Eine Rezension von Irene Knoll

Schicksal, nimm deinen Lauf!

Elisabeth Haselau: Es kommt die Stunde
Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2000, 510 S.

Kleines Mädchen, fünf Jahre alt, wächst auf einem Gut auf, Ärmste unter den Armen, Waise. Celia. Aber entzückend, grüne Augen, die man nicht vergessen kann, gescheit, schenkt sein Kinderherz dem Musikstudenten Chris Culverlain, der ab und zu dort bei seinem Freund Richard Ferien macht. Er bringt ihr die ersten Töne auf dem Klavier bei, Culverlain, Lord Culverlain, Lord Christopher Culverlain, Sproß einer der besten und auch einflußreichen Familien Irlands, reich, unglaublich schön, „ein Bild von einem Mann“, schon ein Name in der Musikwelt, wird immer noch berühmter, endlich auch Dozent am Konservatorium in, wo?, in Dublin. Das kleine Mädchen bekommt eine gediegene Schulausbildung, wer mag die finanziert haben?, kommt irgendwann auf sein dreckiges Gut zurück, auf dem Kriegsflüchtlinge schändlich ausgebeutet werden, der Zweite Weltkrieg ist vorbei, schafft ein bißchen Ordnung und begegnet Chris wieder, den sie die ganze Zeit im Herzen getragen hat. Und es kommt der Moment, nicht die Stunde, die kommt erst später, da auch Chris vom Blitz der Liebe durchzuckt wird angesichts des unglaublich schön herangewachsenen Mädchens. „Was ihr längst geschehen war, das geschah jetzt ihm, in diesen Minuten, aber es durfte nicht geschehen, nicht ihm.“ Er hält sich edelmännisch zurück, denn, was sie nicht weiß, er ist verheiratet, aber seine Frau ist krank, seelisch schwer lädiert nach dem Tod eines Kindes, es gibt wenig Hoffnung auf Heilung. Und nicht nur das, das irische Gesetz verbietet Scheidung. Ächtung wäre die Antwort der Kirche und der stockkatholischen irischen Öffentlichkeit auf Scheidung oder illegitime Verhältnisse. Das erfährt der Leser schon beizeiten, denn von diesem Generalkonflikt zehrt die umwegige Handlung. Celia aber nimmt ihr Leben in die Hand: das bißchen Gesparte, ihr geringes Gepäck und Abschied vom Gut. Ziel ist Dublin, Ziel ist Chris. Sie besteht die Aufnahmeprüfung mit Glanz und Gloria und kommt in seine Klavierklasse. Schicksal, nimm deinen Lauf! Und es nimmt ihn, durch Tief und Hoch und Hoch und Tief. Mal glaubt er, sich versagen zu müssen, dann sie, dann kommen sie endlich zusammen und auch das erste Kind, Culverlain wie aus dem Gesicht geschnitten natürlich.

Wir haben schon dreihundertfünfzig Seiten hinter uns. Nun beginnt die Phase der liebenden Rücksichtnahme, sie will ihm und seinen irischen Bindungen auf gar keinen Fall im Wege stehen. Am meisten strapaziert für den Fortgang der Dinge wird das irische Gesetz- und Moralwesen. Ohne das hätten sich die Königskinder ja längst bekommen, und die Geschichte hätte sich erledigt. Natürlich könnte er sich scheiden lassen, indem er die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmt, was er später auch tut, natürlich könnten sie heiraten, wenn auch ohne den Segen der Kirche, natürlich könnten sie zusammen leben, an einem anderen Ort. Aber das will ihm Celia nicht zumuten, sie weiß, dort wird er gebraucht, dort schlägt sein Herz, das Herz des Iren, der sein Land liebt und seinen Herrensitz. Alles ist reich, und die Menschen sind so gut und so wohltätig und so weise. Die Autorin schwelgt in der Beschreibung von soviel menschlicher Schönheit, Güte, Begabung und Garderobe. Und es ist nicht genug, daß Celia sich Lord Culverlains mit Talent und Können, mit Schönheit und Anstand, mit Güte und Umsicht würdig erweist, es stellt sich auch heraus, daß sie gar nicht das arme kleine Ding ohne Herkunft ist, sondern die Halbschwester des Freundes Richard und gleichberechtigte Erbin. Damit der Konflikt nicht einschläft, muß endlich auch die böse Schwiegermutter wieder herhalten, Lady Culverlain mit dem ausgeprägten Sinn fürs Konservative und Law und Order. Die Autorin ist offenbar so verliebt in die Passionen ihrer Figuren und ihre Bedeutung und ihren Lebensstil, daß sie auch nach der doch und endlich vollzogenen Trauung, der dann keine gesellschaftliche Katastrophe folgt, nicht aufhören kann. Es passiert nichts mehr als Beschreibung des Ambientes. Ein paar Culverlains werden noch geboren, und damit die Geschichte nicht ohne eine wirkliche Tragödie endet, muß die erstgeborene Tochter sterben. Sie wird bei einer Demonstration in Nordirland tödlich verletzt. „Ein Kind ist gegangen für das Volk von Irland.“

„Einen Roman der starken Gefühle und die Geschichte einer großen Liebe“, nennt der Verlag das Buch. In der Tat ist es fünfhundertzehn Seiten starker Kitsch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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