Rezension von Hans-Rainer John

Flucht aus der Inselwelt

Antonio Skármeta: Die Hochzeit des Dichters
Roman.
Aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen.
Piper Verlag, München 2000, 320 S.

Mancher Journalist hat schon Mühe beim Aufstieg zur Liga der Romanciers, denn die Großform der Literatur bedarf eines anderen Atems als Reportagen, Artikel und Essays, der Chilene Skármeta (60) aber - bekannt vor allem durch seinen mehrfach verfilmten Neruda-Roman Mit brennender Geduld (auch: Aus der Ferne sehe ich dieses Land, Der Radfahrer von San Cristobal und Sophies Matchball) ist unbestritten Oberliga. Er ist ein Dichter. Sein neues Buch erinnert in seiner lakonischen Poesie an Gorkis Märchen der Wirklichkeit. Auch hier waltet Klarheit, Schönheit, Menschlichkeit und ein freundlicher Humor, durchsetzt mit einem Schuß Sarkasmus, was die bitteren Seiten des Lebens anbetrifft. Das Buch ist rundum gelungen, überlegen konzipiert und doch bescheiden. Kein Wort zuviel und keines zuwenig, alles an dem Platz, an den es gehört. So vertraut man sich gern den Lebensbeobachtungen des Autors an, der seine Geschichte durchaus mit ungewöhnlichen Charakteren bevölkert, die zu ungewöhnlichen Entschlüssen gelangen, aber alles ist glaubhaft und real. So herzlich Skármeta den Menschen auch zugetan ist, der Sentimentalität erliegt er nie, und den Schmerz, von dem er selbst viel erfahren hat, hebt er durch historische Distanz auf und indem er darauf verweist, wie das Leben weiterschreitet.

Der Buchtitel ist ironisch gemeint, denn der 50jährige Hieronymus Franck ist kein Dichter, sondern der verträumte Sprößling eines Salzburger Bankdirektors, der den für Geldgeschäfte untüchtigen Jungen abwertend als Dichter apostrophierte und sein Institut lieber der hartherzigen, berechnenden Tochter hinterließ. Vom Gelderbe allerdings hat Hieronymus ein Kaufhaus auf Gema erworben, einer kleinen Insel im adriatischen Meer, die zu Österreich-Ungarn gehört (wir befinden uns kurz vor dem Ersten Weltkrieg). Sein Besitz und seine herausragende Position auf dem entsetzlich verarmten Eiland haben es ihm ermöglicht, das schönste Mädchen zur Frau zu küren, die 17jährige, von allen Männern der Insel heiß umschwärmte Alia Emar. Er richtet dem Inselvolk großzügig ein nahezu apokalyptisches Fest aus, dem alles erliegt, aber die Hochzeitsnacht selbst vergeht unter Tränen, Wortlosigkeit und bitteren Beschimpfungen. Denn zwischen Alia und dem sanftmütigen, poetischen Stefan Coppeta haben sich zarte Bande entwickelt. Die Vernunft läßt Alia zwar zu ihrem Eheversprechen stehen, aber das Gefühl weilt bei dem Zwanzigjährigen.

Inzwischen greift das Vaterland nach der Inseljugend. Sie soll für die Armee rekrutiert werden. Die Jugendlichen aber haben in ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit den nach ihnen entsandten Soldatentrupp nach der heimlichen Landung einfach niedergemacht. Das kann sich der Staat natürlich nicht bieten lassen. Er schickt eine Strafexpedition, um ein Exempel zu statuieren. Als die am Morgen nach der Hochzeit eintrifft, ist die Inseljugend mit der Jacht, auf der Hieronymus seine Hochzeitsreise nach Amerika antreten wollte, auf und davon. Der von der Nacht noch gezeichnete Hieronymus wird, der Beihilfe bezichtigt, exekutiert, und Alia wird von der Soldateska vergewaltigt. Die Inseljugend, darunter Stefano, macht sich indes auf die Suche nach einer besseren Welt auf der anderen Seite des Atlantiks. Sie erreicht Antofagasta, die Geburtsstadt Skármetas in Chile, findet aber enttäuscht nur ödes, kahles Land und Salzwasser vor, keinen Baum, keinen Strauch, kein Fleckchen Grün weit und breit. Wird sie ihr Glück in der Fremde finden?

Die Skizzierung der Fabel ist auch nicht andeutungsweise imstande, einen Eindruck vom Reichtum des Buches zu vermitteln. Da liegen über der Hochzeit von Anfang an düstere Vorzeichen. Der Vater von Stefano Coppeta war einst Haupt der Unabhängigkeitsbewegung Gemas und wurde als solcher bei der Zentralregierung vorstellig. Die Autonomie wurde gnädig gewährt und Josef Coppeta zum Inselpräsidenten ernannt, auf der Rückreise aber heimlich enthauptet ... Und es gibt da die Legende vom vorigen Kaufhausbesitzer Stamos Marinakis, der vor zwanzig Jahren eine unselige Hochzeitsnacht mit Marta Matarasso im selben Zimmer wie Hieronymus verbrachte: „Stamos fühlte sich berufen, das wilde Tier aus sich herauszulassen. Er stieß den Schrei aus, der in seinem Körper eingeschlossen war, und seine ihm frisch angetraute Frau bezahlte ihre Lust mit dem Tod.“ Der Nachhall dieses Unglücks macht auch Hieronymus Franck vorsichtig, fast feige.

Und liebevoll ist das ahnungslose Inselvolk porträtiert, das ein armes und karges Leben führt, in dem aber Raum ist für vitale Sinnlichkeit, wie sie in der Turumba, einem enthemmten Tanz, ihren Ausdruck findet. Da ist zum Beispiel Reino, der aufbrausende und tatbereite Bruder Stefanos, da sind die Eltern Alias, der Pfarrer Pregel, der Notar Gesner, und wunderschön geschildert ist, wie Stefano gehemmt, zurückhaltend und im Grunde hoffnungslos mit unbeholfenen Liebesgedichten um Alia wirbt. Auf der anderen Seite stehen die brutal in die Inselwelt einbrechenden Figuren wie Paula Baronin von Auertal, die Schwester von Hieronymus, die die Hochzeit mittels Scheckdiplomatie verhindern will, oder Admiral Mollenhauer, der angehalten ist, ein abschreckendes Beispiel zu inszenieren, das allen umliegenden Inseln zur Warnung dient. Zwischen den Fronten agieren der Journalist Pavlovic und der Korrespondent Stalker, die vom „Kriegsschauplatz“ berichten und wie die alte Welt im Umbruch ist.

Skármeta hat den Fluchtweg Stefanos in entgegengesetzter Richtung beschritten. Die Pinochet-Diktatur zwang ihn ins Exil, 16 Jahre mußte er in Deutschland leben, ehe an Rückkehr zu denken war. Kroatien, wo sein Roman in der dalmatinischen Inselwelt angesiedelt ist, lernte er erst im Alter kennen und schätzen, kurz bevor auch dieses Land in einen unmenschlichen Krieg stürzte, „der bis jetzt, da ich diese Zeilen niederschreibe, andauert“. Insofern ist auch manches von der Biographie des Dichters in das Werk eingeflossen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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