sie) umfaßte die linke Flanke,
Ein friderizianischer Gedanke.
Da wurde der Friedhof zum letzten Kastell,
Der Kampf ging bis zur Marienkapell',
Versteckt auf der Kanzel, von der sonst gepredigt,
Hat still sich ein Bayer der Waffen entledigt.“

„Genug, Theo!“

 

Von Kissingen aus unternahm er 1889 auch seinen Ausflug nach Bayreuth.

 

Beim Hexenmeister. Willkommen und Abschied

Es schlug mein Herz, geschwind zum Zuge!
Es war getan, fast eh gedacht.
Das Dampfroß regte sich zum Fluge,
An Bayreuths Hügeln hing die Nacht.
Schon wusch das Festspielhaus, das neue,
Ein jäher Regenschauer blank,
Wo sich das Publikum, das treue,
Versammelte zu ernstem Klang.

Wie tropften Mantel, Schuh' und Hosen,
Ging unser Atem feucht und schwer.
Wie bang fühlt' ich den grenzenlosen
Kunstenthusiasmus um mich her.
Wie ward es mählich still und düster,
Wie traf mein ungeübtes Ohr,
Als nun verglomm der letzte Lüster,
Der feierliche Tubachor.

So bläst es einst zum Weltgerichte!
Wie tief ergriffen lauscht das Haus.
Kein Balladier übt im Gedichte
Wohl eine solche Wirkung aus.
Zukunftsmusik ist hier im Schwange,
Nase und Nerven streiken schon,
Mich schwindelt's - denn das währt noch lange -,
Stehl' ich mich leise nicht davon.

Schad' bleibt's um Kundrys Zaubergarten
Und des Amfortas Mißgeschick.
Dem Pförtner schenkt' ich meine Karten,
Er sah mir nach mit nassem Blick.
Nun will ich an Emilie schreiben,
Sodann nach Kissingen zurück.
Und doch - Soldat der Kunst zu bleiben
Und Künstler sein - Gott, welch ein Glück.

 

Bekanntlich hat Fontane diesen Ausflug auch in Briefen drastisch beschrieben. Die Parsifal-Ouvertüre, die ihn vertrieb, beginnt allerdings nicht mit Tubablasen, sonder piano. Das Blech dominiert erst im Mittelteil. Man muß annehmen, daß der Besucher, der sich von Berufs wegen auf künstlerische Effekte verstand, durch das allmähliche Vorrücken der Bläser geängstigt wurde. Das Gedicht überrascht nur insofern, als es formal eine Goethe- Parodie darstellt. Ein besonderes Attachement Fontanes für die Sesenheimer Lyrik war bisher nicht belegt.

Künstler kennen sich gut - das merkt man an der Art, wie sie übereinander schreiben. Auch Fontane hat den Bayreuther „Hexenmeister“ und den königlichen „Nordlichtern“ nichts geschenkt. Ein sorgfältig linierter Bogen ist „Einzug der Münchner Geschichtsprofessoren“ in die Walhalla überschrieben. Der kundige Leser denkt sofort an den „Kunst-fex“ Innstetten (HF I, 4, 37) und an die 1888 entstandene Ballade „Walter Scotts Einzug in Abbotsford“, der Dichter hat sich das Gedicht aber anscheinend als eine Art lyrisches Dramolett vorgestellt. Pikant ist sein Einfall, den Professoren bereits während ihrer Amtszeit Einlaß zu gewähren. Möglicherweise hielt er es auch poetisch nur für schwer glaubhaft zu machen, daß man sich ihrer nach der Emeritierung und weiteren Unvermeidbarkeiten noch erinnern würde. Klio führt den Zug der Gelehrten an, die ihre Talare ordentlich (nicht wie manchmal bei Antrittsvorlesungen schief) umgehängt haben. Felix Dahn spricht eine Art Inneren Monolog:

    Mein Cethegus, der macht Realpolitik
    Und eint Italien in einem Stück.
    Auch mit dem Papst legt er sich an,
    Weil man nicht alles glauben kann.
    Doch wird ihm die Sache zu schwer
    In Ermangelung von Militär.

Wilhelm Heinrich Riehl denkt an eine neue kulturgeschichtliche Novelle, für die er ein weiteres Mal den bewährten Titel „Land und Leute“ verwenden will (vgl. auch Fontanes Reisebriefe vom Kriegsschauplatz, HF II, 5, 349 f.), an den Gegensatz von Mann und Weib, die soziale Ungleichheit als ewiges Naturgesetz im Leben der Menschheit und reimt probeweise „Lilie“ auf „Familie“. Eine von einem Kaplan geführte, in Trachten gekleidete Wallfahrergruppe respondiert am Wegrand: „Und führe uns nicht in Versuchung, / Sondern erlöse uns von dem Sybel“, wird aber von den Kehllauten in Bärenfelle gekleideter Männer übertönt:

    Wir Goten sind nicht nur Germanen,
    Wir sind auch des Kaiserreichs Ahnen.
    Wir geben dem dorischen Tempel
    Den vaterländischen Stempel,
    Und mißfalln wir den bayrischen Leut',
    Dann ziehn wir halt gleich nach Bayreuth.

Vermutlich ist Fontane Ludwigs I. Buch Walhallas Genossen zugänglich gewesen, in dem dieser die Stämme der Völkerwanderung, Ost- und Westgoten, Vandalen, Heruler und Gepiden, zu den Deutschen gezählt hatte. Die genannten Professoren waren ihm persönlich bekannt, Dahn bereits aus dem „Tunnel“. Gleichwohl bleibt seine Imaginationskraft erstaunlich. (Man muß bedenken, Wagner lebte Anfang 1859 noch in Venedig und Ein Kampf um Rom ist erst 1876/78 erschienen.) Wie der Dichter von seinem Vater, so möchte der Herausgeber von seinem Dichter sagen: „Wo er alles herhatte, ist mir rätselhaft.“

Aber wir verzichten auf weitere Einzelheiten und wenden uns statt dessen noch einmal dem Thema „Fontane und Bayern“ im Zusammenhang zu. Lediglich ein 1850 entstandenes Gedicht über Von der Tann hat Fontane selbst veröffentlicht, und ein 1998 von Rudolf Muhs wiederentdecktes Huldigungsgedicht feiert in Gestalt der preußischen Königin Elisabeth zugleich die geborene Prinzessin von Bayern. In seinem Einladungsbrief an Fontane nach München vom 11. Februar 1859 erneuerte Heyse seinen nun vier Jahre zurückliegenden ersten Vorschlag. Es sei „des Königs Lieblingswunsch, eine stattliche Reihe bayrischer Balladen entstehen zu sehn“, und der Freund sei „besser als irgendein lebender oder längst begrabener Poet“ geeignet, diesen Wunsch zu erfüllen, vorausgesetzt, daß, wie Heyse hinzufügte, „Du einige Jahre die Wohltat bayrischer Bergluft und möglichster Sorglosigkeit genössest“. Dieser Anregung verdankt mithin auch die vorliegende Publikation ihre Entstehung. Freilich läßt sie weit eher den unermüdlichen Fleiß des Verfassers als Entspannung in alpiner Atmosphäre vermuten.

An seine Mutter schreibt Fontane am 3. März 1859 aus München, eine „Stellung wie die um die es sich jetzt handelt“, sei ihm „früher oder später so gut wie sicher“, wenn er sich dazu verstehen könne, „einige Vorgänge der bairischen Geschichte in Balladenform zu behandeln“. Und er fügt hinzu, „im nächsten Herbst, gestützt auf dann vorliegende Arbeiten“, würde der König Entscheidungen treffen können (HF IV, 1, 656). Zu diesem Zeitpunkt scheint er noch immer unentschlossen, dann aber haben nicht mehr rekonstruierbare Vorgänge Fontanes Schaffenslust zunächst geweckt und dann erlahmen lassen. Zu einer Publikation kam es jedenfalls nicht.

Auf dem letzten Blatt des Konvoluts, von links und rechts oben schräg eingefügt, befinden sich nur unvollständig leserliche Notizen, die motivisch überaus vage anmuten. Euphorisch und unkontrolliert, wie sie sind, lassen sie es für möglich erscheinen, daß der Dichter seiner bayrischen Sendung unter dem Einfluß dunklen Bieres untreu geworden ist, wie er es in München kennengelernt hat, anscheinend aber auch später in Berlin noch konsumierte. „Drei Seidel“, heißt es vielsagend in Effi Briest, „beruhigen jedesmal.“ (HF I, 4, 289) Jeglicher metrische und strophische Rekonstruktionsversuch kann unter den gegebenen Umständen nur ein Notbehelf sein. Die Fliehkraft der Gedanken sprengt den hermeneutischen Zirkel.

 

Amphitrite

Im Kopf lebt das Balladenland,
Ob Weiße Frau, ob Lola Montez,
Ich sah's im Geist, allein ich konnt' es
Erreichen nur an Freundeshand.
`s liegt dort ein Schloß, ein unbewohntes,
Das Spukschloß meiner Finessen,
Ich habe den Schlüssel vergessen,
Ihr Interpreten, verschont es.

Schön ist das Meer und sagenlind,
Das Theater der Amphitrite.
Meine Effi ist ein Königskind,
Doch Friedrich ist nicht der - - Dritte.
`s war hohenzollernsche Zählung,
In peußisch durchnumeriert
Scheint der deutsche Kaiser düpiert
So zählen ist keine Empfehlung.

Sie sollen es nicht haben,
Das heil'ge Land der Schlei,
Lütt-Agnes fiel in den Graben,
Was ist schon weiter dabei.
Die liebevoll mir Halt gegeben,
[zwei Wörter unleserlich] Kunstverwaltung
Sie halfen dem Gedicht zum Leben
[drei Wörter unleserlich] Gunstherhaltung ... Für E. u. F. Sar. u. A. u. G. Sla.

An dieser Stelle, wo es heute lauten müßte, „entfiel dem Meister die Maus“, entfiel ihm damals die Feder. Honi soit qui mal y pense.

*  Im Text erweiterte, im Kommentar gekürzte Fassung der Erstveröffentlichung in: Fontane-Blätter, Heft 71 (2001)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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