Eine Rezension Kathrin Chod

Liebe auf den zweiten Blick

Vom Geschäftshaus zum Haus des Deutschen Handwerks
Baudenkmale in der Friedrichstadt, Mohrenstraße 20-21.
Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 1999, 68 S.

Die Entscheidung des Deutschen Bundestages für Berlin als Hauptstadt und als Sitz von Parlament sowie Regierung hatte auch zur Folge, daß sich etliche Spitzenverbände nach einem neuen Domizil umsahen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag und andere Arbeitgeberverbände ließen sich an der Breiten Straße ein „Haus der Wirtschaft“ errichten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund zog statt in die traditionsreichen Quartiere am Engeldamm und in der Wallstraße als Untermieter beim „Bundesverband deutscher Banken“ am Hackeschen Markt ein. Der Deutsche Beamtenbund läßt einen Komplex historischer Geschäftshäuser an der Friedrichstraße zu seinem Sitz umbauen. So begab sich auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks auf die Suche nach einer repräsentativen Adresse und wurde fündig mit dem ehemaligen Parteigebäude der NDPD in der Mohrenstraße 20-21. Die Folge dieser Entscheidung dokumentiert Heft 15 der Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin. Es vereint Aufsätze zur Baugeschichte des Hauses, zu den Sanierungsarbeiten, Schwerpunkten der Denkmalpflege, Architektur und Politik in der Wiederaufbauphase der DDR, zum Keramikfries von Waldemar Grzimek und Hedwig Bollhagen im Gebäude, zu Häusern des Handwerks in Berlin und zur Beziehung von Handwerk und Denkmalpflege. Der Beitrag „Das Haus des Deutschen Handwerks“ geht in der Baugeschichte auf das Jahr 1908 zurück, als die Konfektionsfirma Orgler und Friedemann hier ein repräsentatives Geschäftshaus errichten ließ, das 1924 für die Deutsch-Südamerikanische Bank umgebaut wurde. Das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörte Haus übernahm die Nationaldemokratische Partei Deutschlands 1950, um hier ihren Hauptsitz zu errichten. Ab diesem Zeitpunkt wird die Gebäudegeschichte zu einem interessanten Beispiel für die Architekturentwicklung in der frühen DDR. So plante man in den 50er Jahren, die Friedrichstraße zu einem 66 Meter breiten vornehmen Boulevard auszubauen, wovon heute noch das hinter die Straßenflucht zurückversetzte Hotel Unter den Linden zeugt. Durch den Abriß der unmittelbar an der Straße gelegenen Ruinen stand das künftige NDPD-Haus nun unmittelbar mit der Brandwand an der neuen Magistrale. Statt dieser errichteten die Architekten Erich Kuhnert und Hans Gericke eine Schaufassade im neoklassizistischen Stil, dem auch die Fassade zur Mohrenstraße angepaßt wurde. So ist das 1958 fertiggestellte Haus heute neben den Bauten der Stalinallee ein wichtiges Zeugnis für den nationalen Stil in der frühen DDR-Architektur, weshalb es auch unter Denkmalschutz steht. Eine Entscheidung mit Konsequenzen, die von vielen Bauherren nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen wird. Norbert Heuler beschreibt in seinem Aufsatz die bemerkenswerte Entwicklung in der Einstellung des Zentralverbandes des deutschen Handwerks dazu. Angefangen von Skepsis, hin zu „zunehmender Akzeptanz der vorhandenen Qualitäten bis hin zur Identifikation mit dem eingetragenen Baudenkmal und der Erkenntnis, ein außergewöhnliches Gebäude zu besitzen“. Dieser Sinneswandel wird noch stärker bei der Bewertung der Innenausstattung deutlich, von der auch vermerkt wird, daß es zu gravierenden Verlusten durch die Tätigkeit der Treuhand kam, die Mobiliar vernichten oder verkaufen ließ. Man glaubt seinen Augen nicht zu trauen, wie hier ein DDR-Bauwerk geradezu enthusiastisch gefeiert wird: Die Fenster wurden „sorgfältigst entworfen und ausgeführt“, Einrichtungen wurden mit „höchster handwerklicher Präzision“ oder „technisch perfekt bearbeitet“, es herrschte ein „geradezu verschwenderischer Umgang mit Edelhölzern und Natursteinen“, man fand eine „in dieser Form und Qualität bemerkenswerte Folge von Fußböden“, eine spektakuläre Beleuchtung, eine „besonders elegant furnierte Doppeltür“, dann wieder eine „gleichfalls ausgezeichnete Arbeit“ und die Cafeteria „führt mit ihrem Interieur die beschwingte, heitere Seite der frühen DDR-Architektur ins Auge“.

Wer sich das Buch oder auch den nun fertig übergebenen Sitz des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks anschaut, weiß natürlich, daß dieses Beispiel für den Umgang mit DDR-Hinterlassenschaften überhaupt nicht typisch ist. Ermöglicht wurde die denkmalgerechte wie vorbildliche Sanierung durch einen seltenen Glücksumstand: das Zusammentreffen von engagierten Denkmalschützern und Architekten sowie einem Bauherren, der ohne ideologische Scheuklappen bereit war, die Qualität des Vorhandenen anzuerkennen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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