Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

Jagd ohne Halali

Nelson DeMille: Das Spiel des Löwen
Aus dem Amerikanischen von Jochen Schwarzer.
Ullstein Verlag, Berlin 2000, 888 S.

Der Autor, New Yorker des Jahrgangs 1943, hat Goldküste und An den Wassern von Babylon und Die Tochter des Generals sowie weitere erfolgreiche Titel veröffentlicht. Dieser nun, der jüngste, ist noch im Jahr seines Erscheinens bei Warner Books, New York, von Ullstein in einer sauberen deutschen Übersetzung herausgebracht worden. Er wird seine Leser finden. Es ist ein spannendes Buch, das zudem einen seriösen Einblick in die Arbeit US-amerikanischer Strafverfolgungsbehörden und in die Mentalität arabischer Terroristen bietet. Dieser Sammelbegriff soll nicht verdecken, daß jeder Terrorist, gleich welcher Herkunft, seine eigene Denkart, eigene Motive, eigene Beschädigung der Persönlichkeit und eine individuelle mörderische Handschrift hat.

Hier handelt es sich um den fiktiven Libyer Assad Khalil, dessen Mutter und Schwestern bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sind, der tatsächlich am 15. April 1986 von US-Jets auf ein Quartier des libyschen Staatschefs Ghaddafi geflogen wurde, sogenannter Vergeltungsschlag auf mutmaßliche Aktivitäten libyscher Terroristen. Da jede Form von Terrorismus fortzeugend Böses gebiert, folgt auf den tatsächlich von US-Präsident Reagan befohlenen Angriff, der zweifellos völkerrechtswidrig war, nun nach vielen Jahren der erdachte Vergeltungscoup durch Khalil. Das Entree des Libyers in die USA ist bereits makaber: Er reist aus Europa mit einem Jumbojet ein, dessen Passagiere und Besatzung er unterwegs mit Giftgas umgebracht hat. Man erfährt, wie das zu machen ist. Die riesige Linienmaschine landet per Autopilot. Auch das ist sehr wohl möglich. Dem Autor sind keine Schnitzer oder Phantastereien nachzuweisen.

Assad Khalil ist der Löwe, der nach diesem mörderischen Pranken- und Paukenschlag in wenigen Tagen eine Blutspur quer durch die USA zieht. Er sucht die Männer der Airforce, die jenen Angriff auf Libyen geflogen haben, Namen und Adressen sind von Ghaddafis Geheimdienst zugearbeitet, bringt sie fast alle um, verursacht einen erheblichen Kollateralschaden, indem er auch Unbeteiligte sicherheitshalber erschießt, und macht sich schließlich auf, den inzwischen durch Alzheimer senil gewordenen Ex-Präsidenten Reagan ebenfalls umzubringen. Späte Rache nach vielen Jahren. Sie ist Allah nicht minder wohlgefällig.

Auf die Fährte von Khalil setzt sich eine Antiterroreinheit, der einige Dutzend Geheimdienstler, untereinander rivalisierend, sowie der Ex-Polizist John Corey angehören. Köstlich, wie DeMille diesen harten Burschen zeichnet, der mit seinem losen Mundwerk bei den Schlipsträgern aus den Geheimdienstfraktionen unliebsam auffällt, ihnen aber als erfahrener Mordaufklärer fachlich überlegen ist. Er und die - wie sollte es anders sein -attraktive Kate Mayfield vom FBI werden zu Khalils Gegenspielern, kommen ihm immer näher, bis sie ihn schließlich stellen. Khalil hat die bessere Position und schießt zuerst. John und Kate, inzwischen - wie sollte es anders sein - auch Partner im Bett, werden verwundet. Der gejagte Jäger Khalil, den der Autor mit einem Hauch Hochachtung zeichnet, entkommt seinen Verfolgern. Es gibt kein Halali. Offen bleibt, ob der Löwe irgendwann zurückkommen wird, um seine mörderische Mission zu beenden und sich vielleicht John und Kate vorzunehmen. Die heiraten, nachdem sie ihre Wunden ausgeheilt haben - ein kurzer, wie angeklebt wirkender Schluß, offenbar eine Konzession an Schnulzenliebhaber.

DeMilles Buch bleibt trotz dieses Einwandes, der die ganze in dem Metier unübliche Liebesgeschichte einschließt, inhaltlich bemerkenswert. Einmal deswegen, weil der Autor einer spannungsreichen Handlung das glaubwürdige politische Umfeld hinzugefügt hat. Er zeigt die Mechanismen, die sich bei Angriffen auf die USA in Bewegung setzen. Terrorismus wird stets als ein solcher Angriff gewertet. Dabei wird deutlich, wie hierarchisch und bürokratisch der Staat reagiert. Im Kontrast hierzu agiert der gelernte Polizist John Corey gänzlich unbürokratisch, antiautoritär, individualistisch, mithin unbequem. Der Erfolg seines Vorgehens gibt ihm Recht. DeMille macht seinen Helden Corey, der sich im Zweifel auf seine Nase verläßt, als eine Art Außenseiter sympathisch. So erobert er, stets zu flapsigen Sprüchen aufgelegt, nolens volens das Herz der FBI-Dame. Bemerkenswert nicht zuletzt ist die deutliche Absage des Autors an jeglichen Terrorismus, weil immer neues Blutvergießen die Folge ist, sowie die Absage an die Rolle der USA als Weltgendarm mit Lizenz zum Töten.

Handwerklich interessant erscheint die fast bis zum Schluß durchgehaltene alternierende Darstellung: Auf ein Kapitel mit Khalils Aktivitäten und Überlegungen, in der dritten Form erzählt, folgt jeweils ein Kapitel, in dem der Ich-Erzähler Corey auftritt. Diese Mischung ist ungewöhnlich und durchaus wirksam. Sie trägt dazu bei, Spannung aufzubauen, und schafft eine Art literarische Abwechslung, die der Leser gern akzeptiert.

Anfangs gewöhnungsbedürftig ist DeMilles Detailversessenheit, die sich durch das ganze Buch zieht, faktisch auf jeder Seite zu lesen ist. Bei ihm steigt die handelnde Person erst in das Auto, nachdem sie die Tür geöffnet hat, und im Auto setzt sie sich, legt den Gurt an, steckt den Schlüssel ins Zündschloß ... So kommt ein Buch leicht auf 888 Seiten. Da der Autor jedoch anschaulich schreibt und seine Geschichte mit jedem Detail weiter befördert, bleibt man neugierig auf den Fortgang, und die Neugier ist nur zu befriedigen, indem man das nächste Detail schluckt. So zu schreiben ist eine Kunst. Sie gehört zu diesem gelungenen Buch.

Der deutsche Leser wird gemeinhin mit den feinen Unterschieden zwischen den drei Geheimdiensten CIA, FBI und Secret Service sowie County-Polizei, Großstadtpolizei und Bundespolizei, US Marshal und Sherif wenig vertraut sein. In einem Buch, das all dies in Mengen präsentiert und durcheinanderwuseln läßt, könnte ein Verlag außer der Übersetzung noch einige aufklärende Stichworte liefern. Bei soviel geheimer und ungeheimer Polizei jedenfalls wundert man sich, daß Khalil entwischen konnte. Aber vielleicht wollte der Autor auch in diesem Punkt lebensecht sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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