Eine Rezension von Irene Knoll

Aufforderung zum Umdenken

Michael Wallner: Manhattan fliegt
Roman.
Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 2000, 320 S.

Der Autor, zweiundvierzig Jahre alt, ist schon ein bißchen herumgekommen in den Künsten, er hat Regie und Schauspiel in Wien studiert und als Opern- und Theaterregisseur in mehreren deutschen Städten gearbeitet. So steht es in einem Informationsblatt des Verlags, das mit dem literarischen Debütanten ein wenig bekannt machen soll. Er selbst meint, die Bretter, die die Welt bedeuten, seien zu eng für seinen schöpferischen Drang. „Ich muß in Welten gehen, von denen manche sagen, daß es sie nicht gibt.“ Das ist natürlich ein in sich völlig unlogischer Satz, aber wer sein Buch gelesen hat, wird wissen, was er meint. Wer würde behaupten, daß es das Reich der Schneekönigin nicht gibt oder das Reich, aus dem die kleine Seejungfrau kam, die sich in den traurigen Prinzen so sterblich verliebte, daß sie ihre eigene Natur aufgab? Naturgesetze und Logik sind für Hans Christian Andersens Phantasie keine Hürde, und auch Wallner setzt sich über diesen einengenden irdischen Schnickschnack hinweg und schafft sich seine eigene Welt, von der wir Logiker, und zwar alle, sagen würden, es gibt sie nicht. Aber wir Leser belehren uns da eines Besseren. Voilà!

Glücklicherweise bedient sich Wallner einer Sprache, die es wirklich gibt, und benutzt sie in der herkömmlichen Weise. Wenn wir nun auch noch sprachlicher Experimentierlust ausgesetzt wären, würden wir möglicherweise doch die Konzentration auf Wallners wundersamen Roman scheuen. Als geübter Leser habe ich rechtzeitig geahnt, daß sich des Autors Schaffensdrang vermutlich in labyrinthischen Wegen Bahn brechen würde und sorglich-einfältig notiert, wann und wo gerade wer agiert. Und ich kann fast alle Fragen nach den Personen und ihrer Rolle in der Geschichte, die sich dann am Schluß stellen, beantworten.

Wallner erzählt die Handlung auf drei Zeitebenen. Drei mal New York. 1991, 1952/53, 1921. Und natürlich geht es um Film, ein Filmprojekt bildet die Kulisse für die Handlung. Der Ich-Erzähler, zu einem Studienaufenthalt in New York, kommt durch einen Unfall in Kontakt mit dem kauzigen Regisseur Gryshl und mit Sabina, einer jungen Frau, die mit ihm ihr Drehbuch „Das Zeitalter des Delphins“ realisieren will. Ihm wird deutlich gemacht, daß die beiden auf ihn als den Auserwählten, der ihnen dabei helfen würde, gewartet haben. Wie auch immer, die Handlung bekommt Tritt, als das Phänomen Undine Niesson auf der Szene erscheint. Sie war die Hauptdarstellerin eines Films aus dem Jahre 1921, und es gibt sie, unverändert jung und reizvoll, aber mit merkwürdig abgehobenem Betragen, und Sabina will ihren Film nur mit ihr machen. Wir sind im Jahre 1991, und nachdem man Undine dem Ich-Erzähler und uns leibhaftig vorgeführt hat, wollen wir doch wissen, was da Sache ist. An unserer Neugier darauf führt uns Wallner weiter durch seine drei einander abwechselnden Handlungsebenen mit jeweils verschiedenen Personen. Aber als erfahrener Regisseur hinterläßt er hier und da ein paar Requisiten, die uns Zusammenhänge vermuten lassen. Das ist wie im Krimi, und genau so geht Wallner ja auch vor. Es gibt auch einen Täter mit krimineller Energie, den Magier Pius Yurgrave, und das Motiv für seine Zaubereien ist die Liebe.

Aber Zauberei hilft Wallner nicht, dramaturgische Schwächen der Handlung zu verdecken. Sie wirkt gelegentlich sogar ins Gegenteil. Was bei dem angestrengten Verwandlungs-, Maskier- und Demaskierungsgeschehen auch nicht verwunderlich ist.

Einer kann Hundert-Dollar-Scheine vervielfachen und hätte damit eine Souveränität, die der Autor nicht nutzt, Regisseur Gryshl hat die Fertigkeit, aus sich heraus Starkstrom zu erzeugen, womit er aber lediglich Rivalen bei Sabina Schläge erteilt. Das wären eigentlich verzichtbare Zutaten, denn die Handlung bringen sie nicht voran. Da ist vergleichsweise die Fähigkeit von Obelix, Unmengen essen zu können, von größerer dramaturgischer Bedeutung. Und weshalb erzählt Wallner seine Geschichte überhaupt? Ich kann es nicht recht ausmachen. Immerhin liebt er seine Figuren und führt sie sympathisch vor. Auf der Gegenwartsebene sind es Leute, die eher im gesellschaftlichen Abseits leben und doch so etwas wie eine Aufgabe für sich ausgemacht haben. Relativ weit vorn gibt es den Satz: „Die Botschaft, die ,Das Zeitalter des Delphins‘ Menschen bringt, ist Aufforderung zum Umdenken.“ Das ist vielleicht ein bißchen schwach, aber was können Leute, die nicht mächtig sind, sonst tun? Wallner hat ein Märchen erzählt, eine böse Liebesgeschichte mit Wiedergutmachung, und ganz zum Schluß wird dann auch noch eine Familiengeschichte draus. Und spannend ist sie schon. Was mehr wäre von einer Geschichte zu verlangen, die eigentlich keinen Inhalt hat?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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