Eine Rezension von Christel Berger

„Ich meine fast jede Pointe ernst.“

Peter Ensikat: Was ich noch vergessen wollte
Karl Blessing Verlag, München 2000, 285 S.

Zur Berufs- bzw. Beschäftigungsbezeichnung Peter Ensikats kann mehr und mehr dem Kabarettisten das weniger schöne Wort „Buchautor“ hinzugefügt werden. Nach dem Erfolg der autobiographischen Rückschau Ab jetzt gebe ich nichts mehr zu (1995) nun: Was ich noch vergessen wollte. Natürlich wieder satirische Betrachtungen und wieder Auseinandersetzungen mit erfahrener Wirklichkeit. Diesmal - auch wenn die einzelnen Texte unterschiedlich akzentuiert sind - wird sein Nachdenken vor allem ausgelöst durch die neuen Erfahrungen der großdeutschen Wirklichkeit, die Ensikat ebenso kritisch sieht wie das Leben in der DDR. Und da ergeben sich dann Erinnerungen, die er eigentlich vergessen glaubte, und Vergleiche, bei denen Altes und Neues gehörig abgebürstet wird. Denn: „Es war nicht alles anders in der DDR“. Ensikat bleibt der genaue Beobachter, der ewige und kompromißlose Moralist und der Texter herrlicher Sentenzen, bei Tucholsky & Co geschult und ebenso streng und verantwortungsbewußt in der Ausübung seiner Profession: „Ich meine fast jede Pointe ernst.“

Es geht um ganz Großes und winzige Alltagsdetails - Deutsche im Krieg und Fernseh- talks, Ost-West-Prägungen und Streitereien (u. a. im Kabarett), Stasi und einen sehr ernst geratenen und damit aus dem Rahmen fallenden Versuch, das Verhältnis zur ehemaligen Freundin und Kollegin Gisela Oechelhaeuser zu erklären. Reformen, Politiker, Events, Steuererklärungen und Frauen in der Bundeswehr, die Macht der Medien und der Mißbrauch dieser Macht. Würde ich alle Themen aufzählen, wäre dieser Abschnitt zwar sehr lang, aber das Eigentliche dieses geistreichen Spötters und intelligenten Querdenkers nicht getroffen. Deshalb entscheide ich mich hier gegen alle Gebote anständiger Rezensionen für „Ensikat pur“ und gebe einige der Kostbarkeiten zum besten, die im Buch stehen und an denen ich meinen Spaß hatte (wirklich „Spaaß“ und nicht den „Spass“ der Event-Jünger! Oder sollte ich nicht lieber „Vergnügen“ schreiben? Im Sinne Brechts, der das mit dem menschlichen Vermögen zum Denken verbindet).

Und nun Ensikat pur und leider nur Herausgepicktes:

Von Zeitgeist spricht man übrigens vorwiegend in Zeiten der Abwesenheit von Geist. In solchen Zeiten leben wir also.

Viele Häppchen sind keine Mahlzeit, auch wenn sie einen satt machen. Und Information ist keine Bildung.

Überschätzen kann man sich in vielen Berufen. Und kaum jemand wurde in der DDR so überschätzt wie wir vom Kabarett, ohne daß wir damals mehr ausgerichtet hätten als heute.

Der Kapitalismus könnte daran scheitern, daß er wirklich einer ist.

Ich bestehe - auch in der Kunst - auf gewissen Tabus. Dafür brauche ich keine Zensur, wohl aber eine zivilisierte Gesellschaft, die ohne ziviles Verantwortungsgefühl nicht bestehen kann.

Erst ihre Grenzen unterscheiden die ganze schöne Freiheit von der weniger schönen Beliebigkeit ... Kunst kann machen, was sie will, wenn sie keinen mehr was angeht.

Heute wird noch schneller vergessen, als geschrieben und gedruckt werden kann.

Aber Argumente sind im Wahlkampf nun mal grundsätzlich fehl am Platz. Da geht es den Parteien wie den Waschmitteln - je ähnlicher sie einander sind, desto mehr kommt es auf Marketing und Verpackung an.

Viel reisen macht noch keinen Kosmopoliten, und ein Zuhause muß überhaupt nicht schön sein, um sich dort zu Hause zu fühlen.

Optimismus ist die Hoffnung, daß das Bewußtsein endlich mal das Sein bestimmen könnte... DDR-Bürger sind optimismusgeschädigt.

Denn was der Deutsche nicht kennt, kann er am besten beurteilen.

Marktwert und Kunstwert aber geht es wie den Parallelen - sie treffen sich da, wo man es nicht mehr kontrollieren kann, in der Unendlichkeit.

Auch linke Intellektuelle werfen linken Intellektuellen vor, linke Intellektuelle zu sein. Dabei hat es in Deutschland doch schon immer ausgereicht, intellektuell genannt zu werden, um diffamiert zu sein.

Ein Affe am Laptop bleibt ein Affe ... Keine Internetverbindung kann soziale Bindung er-setzen.

DDR-Ökonomie war eine einzige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

Freiheit ist nämlich im Gegensatz zu einer Gefängniszelle unübersichtlich.

Ist Freiheit Gefühlssache? Kann es Freiheit und Gleichheit überhaupt geben?

Die Verblödung des Menschen durch den Menschen ist längst nicht abgeschlossen.

Ist Telefonsex wirklich unmoralischer als Börsenberichte?

Stillstand ist in Deutschland noch immer die schnellste Art der Fortbewegung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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