Eine Rezension von Bernd Heimberger

Folgen eines Feuers

Alexander Bahar/Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand
Wie Geschichte gemacht wird.
Quintessenz Verlag, edition q, Berlin 2001, 864 S.

In seinen Lebenserinnerungen rühmt Marcel Reich-Ranicki einen Berliner Gymnasiallehrer, der seine Schüler bittet, nicht zu behaupten, die Nationalsozialisten hätten den Reichstag angezündet. Und das am Tag nach dem Brand. Obwohl die Nazis die Tat leugneten und die Kommunisten der Brandstiftung bezichtigten, traute ihnen alle Welt das Attentat auf das deutsche Parlament zu. Bevor im Oktober 1933 der Reichstagsbrandprozeß begann, hatte das in Westeuropa verbreitete Braunbuch über den Naziterror die Nationalsozialisten als Brandstifter gebrandmarkt. Das überlegene Auftreten des angeklagten Bulgaren Georgi Dimitroff im Prozeß, das schließlich zum Freispruch führte, bekräftigte die Weltmeinung, daß der zum Tode verurteilte Holländer Marinus van der Lubbe nicht der Alleintäter war. Was Reich-Ranicki im nachhinein berichtete, galt DDR-Schülern als einzige Wahrheit der Geschichte: Die Nazis waren die biedermännischen Brandstifter! Weder „Spiegel“-Serien-Schriften noch „ZEIT“-Zeichen-Zeilen stifteten in den Köpfen der DDRler Zweifel. Mit fragwürdigen Für-und-wider-Debatten wurden wieder und wieder die Bundes-Deutschen belästigt und bedrängt. Bereits 1949 bekam der erste Gestapo-Chef die Chance, seine Schleimereien in einer neunteiligen Folge im „Spiegel“ zu veröffentlichen. Ein Jahrzehnt später durfte der „Amateurforscher“ Fritz Tobias im genannten Magazin ungestraft seine erfinderischen Thesen vom Einzeltäter aufblasen.

Die fortgesetzten nötigen wie unnötigen Interpretations-Prozesse zum Reichstagsbrand haben dazu beigetragen, daß immer neue Rauchschwaden für Undeutlichkeit sorgten. Spekulationen hatten Saison. Die überheblichen, manipulierenden, kontroversen Interpreten hatten nicht mal in Reichweite, was der Historiker Alexander Bahar sowie der Physiker und Psychologe Wilfried Kugel nutzen konnten: fünfzigtausend Aktenblätter, die zunächst in Moskau, später in Ost-Berlin unter Verschluß gehalten wurden. Die Autoren hatten einen enorm erweiterten Fundus für ihre Forschung zur Verfügung. Entsprechend fundiert sind die Ergebnisse. Also sachlich, unsensationell und für marktschreierische Aufmachungen ungeeignet. Kein Wunder, daß die dokumentierenden Tat-Sachen-Berichte der Forscher, nun in dem Buch Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird zusammengefaßt, jahrelang in Deutschland ignoriert wurden. Die Arbeit der Autoren hat einen Umfang und ein publizistisches Ausmaß angenommen wie noch keine Publikation zum Reichstagbrand. Eindeutig sind die Ausführungen und somit die Aussagen. Eher unbestechliche Chronisten denn eitle Historiker, ist die Arbeit eine Addition exakter chronologischer Abfolgen, zu denen auch die detaillierte, minutiöse Darstellung der Vor- wie Nachgeschichten des Reichstagsbrandes gehören.

Die Verfasser vertrauen Fakten, die das Spekulieren verbieten. Bahar und Kugel haben, im konkreten wie übertragenen Sinne, einige Leichen ausgegraben. Verdeckte, versteckte Tatsachen werden wieder Tatsachen genannt. Die Verdächtigungen der Antifaschisten werden bestätigt, die Vermutungen Dimitroffs bekräftigt. Marinus van der Lubbe, der Verurteilte, war kein Alleintäter, die freigesprochenen Kommunisten nicht die Inspiratoren und Initiatoren des Reichstagsbrandes. Nichts, was Generationen von DDRlern wirklich neu wäre. Wenn, dann müssen die West-Deutschen staunen, denen im Laufe der Jahrzehnte eine Masse Stuß zur Sache vorgesetzt wurde. Grob gesagt: geistiger Brandstiftungs-Schutt! Ob damit endgültig Schluß ist? Den Anfang müßten die Medien machen, indem sie wahrnehmen, was ein kleiner Süd-Berliner Verlag versucht, in Deutschland zu verbreiten: Mehr Wahrheit über den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 und seine Folgen. Die Forschungsergebnisse von Bahar und Kugel klopfen denen fest auf die Finger, die immer wieder mit Wortschwefel zündeln. Der Prozeß Reichstagsbrand ist einer der dauerhaftesten der deutschen Geschichte und nun selbst ein Fall der Geschichten in Deutschland.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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