Ein Rezension von Waldtraut Lewin
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Der Killer von Dublin

Roddy Doyle: Henry der Held
Roman.
Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2000, 414 S.

Von Roddy Doyle hatte ich vor diesem Buch nichts gelesen, und doch war er mir bekannt. Drei seiner Bücher wurden verfilmt. The Commitments von Alan Parker, The Snapper und The Van (unter dem Titel Fish and Ships) von Stephen Frears. Alle drei Filme liegen mir am Herzen. Sie zeichnen sich durch Humor, Warmherzigkeit, soziale Genauigkeit aus, zeigen uns das arme, das phantasievolle, lebenslustige und unverwüstliche Irland. Meine Erwartungshaltung gegenüber Henry, der Held war infolgedessen aufgebaut - und wurde in jeder Hinsicht enttäuscht. Roddy Doyle führt uns mit diesem Buch von der irischen Gegenwart weg ins Dublin des Jahres 1901, wo in den unendlich armen Slums besagter Henry geboren wird - als ein von Glanz und Charisma umgebener Sohn eines Bordellrausschmeißers und Auftragsmörders und einer im Suff dahinvegetierenden, früh verbrauchten Mutter, deren andere Kinder wie Fliegen dahinsterben.

Das Elend ist unbeschreiblich, und oft fühlte ich mich an Frank McCourts Die Asche meiner Mutter erinnert - nur daß McCourts (ebenfalls Ich-Erzähler) Held das Zeitungspapier ableckt, in das Fish-and-Ships eingewickelt waren und der Protagonist von Doyle als Sechsjähriger Ratten für Hundekämpfe anlockt und fängt, indem er ihre Nester ausnimmt und Suppe aus den Jungen kocht. Die Gangart dieses Romans ist von ungewöhnlicher Härte. Wenn bei McCourt die ironisiert-naive Draufsicht, der von Galgenhumor den Charme des Blickwinkels ausmachen, so ist Doyles Blick von diamantener Schärfe, Haß und Zuneigung sind klar geschiedene Pole, der Kampf ums Überleben ist gnadenlos.

Der fünfjährige Henry ist auf sich gestellt, er erhält sich und seinen kleinen Bruder Viktor bis zu dessen Schwindsucht-Tod am Leben, nimmt bereits als Vierzehnjähriger am sogenannten Osteraufstand in Dublin teil und wird nach dessen Niederschlagung durch die englische Besatzungsmacht einer der Killer der IRA, der jeden „hinrichtet“, zu dem er geschickt wird. Mit unglaublicher Brutalität und ohne jede Gewissensbisse führt er seine Morde aus, bereit dazu zu „schießen und kaputtzuschlagen, zu schinden und zu töten“, eine wandelnde Waffe. Henry darf „der Held“ sein, der in Liedern besungen wird, und kommt damit der IRA gerade recht. Denn Irland ist ihm „einen Dreck wert“. Nur sein Ego ist ihm wichtig.

Mythische Dimensionen: Das Holzbein des Vaters, das er mit sich führt und das ihm nicht nur als ein Mordinstrument unter anderen dient, sondern auch als Wünschelrute, um Wasser zu finden; seine Fähigkeit überhaupt, unterirdische Ströme zu entdecken, gleich ob es verborgene Brunnen sind oder die stinkenden Wasser der Kanalisation; seine Lust sich in die Wasser Irlands hinsinken zu lassen, mögen sie auch kalt sein wie Eis oder schmutzig wie die Kloaken, sich im Wasser zu retten und zu erneuern. Barbarische Rituale der Selbstfindung, angestachelt von einer Vitalität mit der Strahlkraft eines Gottgesandten, der doch nichts weiter ist als ein Mörder auf Bezahlung.

An Henrys Seite seine geliebte Frau (er ist, wie die Helden der Märchen und Mythen, schneller reif als ein normaler Mensch), die er mit siebzehn heiratet - mit neunzehn ist er Vater. Die ehemalige Schullehrerin, Hohepriesterin des Terrors, „unsere Liebe Frau von der Kugelspritze“, ihm ebenbürtig an Kaltblütigkeit, treu, verläßlich, ausdauernd in den Liebeskämpfen mit dem - selbstverständlich - immens potenten Henry. Es gibt Szenen von großer Komik und poetischer Kraft gleichzeitig. So, wenn Henry und seine Geliebte im besetzten Potsdam im Keller auf den dort gestapelten Briefmarken Liebe machen und dem großen Helden noch tagelang Postwertzeichen am Arsch kleben ...

Schließlich, nach seiner Verhaftung durch die Engländer, seiner Inhaftierung und Flucht, erfährt er, daß sein bester Freund als angeblicher Spitzel von der IRA umgebracht worden ist und daß auch er selbst inzwischen zu Macht und Ansehen gelangten Bossen der Bewegung mißliebig geworden ist. Und da fällt der Groschen bei Henry. Wird ihm klar, daß er nur benutzt wurde. „Ich war ein Knecht, war der beschissenste Volltrottel, der je geboren wurde. Das wußte ich jetzt. Da war nichts zu machen. Was hätte ich machen sollen? Die Toten kommen nicht wieder.“

Bei Henry, das steht fest, kommen sie nicht einmal im Traum wieder, um sie zu quälen. Denn dazu müßte er ein Gewissen haben. Und das fehlt ihm. Auch nach seinem Entschluß, die Karriere als Killer aufzugeben, bringt er noch einen der Drahtzieher, die ihn benutzt haben, um: Genau so brutal, so eiskalt, so mitleidlos wie vorher. Liebkost vorher seine kleine Tochter. Setzt sich schließlich ab nach Amerika.

Was das Buch so bestürzend macht, ist die Tatsache, daß der Autor Henrys Verhalten an keiner Stelle be- oder verurteilt. Man gewinnt den Eindruck, daß er die ganze Zeit vollste Sympathie mit seinem egomanisch haßerfüllten mörderischen Helden hat. Das ist hohe Qualität der notorisch knappen, lakonischen Sprache, da gibt es Brisanz und filmreife Knappheit der Dialoge. Und das ist um so beunruhigender, denn es zwingt uns in den Bann dieser amoralischer Persönlichkeit, die einen das Fürchten lehren kann. Keine Lektüre für zarte Seelen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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