Eine Annotation von Gisela Reller
Berberova, Nina:
Die Damen aus St. Petersburg
Zwei Erzählungen.
Aus dem Russischen von Annelore Nitschke.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000, 92 S.

Beide Erzählungen entstanden 1927 im Pariser Exil. Die Berberova - sie emigrierte 1922 zusammen mit ihrem beträchtlich älteren Lebenspartner, dem russischen Dichter Wladislaw Chodassewitsch, über Berlin, Prag, Venedig und Rom nach Paris - stellt in den beiden Geschichten drei Frauen in den Mittelpunkt, die vor der russischen Revolution fliehen. In „Die Damen“ erzählt sie von Warwara Iwanowna und deren erwachsener Tochter Margarita, die auf ihrer Flucht in einer Land-Pension haltmachen. Der plötzliche Tod der Mutter sorgt für große Unruhe in der Pension und deren Beerdigung unter den revolutionär-chaotischen Umständen für nur schwer zu lösende Probleme. Bewegend, wie die Berberova mit wenigen Sätzen das Verhalten jedes Bewohners der Pension beschreibt, fatal, wie schnell Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.

In „Soja Andrejewna“ kommt die junge Frau nach tagelanger Reise in der Stadt Rostow an und mietet sich ein Zimmer. An ihrem einst eleganten Kleid erkennen die anderen Untermieter Soja als eine „Ehemalige“, als eine, die vor der Revolution mehr Geld hatte als sie selbst. Soja wird augenblicklich zum Objekt für Mißgunst und Neid. Als die Revolution nach Rostow kommt, entlädt sich gegen sie der ganze aufgestaute Haß. Auch Nina Berberova entstammte einem begüterten Elternhaus - sie weiß, wovon sie so nachhaltig-beeindruckend schreibt. Die russische Exilschriftstellerin (1902-1993), erst vor einiger Zeit wiederentdeckt (BLZ 2/1999) ist in ihren Romanen, Erzählungen, Gedichten, Biographien eine hellwache und allgegenwärtige Zeugin des 20. Jahrhunderts und eine große belletristische Begabung dazu.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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