Eine Rezension Ursula Reinhold
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Theater und Politik

Manfred Wekwerth: Erinnern ist Leben
Eine dramatische Autobiographie.
Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000, 461 S.

Manfred Wekwerth (Jg. 1929) verkörpert den Typ des DDR-Intellektuellen, der durch Brecht und marxistisches Denken geprägt wurde und seinen Aufstieg als Regisseur und Theatermann mit und durch die DDR vollzog. Er war mit seinem Kunstverständnis der neuen Gesellschaft verbunden, wollte sie produktiv mitgestalten, hat ihre Entwicklung mitgetragen. Glücklicherweise liefert er jetzt mit seiner Autobiographie keine nachgeholte Dissidenz, wie sie mitunter im Lichte des Endes der DDR zu beobachten ist, sondern legt Zeugnis über sein Werden, Wirken und Wollen ab. In knapper Fragebogenform gibt er Auskunft über sein Herkommen, er wuchs im anhaltinischen Köthen allein mit der Mutter auf, die, in einfachen Verhältnissen lebend, auf das Abitur beim Sohn Wert legte. Dem Arbeiter-und-Bauern-Staat verdankt er Zugang zu Bildung und Förderung, wird Neulehrer für Mathematik und organisiert einen Laienspielzirkel. Der Glücksfall seines Lebens widerfährt ihm, als er mit seiner Laienspielgruppe ans Berliner Ensemble eingeladen und von Brecht als Regieassistent engagiert wird. Der Autor gliedert sein Buch in fünf Kapitel: 1. „Bei Brecht 1951-1956“, 2. „Nach Brecht 1956-1969“, 3. „Auf Wanderschaft 1970-1977“, 4. „In Amt und Bürden 1978-1992“, im 5. Kapitel, „Nachlese“ überschrieben, gibt er einen Rückblick auf die Wendezeiten. In diesen Abschnitt hat der Autor verschiedene Materialien eingefügt, er enthält Interviews, Gespräche und Briefe und gibt damit etwas von der Bewegtheit dieser Zeit wieder. Manfred Wekwerth hat als Schüler Brechts mit seinen Inszenierungen mitgeholfen, dem Theater in der DDR bedeutenden Rang und europäische Ausstrahlung zu verschaffen. Als einer der Assistenten hat er an den nun schon legendären Aufführungen des Meisters - von „Die Mutter“ und „Der kaukasische Kreidekreis“ - mitgewirkt. Nach dem Tode Brechts inszenierte er zusammen mit Benno Besson „Die Tage der Kommune“, das erste Brecht-Stück, das ohne den Meister zur Aufführung kam. In den folgenden Jahrzehnten bekommt er mit „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, mit Neuinszenierungen von „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Die Tage der Comune“, der Aufführung der dänischen Fassung des „Galileo Galilei“, von „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, „Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher“, mit „Flüchtlingsgespräche“ und der Neuinszenierung von „Die Dreigroschenoper“, der Aufführung von „Der Untergang des Egoisten Fatzer“ (in der Bearbeitung von Heiner Müller) sowie mit den Verfilmungen von „Die Mutter“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“ sowie zahlreichen Brecht-Programmen (zusammen mit Renate Richter ) seinen Namen als d e r Regisseur von Brecht-Stücken. Der Gesamtüberblick zeigt allerdings, daß diese Zuschreibung zu eng ist, die Übersicht weist eine breite Palette von Stücken deutscher und nichtdeutscher Autoren aus. So hat er am Berliner Ensemble Inszenierungen von Kleists „Der zerbrochene Krug“ und „Der Prinz von Homburg“, außerdem Sean O´Caseys „Purpurstaub“, Synges „Der Held der westlichen Welt“ und Skakespeares „Coriolan“ auf die Bühne gebracht. Nachhaltig war Wekwerth in den 60er und 70er Jahren daran beteiligt, daß am Berliner Ensemble Stücke gegenwärtiger Autoren aufgeführt wurden. Als Neuentwicklungen kamen Helmut Baierls „Frau Flinz“ und „Johanna von Döbeln“, Heiner Kipphardts „In Sachen Robert J. Oppenheimer“, Peter Weiss' „Die Ermittlung“, Volker Brauns „Großer Frieden“ und „Zufällig eine Frau: Elisabeth“ von Dario Fo auf die Bühne. Auch den in der DDR lange Zeit umstrittenen „Johann Faustus“ von Hans Eisler hat Wekwerth in Zusammenarbeit mit Joachim Tenschert 1982 auf die Bühne des BE bringen können. Daneben suchte er in Aufführungen älterer und neuerer Revolutionsstücke wie „Zement“ nach dem Roman von Gladkow und mit „Der Selbstmörder“ von Nicolai Erdman, Einfluß auf die Stagnation in der DDR zu nehmen. Diesen Versuch unternahm er auch mit den Filmproduktionen für den Deutschen Fernsehfunk von Wischnewskis „Optimistische Tragödie“, von Gladkows „Zement“ und von Panitz' Roman Die unheilige Sophia. Nach seinem Weggang vom Berliner Ensemble, für den er hier die Gründe liefert, hat er mit seinen Shakespeare-Aufführungen am Deutschen Theater und mit „Coriolan“ am National Theater in London, mit „Leben und Tod König Richards des III.“ am Zürcher Schauspielhaus sowie einer Bearbeitung und Inszenierung des „Wallenstein“ am Burgtheater in Wien europäische Theaterentwicklung mitbestimmt.

Mit seinem Erinnerungsbuch zieht er die Bilanz über seinen Beitrag zur Theatergeschichte der Zeit zwischen 1950-2000, bezeugt zugleich, daß und wie sein Denken und Arbeiten vom Theater besessen war und ist. Er skizziert aus seiner Sicht die Arbeitsverhältnisse und das geistige Klima am Berliner Ensemble mit Brecht und ohne ihn, unter der Ägide von Helene Weigel. Wekwerths Prägung weist ihn als einen Intellektuellen aus, der die Kunst und das Theater in den Dienst gesellschaftlicher Veränderung, sozialen Engagements und aufklärerischen Denkens gestellt wissen will. Eckpunkte seines Denkens und seines Kunstverständnisses sind durch die Vorstellung geprägt, daß Politik und Kunst in ein produktives Verhältnis zueinander treten müssen. Er bekennt sich zu solcher Form revolutionären Theaters, das zugleich mit produktiven Denkanstößen Genüsse provoziert und vermittelt. Produktives Eingreifen und der Umgang mit den eigenen Widersprüchen sind Knotenpunkte seines an Brecht geschulten Theaterkonzepts. Wenig reflektiert er über die Chancen solchen Theaters heute, nimmt den Zusammenbruch des Sozialismus nicht zum Anlaß, um über die realen Wirkungschancen solchen Konzepts nachzudenken. Interessant sind auch die Erinnerungen an Begegnungen mit berühmten Theaterleuten, Regisseuren, Intendanten, Schauspielern. Neben Brecht, Dessau, Eisler, Weigel, Elisabeth Hauptmann, Ruth Berghaus sind es die jüngeren Regisseure am BE - wie Benno Besson, Peter Palitzsch, Egon Monk, Christoph Schroth, Joachim Tenschert - und die Schauspieler Ernst Busch, Eckehard Schall, Erich Franz, Raimund Schelcher, Hilmar Thate und Anthony Hopkins als Skakespeare Darsteller, mit denen er zusammengearbeitet hat. Begegnungen gab es auch mit Georgio Strehler und Harry Buckwitz und den Autoren Dario Fo, Volker Braun, Heiner Müller, Helmut Baierl und Peter Weiss und nicht zuletzt Konrad Wolf, mit dem ihn ein intensiver Arbeits- und Gedankenaustausch verband. Langjährige produktive Arbeitskontakte haben ihn auch mit Wissenschaftlern, z. B. Werner Mittenzwei und Robert Weimann, verbunden. Natürlich sind die Erinnerungen an Begegnungen mit zahlreichen Anekdoten gewürzt. Konkrete Einblicke in seine Inszenierungskonzeptionen gibt er vor allem für die Aufführungen von Brecht- und Shakespeare-Stücken. Aber auch über die Auseinandersetzungen, die den Aufführungen neuerer DDR-Autoren vorangingen, erfährt der Leser Details. Damit ist das Buch auch ein Stück DDR-Geschichte und ihrer Kulturentwicklung. Breiten Raum nehmen die Kämpfe mit der DDR-Kulturbürokratie ein und bezeugen den Widerstreit der verschiedenen Fraktionen und Bestrebungen, die es über die ganze Zeit des Bestehens der DDR gegeben hat. Als Präsident der Akademie der Künste, der Wekwerth zwischen 1980-1990 war, ist er selbst Kulturpolitiker und zugleich das Objekt von Kulturpolitik. Seine Ausführungen über den relativen Freiraum, der an der Akademie der Künste bestanden hat, geben Aufschlüsse über die produktiven Mitwirkungsmöglichkeiten dieser Institution, aber auch über die Kontroversen mit den Kulturverantwortlichen in der Parteiführung. Die Vorgänge, die der Biermann-Ausbürgerung vorangingen, und die Ereignisse während der Wendezeit werden ausführlicher beleuchtet. Ein Verzeichnis der Inszenierungen weist die Aufführungen bis zum Jahr 2000 und so die künstlerische Produktivität Wekwerths auch nach der Wende aus. Ein Personenregister erhöht den Gebrauchswert des Buches.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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