Eine Annotation Sven Sagé
Grass, Günter:
Zunge zeigen
Gerhard Steidl Verlag, Göttingen 2000, 246 S.

Deklariert als „1. Auflage“ bei Steidl, wird noch einmal der Bild-Text-Band Zunge zeigen von Günter Grass angeboten. Der Göttinger Verlag läßt sich nicht lumpen und den Nobelpreisträger was kosten. Im repräsentativen Format erscheint Zunge zeigen in Leinen. Nicht nur den Nachgewachsenen, auch den hinzugekommenen Ostdeutschen zur Freude. Als den DDRlern ein Ausreiseantrag wichtiger war als ein Autoantrag, war es für Grass an der Zeit, von der BRD abzurücken. Der indische Subkontinent wurde ihm zur Stätte der Besinnung.

Wird jetzt nachgesehen, was der Schriftsteller-Künstler vor anderthalb Jahrzehnten aus der Ferne mitbrachte, erschrecken nicht die gezeichneten und geschilderten Schäbigkeiten des Subkontinents. Erschreckend ist, daß alles, was gestern war, gegenwärtig ist. Beim Anblick der Tuschezeichnungen, beim Lesen der Tagebuchaufzeichnungen und des lyrischen Zyklus Zunge zeigen ist man geneigt zu glauben, es mit Tagesansichten zu tun zu haben. Nicht die Zeit ist stehengeblieben, es sind die Zustände. Die „erste Lektion: Zunge zeigen ...“ ist unverändert die erste Lektion, will man gegen die Zustände der Zeit gewappnet sein. Grass' Zeichnungen und Texte, die stets kräftig-kritische Zeitdarstellungen sind, wurden mit den Jahren nicht schwächer. Sie sind zeitgemäß. Seite für Seite, Bild für Bild wird das schöne Buch zu einem Buch, das mit nachlassendem Gleichmut gesehen wird. Das ist, ganz gewiß, ganz im Interesse des Verlages wie des Autors. Das Buch ist eine Bildungsreise. Der Reisebegleiter ist ein Künstler. Gute Gründe, sich auch diesen Günter Grass zu gönnen. Zum erstenmal. Noch einmal. Zunge zeigen muß sein! Hallo, Albert!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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