Eine Rezension von Daniela Ziegler

Wie eine Kerze, die an beiden Seiten brennt

Ursula Sigismund: Suzanne Valadon
Modell und Malerin.
Kranichsteiner Literaturverlag, Darmstadt 1997, 264 S.

In den Frauengestalten von Degas, Puvis de Chavannes, Renoir etc. ist sie nicht zu identifizieren: die Malerin Suzanne Valadon (geb. 1865 in Bessines bei Limoges, gest. 1938 in Paris).

Mittlerweile kennt man ihr Werk, das sich durch „eine harte, fast maskuline Pinselführung und eine kompakte Farb- und Formgebung auszeichnet“, wie im Künstlerinnen-Lexikon (Krichbaum/Zondergeld, Künstlerinnen. Von der Antike bis zur Gegenwart, 1979) nachzulesen ist. „Sie liebte es, ihre Figuren und Gegenstände mit dunklen Umrißlinien voneinander abzusetzen und die Plastizität der Körper mit starken Weißhöhungen herauszuarbeiten ... In erster Linie interessierte sie die Aktdarstellung, ... die Frauenfigur und das Stilleben ...“ Identifizierbar machte sie sich selbst durch unzählige Selbstporträts.

Wie so viele Frauen war sie Autodidaktin. Sie lernte durch Schauen. Unfreiwillige, jedoch wohlwollende Lehrmeister waren ihre Arbeitgeber, die Künstler vom Montmartre, für die sie posierte. Großzügig versorgten die Kollegen sie mit Zeichenmaterialien und ermutigten sie, ihren eigenen, epochalen Stil zu finden.

Ursula Sigismunds Roman ist keine Biographie im akademischen Sinne, sondern ein biographischer Roman, dessen rasanter Stil und flüssige, routinierte Sprache den Leser mitreißt. Die sprachliche Leidenschaft scheint durchaus Leben und Charakter der großen Malerin zu entsprechen: die sprichwörtliche Kerze, die an beiden Enden brennt. Der Roman erschien erstmals im Jahre 1981 unter dem Titel Montmartre. Das Leben der Mutter Maurice Utrillos im Wiener Paul Zsolnay Verlag. Wenn auch die Erstauflage den Sohn im Titel führt, spürt man, daß die Liebe der Autorin eindeutig Suzanne gilt und sie zu dem schwierigen Maurice ein distanziertes Verhältnis hat.

„Valadon wurde in Presse und Fachliteratur oft herabgesetzt und verkannt. Ihr Lebensstil als Bohemienne und ihr unehelicher Sohn ... fanden mehr Beachtung als ihre künstlerische Arbeit“, schreibt die Malerin Beate Koslowski im Vorwort. Das ist ungerecht, doch leider ist auch die Autorin nicht frei davon. Allzuoft läßt sie Suzanne Valadon von sich selbst sagen, sie könne nicht treu sein. Und zu Beginn erfährt der Leser sogleich:

„Marie-Clémentine (später Suzanne, d. R.) Valadon ... brachte mit achtzehn Jahren im Pariser Stadtteil Montmartre einen unehelichen Sohn zur Welt. Zu Weihnachten. Sie hatte ihn nicht haben wollen. Er war zart und schwierig, später kräftig und eigensinnig und wurde unter dem Namen Maurice Utrillo berühmt. Marie-Clémentine hatte einen Beruf, den ihre Mutter nicht anständig fand: Sie war Malermodell. Aber sie brachte mehr Geld nach Hause, als wenn sie Gemüseverkäuferin, Wäscherin oder Medinette geworden wäre ...“ Öffentliche und berufliche Leistungen stehen bei Frauen eben immer noch hinter dem Persönlichen zurück. Fast zwangsläufig.

Ein Mangel ist, daß dem Buch Hinweise auf Quellen und auf Museumsstandorte sowie eine chronologische Übersicht fehlen. Wohin mit dem Augenhunger, der sich angesichts der exzellenten Bildbeschreibungen der Autorin wie von selbst einstellt? Der kleine, aber feine Kranichsteiner Literaturverlag macht es sich zur Aufgabe, zu Unrecht vergessene Bücher aufzuspüren. Dank gebührt ihm, daß er Ursula Sigismunds faszinierenden Roman in sein exquisites Programm aufgenommen hat.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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