Eine Rezension von Thomas Keiderling

„Das große Buch vom Buch“ für Österreich

Norbert Bachleitner/Franz M. Eybl/Ernst Fischer:
Geschichte des Buchhandels in Österreich.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2000, Bd. 6, 413 S.

Die Erfindung des gedruckten Buches im 15. Jahrhundert brachte der europäischen Gesellschaft einen tiefgreifenden Wandel. Entlang der Handelsrouten breitete sich die neue Drucktechnik und Buchware rasch aus und bot Handwerkern wie Händlern ein neues Erwerbs- und Betätigungsfeld. Heute verfügen wir nur begrenzt über Informationen, wie sich der Buchhandel in den einzelnen Regionen entwickelte, wie es zur Ausformung neuer Handelsgepflogenheiten kam, was gelesen und gekauft, welche Bücher zensiert wurden. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat der Wiesbadener Verlag Harrassowitz bereits in den siebziger Jahren die Schriftenreihe „Geschichte des Buchhandels“ begründet, in der die länderspezifischen Entwicklungen von Medium und Branche vergleichend untersucht werden. Bislang erschienen Monographien zu Deutschland (Bd. 1, 1975), zu den Niederlanden (Bd. 2, 1985), zu Ungarn (Bd. 3, 1990), zu Rußland und zur Sowjetunion (Bd. 4, 1991) sowie zu Norwegen (Bd. 5, 1992). Der sechste Band untersucht nun mit Österreich ein Territorium, das in etwa dem des heutigen Nationalstaats entspricht. Auf eine Einbeziehung weiterer ehemaliger habsburgischer Gebiete wurde verzichtet, da der Band zu Ungarn bereits erschienen und zu Tschechien in Planung ist.

Die Monographie gliedert sich in neun chronologisch geordnete Kapitel und behandelt, angefangen vom späten Mittelalter bis hin zur Gegenwart, mehr als 600 Jahre Buchgeschichte. Eine Bibliographie sowie ein Namens- und Firmenregister komplettieren die Gesamtschau.

Die buchwissenschaftlich ausgewiesenen Autoren Norbert Bachleitner, Franz Eybl und Ernst Fischer verfolgen keine thematisch eingeengten Thesen zum Buchhandel. Vielmehr ist es ihr Anliegen, durch eine umfangreiche Quellen- und Faktenpräsentation ein möglichst umfassendes Bild der österreichischen Buchhandelsgeschichte zu vermitteln. Freilich, so formulieren sie eingangs, konnte der Ehrgeiz unmöglich darauf gerichtet sein, „sämtliche Forschungslücken durch selbständige Auswertung der überlieferten Materialen zu erfüllen - die Arbeit an dem Band hätte, wenn überhaupt, erst Jahrzehnte später abgeschlossen werden können“.

Die Periodisierung der österreichischen Buchhandelsgeschichte wurde folgerichtig an die Gesamtentwicklung der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen sowie kulturellen Faktoren angebunden, so daß jedes Kapitel in etwa die gleiche Strukturierung aufweist. Zunächst wurden unter besonderer Akzentuierung von Gewerberecht und Zensur die Rahmenbedingungen des Buchhandels in den einzelnen Zeitabschnitten dargelegt. Es erfolgte eine nähere Betrachtung von herstellendem Buchhandel (Verlag nebst Druckereien) und verbreitendem Buchhandel (Zwischenbuchhandel, Sortimentsbuchhandel, Kolportagebuchhandel, Antiquariatsbuchhandel). Ein weiteres Augenmerk galt der Buchvermittlung, insbesondere der Autorenschaft sowie dem lesenden und bücherkaufenden Publikum.

Die Entwicklung des österreichischen Buchhandels war seit der Zeit Gutenbergs sehr eng mit dem deutschen, respektive süddeutschen Buchhandel verbunden. Hier wie dort finden wir im ausgehenden 15. Jahrhundert erste Formen des sogenannten Wander- und Markthandels, die im ersten Kapitel vorgestellt werden. Mit der Herausbildung des stationären Buchhandels an den größeren Marktplätzen, später auch Universitätsstandorten, wurde die Branche dauerhaft im österreichischen Kernland etabliert. Natürlich war das potentielle Lesepublikum in dieser Zeit zahlenmäßig noch sehr klein, so daß die Unternehmer ständig Absatzsorgen plagten. Schon bald wurden die neu entstandenen Branchen Buchdruck und Buchhandel zensiert, wobei anfänglich die religiöse Literatur im Mittelpunkt der Medienkontrolle stand. Bereits die Beschlagnahmung einer Buchauflage konnte den Drucker sowie Händler samt deren Familien in den wirtschaftlichen Ruin treiben.

Neben der Zensur wirkten auch zahlreiche Kriege und Unruhen negativ auf die Branche ein. Türkenkriege, Bauernkriege und Glaubenskriege erschwerten den Handel oder brachten ihn zeitweilig zum Erliegen. Nach einer Blütephase des Buchhandels im 16. Jahrhundert warf der Dreißigjährige Krieg die Entwicklung wieder um vieles zurück. Aufgrund allgemeiner Geldknappheit und unsicherer Straßenverhältnisse bürgerte sich in der Branche wieder das Tauschgeschäft ein. Die Druckerverleger bereisten die großen Messen in Frankfurt und Leipzig, um ihre Ware untereinander Bogen gegen Bogen zu tauschen (zu „verstechen“). Dabei wurden die Bücher - etwa ein Kochbuch und ein Geschichtsbuch - zumeist im Verhältnis 1 : 1 getauscht. Wenn die Attraktivität eines bestimmten Titels überwog oder das Papier und der Druck höhere Qualität aufwiesen, konnte die Tauschrate zugunsten des besseren Buches modifiziert werden. Als im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts das lateinische Buch vom (vorrangig in Norddeutschland gedruckten) deutschen Buch verdrängt wurde, verlangten die norddeutschen Buchhändler erstmals wieder Geld für ihre Ware, und der Tauschhandel machte moderneren Formen des Handels Platz. Über diese Entwicklungen berichtet das Buch ebenso wie über die österreichische Verlagsproduktion, über Haustürverkäufer und Kolporteure, über Lesegesellschaften, über Hof und Adel als Mäzene und eifrige Rezipienten von Büchern. Der österreichische Zwischenbuchhandel, eine wichtige Vermittlungseinrichtung zwischen den Verlagen und Buchhandlungen, wird mit drei Seiten für die Zeit vor 1800 nur sehr knapp behandelt.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert machte ein österreichischer Druckerverleger von sich reden. Während in Nord- und Mitteldeutschland, insbesondere in Sachsen, den Nachdruckern der Kampf angesagt wurde, erlebte derselbe in Wien - unter kaiserlicher Privilegierung - eine Hochkonjunktur. Der Wiener Nachdrucker Johann Thomas von Trattner ließ jedes erfolgversprechende Buch in seiner Großdruckerei vervielfältigen und zog nicht nur viel Gewinn aus dem Geschäft, sondern auch den Unmut der deutschen Verleger auf sich, welche die Verlagsrechte erworben hatten. Eine Nebenwirkung der unrechtmäßigen Vervielfältigung war freilich, daß das lesende Publikum nun preiswert in den Besitz neuer Titel kommen konnte.

Mit zunehmender Alphabetisierung in der österreichischen Gesellschaft stieg die Anzahl der Buchhandlungen an. Nach Perles Adreßbuch für den Österreichischen Buchhandel gab es um 1859 178 buchhändlerische Firmen, um 1900 bereits 589. Mit der 1860 in Kraft tretenden Gewerbeordnung wurden althergebrachte zünftige und staatliche Beschränkungen aufgehoben. Der Buchhandel blieb zwar weiterhin konzessionspflichtig, konnte sich nun aber eigenständig organisieren. In diesem Jahr wurde der „Verein der österreichischen Buchhändler“ gegründet, der die besonderen Interessen der dortigen Buchhändler nach innen und außen vertrat. (Vergleich: Die Gründung des deutschen Börsenvereins erfolgte bereits 1825.) Mit der Modernisierung des österreichischen Buchhandels fand nach 1860 auch ein gewisser Trennungsprozeß der Branche vom tschechischen und ungarischen sowie vom deutschen Buchhandel statt, wobei sich die Händler weiterhin als Teilhaber eines deutschsprachigen Buchmarktes verstanden.

Die Abschnitte zur „Ersten Republik“ (1918-1933), zum Ständestaat und Dritten Reich sowie zum österreichischen Buchhandel nach 1945 bieten bei vergleichsweise günstiger Quellenlage tiefe Einblicke in die landesspezifischen Entwicklungen. Die Zensur, die im 19. Jahrhundert so schwer in Wien wütete, wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg vollständig abgeschafft und somit eine weitgehende Liberalisierung der Gewerbeordnung erzielt. Die Ausführungen zum Zeitraum 1934 bis 1945 widmen sich den deutsch-österreichischen Beziehungen in besonderem Maße. Deutsche Verlage konnten nach 1933 ihre Bücher, Zeitschriften und Musikalien in Österreich 25 Prozent unter dem Ladenpreis anbieten, da der Buchexport staatlich subventioniert wurde. Dieser Eingriff in den beiderseitigen Handel wirkte sich sehr nachteilig auf den österreichischen Verlag aus, der seinerseits staatliche Förderung erhalten mußte, um sich wirtschaftlich über Wasser halten zu können. Der 1938 erfolgte „Anschluß“ des österreichischen Buchhandels an das nationalsozialistische Deutschland stellte indes „kein Ruhmesblatt seiner Geschichte dar; moralisch zweifelhaftes Verhalten, Opportunismus, Illoyalität gegenüber dem Vaterland kennzeichnete das Verhalten vieler seiner Vertreter in den Jahren vor und nach der Annexion“. Mit vorauseilendem Gehorsam boten zahlreiche Unternehmer den neuen Machthabern ihre Dienste an. Die Verfolgung und Vertreibung jüdischer Verleger und Buchhändler wurde nach Meinung der Autoren sogar weitaus radikaler als in Deutschland durchgeführt, wo es 1937/38 noch zur Herausbildung eines vom Regime geduldeten „jüdischen Ghettobuchhandels“ kam. Ebenso wurde die Zensur wieder eingeführt und mit unnachgiebiger Härte vor Ort umgesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität erfuhr der Buchhandel einen langfristigen Wiederaufbau. Nach einer „zunächst energisch in Angriff genommenen“, im Endeffekt aber nur wenig wirksamen Entnazifizierungskampagne wurde der Buchhandel neu geordnet und in seinen Hauptbereichen - dem Verlag, Zwischenbuchhandel und Sortiment - grundlegend modernisiert. Der Band endet mit einem Ausblick auf den österreichischen Buchhandel in der Europäischen Union sowie auf die Zukunft der Buchpreisbindung.

Das Buch von Bachleitner, Eybl und Fischer erweist sich als eine methodisch und empirisch fundierte Arbeit zum österreichischen Buchhandel. Es besitzt einen hohen Informationswert und wird - vermutlich auf Jahrzehnte hinaus - das Grundlagenwerk zur Thematik sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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