Eine Rezension von Ursula Reinhold

Nur das, was zählt, zählt

Georg M. Oswald: Alles, was zählt
Roman.
Carl Hanser, München 2000, 199 S.

Georg M. Oswald, gelernter und praktizierender Jurist, hat in den letzten Jahren mit Das Loch. Neun Romane aus der Nachbarschaft (1995), Lichtenbergs Fall (1997) und Party Boy. Eine Karriere (1998) mehrere kleine Romane vorgelegt, die sich alle, wie auch der hier vorliegende, durch genaue Beobachtungsgabe und einen unmittelbaren Wirklichkeitszugriff auszeichnen. Das ist für einen Autor des Jahrgangs 1963, in München geboren, durchaus nicht das Übliche. Die Wirklichkeitserfahrung der seit den 80er Jahren herangewachsenen Generationen ist begreiflicherweise durch die mediale Welt geprägt. Die Allgegenwart der Bilder- und Zeichenwelt hat bei ihnen ein Bewußtsein der Simulation gebildet, das den Zugang zu Wirklichem erschwert bzw. verstellt. Dagegen enthält Alles, was zählt eine sehr direkte, zupackende Gesellschaftskritik. Der Autor richtet seinen schonungslosen Blick auf das, was innerhalb und außerhalb der Geschäftswelt zählt, auf die Macht des Geldes. Das geschieht in einem vom Umfang her kleinen Roman, der aus 40 knappen Erzählsequenzen besteht und sich durch sarkastisch-temporeiches Erzählen auszeichnet.

Erzählt wird die Geschichte von Thomas Schwarz, einem Bankangestellten, der erlebt, wie klein der Schritt von der Zugehörigkeit zur Geschäftswelt nach draußen ins soziale Abseits ist. In Kurzkapiteln verfolgt der Autor den Weg seiner Figur ins Abseits, wobei er die Modalitäten der Geschäftswelt offenlegt. Zwanzig Erzählabschnitte sind „drinnen“ angesiedelt, die restlichen zwanzig „draußen“. Der Leser begegnet dem Protagonisten in einem Moment, als dieser noch fest an seinen Aufstieg vom stellvertretenden Leiter der Abteilung Abwicklung und Verwertung zum Leiter dieser Abteilung glaubt. Er schwelgt in den materiellen Aussichten solchen Aufstiegs. „Das würde bedeuten, hundertzwanzigtausend Fixgehalt plus Tantieme plus Dienstwagen (BMW der 3er Klasse). Und das wäre gut.“ Aus seiner bisherigen Tätigkeit, in der er mit den Opfern der Kreditpolitik der Bank konfrontiert war, deren Niedergang er in ihrem Sinne möglichst lukrativ verwerten mußte, weiß er, wie schnell jemand von der einen Seite auf die andere geraten kann. Aus dieser Kenntnis heraus ist die Gewißheit des eigenen Aufstiegs nicht ungebrochen, aber noch trägt sie ihn. „Ich sehe nur die einen, die drin sind, und die anderen, die hineinwollen. Und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn die, die drin sind, das nicht zu verhindern wüßten.“

Schnell tritt Irritation ein, als ihm eine andere Kollegin in der angestrebten Funktion vorgesetzt wird. Er kämpft um seinen Platz in der sozialen Stufenleiter, aber er sieht sich bereits auf verlorenem Posten. „Leute wie wir werden eine Zeitlang für die Erledigung bestimmter Aufgaben sehr gut bezahlt. Dann, rechtzeitig, bevor sie sich etablieren, werden sie durch andere, neue ersetzt, die ein bißchen hungriger sind. Ein bißchen billiger, ein bißchen weiter weg von der Idee, groß zu werden.“ Unversehens sieht er sich im Abseits. Zugleich gerät er persönlich in die Krise, seine Frau, ebenfalls arbeitslos geworden, trennt sich von ihm. Er existiert wie in einem Hohlraum, behält den äußeren Schein seines sozialen Status in Kleidung und Konsumverhalten bei, gerät zunehmend ins Schleudern. Er findet Kontakt zu Kriminellen, Nachfolger einer bei der Bank verschuldeten Firma, die im Fitneßstudio Schwarzgeld waschen, das sie mit Anabolika verdient haben, und findet den Unterschied zwischen den Machenschaften der Banken und den kriminellen Geldwäschern nicht so erheblich, wie es gemeinhin angenommen wird. Zunehmend läßt er sich in deren Dinge ein, entwickelt eigene kriminelle Energien, indem er die Gangster verpfeift und dabei seinen eigenen Schnitt macht. Am Ende finden wir ihn auf dem Weg nach Monte Carlo. Er will die enorme Geldsumme, die er erschachert hat und im Geldkoffer mit sich führt, im Glücksspiel einsetzen. Der Autor zeichnet seine Figur als einen identitätslosen Niemand. Sie bewegt sich zwischen Erfolgsgier, Irritation und Angst. Solches Rollenverhalten ist das getreue Spiegelbild eines gesellschaftlichen Zustands, der nur funktioniert, wenn sich die Menschen voll auf deren Modalitäten einlassen, sich dem gesellschaftlichen Erfolgsmythos unterordnen, Geld und Macht als Leitsterne akzeptieren und als Konsumenten den Mechanismus bedienen, der ihn in Gang hält. Die Identitätslosigkeit der Figur spiegelt diesen Zustand auf sarkastisch- ironische Weise.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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