Eine Rezension von Eberhard Fromm
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Zwei Gelehrtenleben

Kay Schiller: Gelehrte Gegenwelten
Über humanistische Leitbilder im 20. Jahrhundert.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2000, 192 S.

Was der in London lehrende Historiker Kay Schiller (1962) hier vorlegt, ist eine interessante Mischung aus Biographischem, Wissenschaftsgeschichtlichem und allgemein Kulturgeschichtlichem. Er stellt die beiden Wissenschaftler Ernst Kantorowicz und Hans Baron als Repräsentanten der humanistischen Tradition im 20. Jahrhundert und eines deutsch-jüdisch assimilierten Bürgertums vor, beschreibt ihr ähnliches Schicksal von der Entwicklung in Deutschland über die Emigration in die USA bis hin zur dortigen Wirkung, analysiert ihre Hauptwerke und theoretischen Leistungen und stellt das Ganze in den Gesamtzusammenhang kulturgeschichtlicher Betrachtungen.

Von besonderem Interesse ist dabei, daß und wie der Autor die beiden einzelnen Biographien mit der Geistesgeschichte ihrer Zeit, mit dem Kreis um Stefan George und um Max Weber sowie mit einzelnen theoretischen Ansätzen - so dem Konzept vom „dritten Humanismus“ - verknüpft. „Ich habe in diesem Buch“, heißt es in den Schlußbemerkungen, „vor allem nach den Spuren gesucht, die die Vertreibung aus Deutschland und die Emigration in die Vereinigten Staaten im wissenschaftlichen Werk zweier deutsch-jüdischer Gelehrter und Humanisten hinterlassen haben.“ Diese Spurensuche ist gelungen und vermittelt interessante Einsichten.

Ernst Kantorowicz (1895-1963) stand in den Wirren der Jahre 1918/19 auf seiten der Konterrevolution; er gehörte verschiedenen Freikorps an und war an den Kämpfen im Januar 1919 in Berlin sowie bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt. Er schloß sich eng an den Kreis um Stefan George an, dessen Einfluß auf seine wissenschaftliche Arbeit er bis ins hohe Alter verteidigte. Nach dem Studium in Heidelberg und der Promotion 1922 wandte er sich dem Studium der mittelalterlichen Kulturgeschichte zu. 1927 erschien die Arbeit „Kaiser Friedrich der Zweite“, „ein Versuch der Ausweitung von Georges Glauben an die Vorherrschaft der Kunst über die Wissenschaft auf die Domäne der historischen Wissenschaften“. 1938 verließ der Wissenschaftler Deutschland und emigrierte über England in die USA. Hier fand er Arbeit an der Universität in Berkeley, bis er 1950 nach Princeton übersiedelte. Hier erschien 1957 sein zweites größeres Werk „Die zwei Körper des Königs“, eine Studie zur mittelalterlichen politischen Theologie.

Der Berliner Hans Baron (1900) studierte in Berlin und Leipzig, promovierte 1922 bei Friedrich Meinecke und wurde von Ernst Troeltsch nachhaltig beeinflußt. Ab Mitte der zwanziger Jahre wandte er sich danach der Erforschung der italienischen Renaissance zu. Nach 1933 arbeitete er in Italien und England, bevor er 1938 in die USA übersiedelte. Hier erhielt er allerdings erst 1949 eine feste Anstellung in Chicago. 1955 erschien sein wohl umfangreichstes Werk über die Geschichte der politischen Ideen und der Kultur im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts (The Crisis of the Early Italian Renaissance).


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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