Eine Annotation von Gudrun Schmidt
cover Heym, Inge:
Die Leute aus meiner Straße
Berliner Geschichten.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2000, 95 S.

Im Buchtitel klingt Vertrautheit an. Das hat mit Vertrauen, offenem Umgang miteinander zu tun. Die Autorin scheint die Leute in ihrer Straße gut zu kennen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihr die Geschichten zugetragen worden sind oder ob eigenes Erleben aus jahrelanger Nachbarschaft zugrunde liegt. Entstanden sind liebenswerte Miniaturen, Alltagsbeobachtungen aus einem Land, das es so nicht mehr gibt. Aufgeschrieben hat Inge Heym die Geschichten 1982. Jetzt werden sie erstmals veröffentlicht. Als Leser begibt man sich gewissermaßen auf eine Zeitreise in Vergangenes ohne ostalgische Verbrämung. Erzählt wird von kleinen Leuten und ihrer Sicht auf das Leben. Ein Ehepaar, das die goldene Hochzeit hinter sich hat, will nun getrennte Wege gehen. Vom Pech verfolgt ist Ludwig, der Maler und Lebenskünstler, einer, der trotz Trabbi auf Dauer kein Glück bei den Frauen hat. Ob Krankheit oder Sorgen mit der Berufswahl der Kinder, das geheimnisvolle Treiben des Herrn Ziepke, eines Hauptamtlichen bei der Stasi - jeder kennt jeden in der Straße und scheint alles vom anderen zu wissen. Da schmunzelt man über die genügsame Freude der Ostler am FKK, den gelungenen, weil verbotenen Eintausch von Westmark oder liest amüsiert, was durch Beziehungen alles möglich war. Vorausgesetzt, man hatte welche. „Man muß eben immer eenen kennen, der een anderen kennt.“ So war das. Was der eine mit Büchern erreichte (Erfahrungen einer Schriftstellerehe?), dafür mußte der andere ein Dach decken.

Sympathisch kommen bei Inge Heym die Frauen weg. Sie sind praktisch und selbstbewußt. Arbeit ist für sie selbstverständlicher Teil ihres Lebens. Zu den schönsten Geschichten zählt für mich „Marianne von der Münze“. Bei aller Turbulenz und Schnoddrigkeit entsteht ein vielschichtiges Bild alltäglichen Lebens.

Inge Heym hat den Leuten „aufs Maul geschaut“, läßt sie berlinern, was das Zeug hält. Das trägt zur Charakterisierung bei, wird aber manchmal überstrapaziert. Zumal, wenn man die Kapitel hintereinander liest.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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