Eine Rezension Kathrin Chod

Der kurze Frühling eines Politikers

Wolfgang Schäuble: Mitten im Leben
C. Bertelsmann Verlag, München 2000, 348 S.

Das hatten sich die Leitartikler maßgeblicher liberaler Publikationen in Deutschland so schön vorgestellt. Die Wahlen ergeben irgendwie ein Patt zwischen CDU und SPD, und eine Große Koalition wird notwendig. An deren Spitze würde nun das Traumpaar der deutschen Politik stehen: Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble, die beiden Politiker, denen als einzigen die Mixtur von politischer Führung und neuem strategischem Denken zugetraut wurde. Zwei Jahre später haben beide noch etwas gemeinsam, sie sind weg vom Fenster. Ein Umstand, der Verschwörungstheoretikern ein gefundenes Fressen bieten könnte. Wer nun aus dem vorliegenden Buch von Wolfgang Schäuble eine Antwort erwartet, die über das in den Medien bislang Veröffentlichte hinausgeht, der wird mit Sicherheit enttäuscht. Schäuble bietet hier einen nahezu chronologischen Bericht aus der Endzeit der CDU/CSU/FDP-Koalition und seiner Zeit als Parteivorsitzender, des überraschenden wie kurzen Frühlings der CDU nach dem Wahldebakel, bis zum jähen Absturz durch den „zufällig“ aufgedeckten Parteispendenskandal. Der Abgesang auf das Ende der 16jährigen Regierungszeit der CDU enthält nichts, was wir nicht ohnehin wissen: Eigentlich brachte die Koalition nichts Gescheites mehr zustande, Kohl hatte einen patriarchalischen Führungsstil, Norbert Blüm war der letzte „Sozialdemokrat“ als Arbeitsminister, und Wolfgang Schäuble war Kronprinz, aber kein Königsmörder. „Meine Überzeugung war immer, dass Kohl aus seiner Partei heraus nicht ohne zerstörerische Folgen gestürzt werden konnte - und wegen dieser Folgen auch nicht gestürzt werden durfte.“ Nun hatten ja die Wähler und der politische Gegner Schäuble diese Arbeit abgenommen, und dennoch bleibt Schäuble auch als Parteivorsitzender etwas zögerlich: Irgendwie befindet er sich immer auf einer „politisch nicht ganz ungefährlichen Gratwanderung“, er „musste höllisch aufpassen“, ist darauf bedacht, „höchste Vorsicht walten zu lassen, um nicht in der äußerst labilen Nach-Wahl-Situation eruptive Diskussionen zu provozieren, die mit Sicherheit genauso widersprüchlich geführt würden, vor allem aber zu unversöhnlichem und verletzendem Streit führen konnten“. Nach außen versteckt sich diese Vorsicht hinter dem Slogan „Erneuern und Bewahren“. Im Innern heißt es in erster Linie „nicht allzu viel Raum zum Grübeln zu lassen“, „nicht das Risiko laufen, eine nicht mehr kontrollier- und steuerbare Diskussion zu provozieren“. Auch als die Parteispendenaffäre an die Öffentlichkeit kommt, heißt Schäubles Devise wieder „Aufklären und Bewahren“. Noch heute scheint er keinen Fehler in dieser Losung zu sehen, die der Bevölkerung den verhängnisvollen Eindruck vermittelte, daß nur das Bekannte „aufgeklärt“ wird und die Geheimnisse eben „bewahrt“ werden. Ist die Vorsicht vielleicht noch verwunderlich, kaum glaubhaft ist die zur Schau gestellte Arglosigkeit, die der zum Zyniker gewordene Beobachter der politischen Szene kaum glauben mag: Nicht nur, daß er sich bestimmte Verhaltensweisen von Kohl einfach „nicht vorstellen“ konnte. Auch bei der Ablösung der Schatzmeisterin Brigitte Baumeister ist Schäuble verwundert, daß diese „zu meiner Überraschung über meinen Vorschlag nicht glücklich“ war.

Auch zu den Hintergründen seines Rücktritts kann oder will Schäuble nichts Neues beitragen. Er wiederholt lediglich Gerüchte, wonach Kohl gegen ihn gearbeitet habe, wofür ihm nicht nur Andeutungen anderer Politiker Beleg sind. Vielmehr waren es ja gerade Kohl-Freunde in den Medien wie der ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser und die „Welt am Sonntag“, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom großen Skandal auf den Nebenschauplatz der Geldübergabe an Schäuble oder Burmeister richteten. Zu den Ursachen dieser offenbar gezielten Arbeit Kohls, die noch bis vor die Wahlen zurückreicht, kann Schäuble aber nur einige fast unwesentliche Mißverständnisse anführen.

Was Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzender an politischen Ideen zu bieten gehabt hätte, bleibt gegenüber der Chronik im Hintertreffen, und nicht nur, weil Schäuble erst nach dreihundert Seiten zu einigen dieser Fragen Stellung nimmt. Wie schwach entwickelt diese Ansätze sind, zeigt sich, wenn er einerseits Lafontaine für dessen Forderungen nach weltweiten Regulierungen gegen Globalisierungswildwuchs kritisiert und selbst dann allen Ernstes Rezepte wie Deregulierung und Wettbewerb anbietet.

Vielleicht ist ein Politiker nach so vielen Jahren im politischen Tagesgeschäft tatsächlich erst einmal zu ausgebrannt und verschlissen, als daß man von ihm tiefgreifende Analysen und neue Ideen erwarten könnte. Schäuble, der so oft als der Denker, der Analytiker, der Stratege postuliert wurde, bleibt dieser Einschätzung nicht nur vieles schuldig, mehr noch, er muß nur fleißig weiter derartige Bücher schreiben, um diesen Ruf vollends zu ruinieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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