Eine Rezension von Monika Melchert

Offen für immer neue Angebote der literarischen Welt

Eva Kaufmann: Aussichtsreiche Randfiguren
Aufsätze.
Mit Radierungen von Nuria Quevedo.
federchen Verlag, Neubrandenburg 2000, 218 S.

Mit den aussichtsreichen Randfiguren - die Autorin hat ihren Titel bei der Schriftstellerin Brigitte Burmeister entlehnt - sind Frauen gemeint, die sich, allen Komplikationen der turbulenten Umbruchzeiten nach 1990 zum Trotz, mit ihrer Kunst wie mit ihrer praktischen Lebenserfahrung in der neuen deutschen Literaturlandschaft behaupten. Sie sollten damals am liebsten gänzlich vom öffentlichen Literaturmarkt verdrängt werden. Daß dies nicht gelungen ist, liegt zu einem nicht geringen Teil auch am Engagement von Literaturwissenschaftlerinnen und -vermittlerinnen wie Eva Kaufmann, die das Werk dieser Schriftstellerinnen aufmerksam begleiteten. Deshalb ist es sinnvoll, hier einen Band mit Aufsätzen aus den letzten zwei Jahrzehnten zu präsentieren, der diese lang anhaltende Fürsprache dokumentiert.

Die Germanistin Eva Kaufmann lehrte zunächst an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dann viele Jahre an der Berliner Humboldt-Universität. Seit den siebziger Jahren war sie eine wichtige Stimme in der DDR-Forschung zur deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, zunehmend mit internationaler Anerkennung. Früher als viele andere begann sie sich intensiv mit der Literatur von Frauen zu beschäftigen, in Lehrveranstaltungen, Vorträgen und Kritiken. So hat sie dazu beigetragen, das öffentliche Bewußtsein dafür zu schärfen, daß die Bücher von Autorinnen oft einen ganz spezifischen Wahrnehmungsmodus unserer Welt einbringen. Dabei ist es ihr Credo, bewußt über den Rand der deutschen Literatur hinauszusehen, weltliterarische Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen (in den achtziger Jahren bekam sie einen Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft). Interessante Gegenwartsautorinnen aus aller Welt sind ihr wichtig - so Nadine Gordimer, Doris Lessing oder die Neuseeländerin Keri Hulme. Der vorliegende Band sammelt Essays zur deutschen Literatur von Frauen - es handelt sich durchweg um Wiederabdrucke von Beiträgen aus Zeitschriften und Anthologien -, in die vieldimensionale Bezüge dieserart eingeflossen sind. Sie wurden nicht nachträglich für diese Publikation überarbeitet, denn: „Warum sollte ich mich klüger machen, als ich war.“

Erzählend sich in der Welt von heute zu verankern ist die besondere künstlerische Existenzweise dieser Schriftstellerinnen, deren Werk Eva Kaufmann nachgeht. Besonders intensiv setzte sie sich seit vielen Jahren mit dem erzählerischen Werk von Anna Seghers, Christa Wolf, Irmtraud Morgner oder Helga Königsdorf auseinander. So machte sie als eine der ersten auf den ironischen Erzählgestus im Werk von Helga Königsdorf nachdrücklich aufmerksam, der eine ganz spezifische Innensicht auf die Verhältnisse innerhalb der DDR-Gesellschaft konstituierte (vgl. „Spielarten des Komischen. Zur Schreibweise von Helga Königsdorf“). Daneben gehören zu den behandelten Autorinnen Brigitte Reimann, Gerti Tetzner, Brigitte Burmeister, Kerstin Hensel, Brigitte Struzyk, Helga Schütz u. a., aber auch theoretische Untersuchungen zu Fragen des Stellenwerts von Literatur im Spannungsfeld der Frauenbewegung der neunziger Jahre. So befaßte sie sich Anfang der neunziger Jahre beispielsweise mit weiblicher Zeitschriftenkultur („Ypsilon“ und „Zaunreiterin“). Bizarre Radierungen von Nuria Quevedo, ihrer spanischen Freundin, schmücken den Band und konterkarieren auf sehr eigene Weise die Sicht auf Menschen der Gegenwart, die Eva Kaufmann mit dem spezifischen Blick der Literaturwissenschaftlerin demonstriert. Ihr analytischer Ansatz, ihre unpretentiöse, zumeist sinnlich-anschauliche Sprache machen diese Beiträge angenehm auch für nichtprofessionelle Leser.

Souverän geht sie Mitte der neunziger Jahre mit den im Literaturstreit Ost-West dominierenden Vereinfachungen, ideologischen Zuschreibungen und Denunziationen von Ost-Autorinnen um und führt die vielfältigen Argumente pro und contra zurück auf das ästhetische Verständnis der besonderen Art von Prosa, wie Christa Wolf sie mit Medea. Stimmen geschaffen hat. So arbeitet sie das utopische Potential des Romans, gewissermaßen mit Händen greifbar, heraus, indem sie weg von den verzerrenden Oberflächendeutungen des herrschenden Feuilletons auf die tatsächliche historisierende Intention der Schriftstellerin zurücklenkt. Sie hatte damals längst verstanden, daß die eigentlichen Veränderungen von den Rändern der Gesellschaft her - also den Randfiguren - ausgehen müssen.

Ein facetten- und faktenreiches Gespräch, das Carola Opitz-Wiemers mit Eva Kaufmann führte, eröffnet den Band und gibt einen Überblick über eine exemplarische akademische Biographie in der DDR - von der ABF-Studentin um 1950 bis zur Professorin für neue deutsche Literatur bzw. Weltliteratur, dabei politisches Engagement und zeitgeschichtliche Auseinandersetzungen aller Art nicht scheuend. Wer sich heute im Rückblick für innere Strukturen der DDR-Gesellschaft interessiert, findet in einem derartigen Lebenslauf wahrscheinlich mehr „Anschauungsmaterial“ als in mancher Geschichtsdokumentation. Da sollte man die Zeitzeugen, zu denen Eva Kaufmann gehört, noch viel genauer und umfassender befragen und sie auffordern, ihre Erinnerungen aufzuschreiben.

Ein großer Vorzug ihrer Art zu schreiben ist ein erklärender, ja, ich scheue mich nicht zu sagen: aufklärerischer Impuls, der darauf beruht, den Leserinnnen und Lesern die Literatur, über die sie selbst nachgedacht hat, zu erschließen und einsichtig (nicht: durchsichtig!) zu machen. Sie beläßt dem literarischen Werk immer seinen Kunstcharakter und damit durchaus auch das Geheimnisvolle von literarischem Erzählen. Sezierendes Bloßlegen von literarischen Strukturen ist nicht das, was sie erreichen will. Als Ganzes genommen bilden die Beiträge dieses Buches über die aussichtsreichen Randfiguren ein Teilstück handhabbare Geschichte der deutschen Gegenwartsliteratur. Eva Kaufmann bewegt sich in einem geistigen Raum zusammen mit gleichgesinnten Frauen, über die sie sagt: „Sie halten sich offen für Veränderungen und erwarten Bewegung in erster Linie von sich selbst, als ob sie meinten: Noch ist der Mond / gespannt auf / unsere Bahn.“ (Zitat aus einem Gedicht von Brigitte Struzyk.) Genau das zieht sie an in der Literatur wie der Lebenspraxis von Frauen, denn auch sie zeigt sich offen für immer neue Angebote der literarischen Welt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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