Eine Annotation von Kathrin Chod
cover Neumärker, Uwe/Conrad, Robert/ Woywodt, Cord:
Wolfsschanze
Hitlers Machtzentrale im II. Weltkrieg.
Ch. Links Verlag, Berlin 1999, 235 S.

Rund eine Viertelmillion Besucher kommen jährlich in das Gebiet von Rastenburg (Ketrzyn). Doch nicht die malerische Landschaft der Masuren zieht sie hierher, sondern die Wolfsschanze - von 1941 bis 1945 „Führerhauptquartier“. Bereits seit den 60er Jahren touristischer Anziehungspunkt, stehen seit 1990 der Vermarktung kaum noch Grenzen im Wege. Die GmbH „Wolfsnest“, deren Anteile ein Süßwarenhersteller und die Gemeinde Ketrzyn hält, will auf 30 Jahre die Wolfsschanze gewinnbringend vermarkten, wozu auch der Verkauf von Sonderstempeln für Sammler und von Bastelbögen des Führerbunkers gehört. Was fehlt, ist jedoch eine Ausstellung, die ein zuverlässiges Bild dieses Ortes der deutschen Geschichte vermittelt. Aufklärungsbedarf, dem die Autoren des vor liegenden Buches, das neben vielen Hintergrundinformationen zahlreiche Bilder und Karten enthält, nachkommen.

Die Wahl Rastenburgs für das Führerhauptquartier erfolgte nach der Anweisung Hitlers zum Bau von Befehlsständen im Hinblick auf den geplanten Rußlandfeldzug. Unter verschiedenen Standorten fiel die Wahl auf Rastenburg, da es zum alten Reichsgebiet gehörte und somit bereits eine intakte Infrastruktur vorwies. Das dichte Waldgebiet bei Rastenburg bot eine gute Tarnung gegen Luftaufklärung, und die Sümpfe erschwerten den Zugang von Land. Eine Bahnstrecke und eine befestigte Straße verbanden das Gebiet mit Rastenburg bzw. Angerburg. Zwei Tage nach Beginn des Unternehmens „Barbarossa“ bezog Hitler die fast fertiggestellte Anlage und taufte sie auf den Namen „Wolfsschanze“. Nicht bedacht hatte man, daß die Wolfsschanze in einem „Mückenloch“ errichtet wurde, so daß Hitler bald klagte, man habe das „sumpfigste und klimatisch ungünstigste Gebiet für ihn ausgesucht“. Unweit der Wolfsschanze ließen sich auch andere NS-Spitzen nieder. Außenminister Ribbentrop übernahm Schloß Steinort als „Feldquartier“, Himmler die Feldkommandostelle „Hegewald“ (später „Hochwald“), das Oberkommando des Heeres den „Mauerwald“ am Mauersee, und die Abwehr zog in die Feste Boyen bei Lötzen. Bereits seit Mitte der 30er Jahre hatte Göring den Reichsjägerhof in der Rominter Heide genutzt. Das Buch enthält eine detaillierte Beschreibung des Hauptquartiers mit den Sperrzonen, die Schilderung von Staatsbesuchen und Lagebesprechungen, des „Führergeburtstags“ sowie des Attentats vom 20. Juli 1944. Ausführlich wird der Ausbau der Wolfsschanze mit Bunkern dargestellt (seit 1943), die sich als überflüssig erwiesen, denn obwohl den Briten Lage und Aufbau des „Führerhauptquartiers“ spätestens seit 1942 bekannt waren, legten sie lieber das nahe gelegene Königsberg in Schutt und Asche, als auch nur einen Angriff auf das „Führerhauptquartier“ zu fliegen.

Etwas aus dem Rahmen der sehr sachlichen und informativen Abhandlung fällt jedoch der Reisebericht zur Wolfsschanze „Momentaufnahme II“, wo es nicht mehr nur um Information, sondern um „Stimmung“ geht. Da kann sich der Reporter einer „gewissen Beklommenheit schwerlich erwehren“, was auch nicht verwundert, da Gebäudereste „wie Saurier aus einer fernen Zeit“ auftauchen. Die polnische „Wachmannschaft“, die „oft mürrisch“ die Eintrittsgelder kassiert, „besteht angeblich aus ehemaligen Mitarbeitern der polnischen Staatssicherheit“. Die Trümmerlandschaft der „Wolfsschanze“ erscheint dann seltsamerweise als „eine Art Marienburg, Sitz des deutschen Ordens an der Nogat, als Ausdruck der Bunkermentalität der Nazis“. Doch es gibt auch beschauliche Momente hier, denn während sich in der Saison „Touristengruppen“ über die schmalen Pfade „wälzen“, findet man im Frühjahr und Herbst bzw. bei Tagesanbruch „Ruhe beim Gang durch die Anlage ..., wenn der Morgennebel an den Bunkern aufsteigt. Dann ist man mit den Spechten allein, deren Pochen in der Leere und Stille dieser versunkenen Stadt aus Beton wie der Nachhall von Maschinengewehrsalven klingt.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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