Eine Rezension von Erik Lehnert

Einblick in die Welt des Schönen und Wahren

Reinhard Brandt: Philosophie in Bildern
Von Giorgione bis Magritte.
DuMont Buchverlag, Köln 2000, 470 S.

Daß Philosophie und bildende Kunst etwas miteinander zu tun haben, ist eine alte Einsicht, der schon Platon mit seinen Überlegungen zum Schönen Ausdruck verlieh. Jacob Burckhardt stellte beide in bezug auf ihre objektive Aussagefähigkeit auf eine Stufe: „Aus Welt, Zeit und Natur sammeln Kunst und Poesie allgütige, allverständliche Bilder, die das einzig irdisch Bleibende sind, eine zweite ideale Schöpfung ... Sie sind damit ein größter Exponent der betreffenden Zeitalter, so gut wie die Philosophie.“ Reinhard Brandt geht es um etwas anderes. Er will zeigen, „daß bestimmte Bilder philosophische Themen darstellen und daß sie die Theorie im Medium der bildlichen Darstellung exponieren können ...“.

Das Buch bespricht im wesentlichen einzelne Bilder, v. a. Gemälde, u. a. von Raffael, Giorgione, Rembrandt, Poussin, Velázquez, David, Goya, Klinger, de Chirico und Magritte. Einige Abschnitte sind dem Problem der Melancholie gewidmet, unter Beachtung einiger Bilder zum lachenden Demokrit (Rubens, Rosa, de Ribera) und weinenden Heraklit (Rubens). Die Untersuchung der Abbildung eines „Philosophen“ geschieht anhand der entsprechenden Bilder von Koninck und Chardin. Und auch der legendäre Diogenes wird in unterschiedlichen Sichtweisen ausführlich untersucht. Einen nicht geringen Teil der Bilder machen Titelblätter philosophischer Bücher aus, darunter das berühmte zu Hobbes' Leviathan. Diese Titelabbildungen haben oft wenig künstlerisches Niveau, da sie v. a. den Inhalt des Buches auf den Punkt bringen sollen. Sie sind „Gebrauchsgrafik“. Besonders dem Titelemblem zu Nietzsches Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik (1872) sieht man die künstlerische Mangelhaftigkeit an, es „versagt als Kunstwerk“. Da Brandt das auch feststellt, ist nicht ganz klar, warum er es überhaupt in diesen Zusammenhang bringt. Sicher kann man hier viel über Nietzsches damalige Ansichten erfahren, aber der Abschnitt fällt dennoch völlig aus dem Rahmen und paßt eher ins Nietzsche-Jahrbuch, wo er 1991 bereits erschienen ist.

Dem Buch liegen einzelne Aufsätze, die zur Hälfte bereits in Zeitschriften oder Sammelbänden erschienen sind, zu Grunde. Daß es sich mehr um eine Sammlung von Essays als um eine geschlossene Darstellung handelt, ist der Tatsache geschuldet, daß es nach Brandts Meinung keine objektive Gemeinsamkeit zwischen den ausgewählten Werken gibt. Der Autor ist Professor für Philosophie in Marburg und trat insbesondere mit Beiträgen zur Philosophie der Aufklärung, aber auch zur Ästhetik und Kunstgeschichte hervor (zuletzt z. B.: Die Wirklichkeit des Bildes, München 1999). Brandt will „Reflexionen in den ausgewählten Bildern“ freilegen und nicht, wie beispielsweise Heidegger, das Rätsel der Kunst an einem Beispiel zeigen. Brandt will sich dennoch nicht der Beliebigkeit hingeben, die Kunst und Leben und diese wiederum mit Philosophie gleichsetzt: das künstlich inszenierte Leben als „metaphysisches Happening“, sondern sich auf Bilder beschränken, die dieses Problem der Verschränkung von Kunst und Philosophie reflektieren. Und auch dort beansprucht er nur, „Teilbereiche aus der Idee des jeweiligen Werks zu erklären“.

Brandt unterscheidet zwei Arten von Ideen-Malern. Die einen nehmen Gedankenmotive auf, die bereits in der Literatur formuliert und diskutiert wurden, so daß sich dem Betrachter bei Kenntnis der geschriebenen Vorlage ein Wiedererkennungseffekt einstellt bzw. einstellen soll. Die anderen versuchen, „dem reflektierenden Betrachter aus der Konfiguration des Bildes“ heraus bestimmte Ideen, die nicht auf einem philosophischen Werk direkt beruhen, zu veranschaulichen. Für das Buch hat Brandt Bilder ausgewählt, die in dem Zeitraum zwischen Renaissance und 20. Jahrhundert entstanden sind. Die Anordnung der Bilder ist ein Resultat der Verbindung von chronologischen und thematischen Gesichtspunkten. Der Schwerpunkt liegt auf der Malerei der frühen Neuzeit. Oft liegen den Werken antike Motive zu Grunde. Daß es im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Ende der „Kultur philosophischer Bilder“ kommt, liegt nach Meinung Brandts an der subjektivistischen Wende der Malerei, die, ausgelöst durch die Zentralperspektive, letztlich zu einem Gegenstandsverlust führt. Die Malerei wird sich selbst zum philosophischen Problem, als Problem der Wahrnehmung, und verliert so die Möglichkeit, philosophische Weltanschauungen darzustellen.

Zwei Wege der Interpretation stellt Brandt vor, um für sein Buch letztlich eine Verbindung aus beiden zu benutzen. Die „romantische Hermeneutik“ geht davon aus, daß jedes Werk in der Epoche seiner Entstehung von den Zeitgenossen unmittelbar verstanden worden ist. Spätere Betrachter haben einen anderen Horizont und begereifen demzufolge solch ein Werk nur, indem sie es in ihr System integrieren. Nach Brandts Auffassung wird dadurch das Kunstwerk durch seine Interpretationsgeschichte ersetzt. So kommt es, daß es verschiedene überzeugende Interpretationen eines Bildes geben kann. Problematisch an dieser Betrachtungsweise ist, so Brandt, daß zwei verschiedene Denker aus zwei verschiedenen Epochen immer unterschieden bleiben zu allen nachfolgenden Zeiten. Die Frage, die die romantische Hermeneutik nicht beantworten kann, ist, wie dieser Unterschied zu erklären ist. Hier greift der zweite mögliche Weg, die „kritische Interpretation“: „Das Werk selbst erscheint uns dann als künstlerisch gelungen, wenn die komplexen Kultur- und Erlebnisstränge zu einer bildlichen Einheit geführt werden.“ Die Frage, warum uns ein Werk heute ebenso gelungen erscheint wie dem Betrachter früherer Zeit, wird durch die „Evidenz“ desselben beantwortet. Wirklich schöne Bilder werden in jeder Epoche als schön angesehen. Die Erforschung der Bildwerke kann demzufolge wirklich neue Erkenntnisse, nicht nur die Rekonstruktion des Wissens der Zeitgenossen, bringen, wenn man die „philosophischen Überzeugungen der Maler“ freilegt.

Mit mehr als einem Bild sind wohl zu Recht nur Raffael, Rubens und Poussin vertreten. Die Abhandlungen zu Letzterem sind Brandt m. E. am besten gelungen, weil er zu überzeugenden Interpretationen gelangt. Von Nicolas Poussin (1594-1665) werden die Gemälde „Et in Arcadia ego“ (auch unter dem Titel „Les Bergers d' Arcadie II“ bekannt) und „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ (1651) behandelt. Insbesondere das erstgenannte hat eine komplizierte Interpretationsgeschichte, die Brandt zu entwickeln sucht. So ist bei diesem Bild nicht einmal das Entstehungsdatum bekannt, was der Tatsache geschuldet ist, daß man überhaupt nicht viel über Poussin weiß. Die Datierungen schwanken zwischen 1638 und 1655, immerhin ein Zeitraum von fast 20 Jahren. Die Interpretation dieser Bilder ist deshalb so anspruchsvoll, weil Poussin, der bedeutendste französische Maler des 17. Jahrhunderts, ein Meister der Ideen-Malerei war und auch bei der Bearbeitung antiker Motive eigene Ansichten in den Vordergrund stellte. Man kann bei der Deutung also nicht einfach einer literarischen Vorlage oder philosophischen Tradition folgen. Poussin erfüllt mit den genannten Gemälden den o. g. Anspruch des Buches am deutlichsten, wenn auch nicht am reinsten. Leider geht Brandt nicht auf die oft geäußerte Vermutung ein, daß Poussins Gemälde, insbesondere aber die zweite Fassung der „Hirten von Arkadien“, einen geheimen Code enthalten.

Der kunstgeschichtlich und philosophisch Interessierte, aber auch der Fachmann, wird dieses Buch mit viel Gewinn lesen. Es ist kein überragendes Buch, aber ein gutes, daß dem Leser Einblick in die Welt des Schönen und Wahren gewährt. Das kann man auch so sehen, selbst wenn man die Interpretationsweise Brandts nicht teilt, da die Deutungen in sich stimmen und Brandt dem Leser vorher seine Herangehensweise verdeutlicht, so daß dieser weiß, warum Brandt bestimmte Dinge herausstellt. Ein Mangel des Buches fällt jedoch noch vor dem Lesen auf: Die Abbildungen sind teilweise so schlecht, daß man die Einzelheiten nur erahnen kann. Das ist insbesondere bei den Reproduktionen der Gemälde Poussins sehr störend, da dieser, wie Brandt schreibt, an den „kaum sichtbaren Details interessiert“ ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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