Eine Rezension von Friedrich Schimmel

cover

Das Ich - seine Täuschungen und Erfindungen

Urs Bircher: Mit Ausnahme der Freundschaft
Max Frisch 1956-1991.
Limmat Verlag, Zürich 2000, 276 S.

„Mit Ausnahme der Freundschaft“ ist der zweite Band einer Max Frisch-Biographie, die Urs Bircher chronologisch erzählt. Handelte der erste Band,Vom langsamen Wachsen eines Zorn (1997 erschienen), von Frischs frühen Versuchen bis hin zum Welterfolg Stiller, so wird nun der Lebenslauf eines modernen Klassikers verfolgt. Urs Bircher bündelt Leben und Werk, Wirkung und Kritik zu einem Text, der das Verschlungensein von Lebens- und Zeitgeschichte zeigt. Max Frisch als der große Zweifler, bisweilen auch als Selbstverzweifler. In seiner Rede „Der Autor und das Theater“ (1964) vertrat Frisch die Auffassung, Brecht, den er distanziert sah, sei heute „das Genie, wir wissen es, und hat die durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers“. Ein Wort der Beunruhigung, selbst wenn der eigene Erfolg gerade auf einem Höhepunkt angelangt war. Viele Zwickmühlen, in denen sich das Leben Max Frischs vollzog. Er wurde, hört, hört, Spione anderer Länder, vierzig Jahre lang von der Schweizer Geheimpolizei observiert und als „landesgefährliche“ Person eingestuft. Der Kalte Krieg wirkte sich auch im Innern der Schweiz aus. Große und kleinere Querelen, sie alle reiht Urs Bircher in seiner Biographie auf. Nach Brechts Tod 1956 war sozusagen eine Stelle im Olymp der europäischen Literatur frei. Frisch oder Dürrenmatt, das war damals die Frage. Bircher meint, „beide lieferten sich nach Brechts Tod einen fulminanten Wettlauf um die Position, ... begründeten in einem Kopf-an-Kopf-Rennen ihren Weltruhm als Dramatiker und sicherten sich - vermutlich - ihren Platz in der Klassikergalerie“, Max Frisch verarbeitete seine Biographie kontinuierlich zu Literatur. Darin unterschied er sich von Dürrenmatt, der sagte: „Ich bewundere in Frisch, daß er sich als Fall ansah. Frisch ist immer der Fall, sein Fall ist der Fall. Bei Frisch gibt es die absolute Dokumentation des Vorhandenen.“ Der Homo faber und auch der Roman Mein Name sei Gantenbein bestätigen das.

Urs Bircher hält sich mit eigenen Deutungen immer etwas zurück, er summiert die Stimmen der Zeit, der damaligen Kritik. Daß sich der nunmehr erfolgreiche Autor Frisch einen „komfortablen Lebensstil“ leistete, ist die eine Seite. Auf der anderen Seite, und das ist heute kaum bekannt und für gegenwärtige literarische Verhältnisse auch nahezu märchenhaft, unterstützte Max Frisch zahlreiche Kollegen mit „großzügigen Spenden“. Dem Dichter Günter Eich beispielsweise ließ er anonym 30 000 Mark zukommen.

Übers Schreiben äußerte sich Frisch ganz und gar anders als Brecht. Nicht Verantwortungsgefühl gegenüber der Wirklichkeit, vielmehr galten ihm Lust am Schreiben, aus „unbekümmertem Spieltrieb“, aus „natürlicher Machlust, naiv und rücksichtslos, verantwortungslos“. Sich selbst wollte er in der Welt ertragen, um seine „Dämonen zu bannen“. Ein ausführliches Kapitel nimmt sich der Beziehung Frischs zu Ingeborg Bachmann an. Wie gelebtes Leben Literatur wird, wie unterschwellig die poetischen Gegensätze wirken, wie es zu Streit und Zerwürfnissen kommt, alles ist, soweit die Quellen es bis dato verraten, hier ausgebreitet und kommentiert. Urs Bircher räumt ein, daß die Beziehung Frisch-Bachmann „vermutlich erst in den Jahren 2011 und 2025 genauer zu rekonstruieren sein“ wird, wenn die privaten Briefe der beiden entsiegelt werden. Dann, spätestens dann, wird es auch eine neue Frisch-Biographie geben. Noch muß sich der Leser mit dem gegenwärtigen neuesten Stand der Dinge begnügen. Und da ist Urs Bircher eine gute Quelle. Frisch hatte einst, wie eingangs bereits zitiert, Brecht die „durchschlagende Wirkungslosigkeit eines Klassikers“ attestiert. Mit dem Stück „Andorra“, lesen wir, „holte sein kluges Bonmot ihn selber ein.“

Das Ich und seine wandlungsreichen Erfindungen spielt für den „Gantenbein“ eine große Rolle. In Lila, der Ehefrau Gantenbeins, sah sich Ingeborg Bachmann „mißbraucht“. Doch Frisch kommentierte: „Lila ist überhaupt keine Figur. Und das ist ja der Jammer, der erzählt wird.“ Erlebnisse, Erfindungen und Täuschungen, der Autor Frisch hat regen Gebrauch von allem gemacht. Und nicht alles kann der Leser, auch nicht der Chronist und Historiker, aufklären. Wie gut auch, daß es so ist. Denn letztendlich steckt in jeder anspruchsvollen Literatur ein Körnchen Geheimnis, das nicht aufzuklären ist, nicht einmal der Aufklärung bedarf.

In einem Exkurs seines Buches versucht Bircher zu zeigen, daß der Intellektuelle als Kleinbürger des 20. Jahrhunderts schlechthin zu gelten habe. Und Max Frisch ist ihm dafür ein exemplarisches Beispiel. Vielleicht hat er recht, möglich aber auch, daß der Begriff des Kleinbürgers überzogen verwendet wird. Es kennzeichne, so der Autor, „die Existenzerfahrung des intellektuellen Kleinbürgers, daß er sich im sozialen Rahmen als Gesteuerter erfährt, der nicht weiß, was ihn steuert, dem seine Lebenswirklichkeit daher undurchschaubar ist“. Sind dann im modernen Leben alle Kleinbürger, oder durchschaut der Nicht-Kleinbürger, wer immer das auch sein mag, seine Lebenswirklichkeit besser? Es genügt sicher nicht, mehr den Kleinbürger als „sozio-ökonomische Kategorie“ zu sehen, denn das sind läppische, überholte Muster, ideologisch verschwiemelt und mithin unbrauchbar.

Alles in allem ist dies eine lebendige Darstellung der Werk-, Lebens- und Wirkungsgeschichte von Max Frisch. Ihn einmal gar als „Literaturstar“ zu bezeichnen ist der bisweilen saloppen Diktion von Urs Bircher geschuldet. Was bleibt von Max Frisch, wird der Leser der Zukunft beantworten. Frisch selbst war zuletzt skeptisch, wenn er schrieb: „Man endet notwendigerweise damit, seinen Garten zu bestellen; alles übrige, mit Ausnahme der Freundschaft, hat wenig Bedeutung.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite