Eine Rezension von Waldtraut Lewin

Ikea für die Seele

Barbara Voors: Klaras Tagebuch
Roman.
Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2000, 302 S.

Schweden ist „in“, da kann man nichts machen. Ob es sich nun um preiswerte Möbel handelt, um die biedere Hausmannskost einer Marianne Fredriksson oder um die Grauslichkeiten, die Mankells Inspektor Wallander begegnen - man kommt einfach nicht drum herum. Kiepenheuer nutzt den Trend und schiebt einen Psycho-Krimi nach, viertes Buch einer bei uns noch unbekannten Autorin, einer - laut Klappentext - weitgereisten und vielbewanderten jungen Dame, die sich aber nur in die Stockholmer Schären verkriecht, um ihre Doppelheldin daselbst Vergangenheitsbewältigung treiben zu lassen.

Saskia lebt in Amsterdam, ist erfolgreich und seit zehn Jahren glücklich verheiratet, hat eine Tochter und alles, was das Herz begehrt. Ehedem hatte sie dazu auch noch eine Zwillingsschwester, Klara; letztere ist seit besagten zehn Jahren mysteriös verschollen und steht in ungeklärtem Zusammenhang mit einem Doppelmord oder Selbstmord. Auf der Ferieninsel ihrer Kindheit, im Haus der verstorbenen Mutter, wird Saskia mit dem Tagebuch des Zwillings konfrontiert, mit Klara, der so ganz anderen, der sensiblen, aufopferungsvollen, und ihrer „Amour fou“ zu der schönen, wilden und gänzlich amoralischen Désirée, deren Seele sie retten will und die dann schließlich als blutige Leiche herumliegt.

Parallel zum Einstieg in die „andere Person“ geht unserer Saskia auch noch ein pensionierter Kriminalinspektor auf den Geist, dem der ungeklärte Fall von damals auch keine Ruhe läßt und der ihr nachspioniert.

Leider ist dem Leser viel zu früh klar, daß es sich bei Saskia und Klara um ein und dieselbe Person handelt. Die Fährten, die da gelegt werden, sind viel zu wenig subtil, um nicht sofort durchschaut zu werden, die Persönlichkeitsspaltung in die sanfte, lebensuntüchtige Klara und die harte Geschäftsfrau Saskia zu lehrbuchmäßig durchgezogen, um überraschen zu können; Shen Te und Shui Ta aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ blicken da ebenso über die Schulter wie alte Freunde wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Barbara Voors hat sich nicht entscheiden können, ob sie einen Krimi oder ein Psychogramm schreiben wollte - so ist beides mißlungen; für einen Krimi gibt es zu wenig Suspense, für die Psychostudie fehlt der Tiefgang, das abgründig Haarsträubende, das uns doch nur interessieren könnte, es geht alles sehr brav und bieder seinen Gang da zwischen den Schären, und die Überraschungen kommen nie mit einem Knalleffekt daher, sondern klopfen erst treuherzig an die Haustür, ehe sie das Wohnzimmer betreten. Die ganz für den Schluß aufgesparte Wendung (vielleicht ist Saskia-Klara ja doch die Mörderin ihrer geliebt-gehaßten Freundin und ihres Galans) schimmert nur andeutungsweise auf und verunsichert zusätzlich, denn nun fühlen wir uns erst recht veralbert; wenn sie's getan hat, war das ganze Selbstfindungs-Gesumse nur die nächste Lebenslüge dieser Frau und vollkommen unnötig, es vor uns auszubreiten wie ein anspruchsvolles Gewebe.

Barbara Voors Buch krankt an Halbherzigkeit. Alles ist viel zu weitschweifig, viel zu idyllisch erzählt, und vor allem, man kann mit keiner der Hauptfiguren richtig warm werden. Der verbissene Inspektor, das reiche böse Mädchen mit der faszinierenden Aura, der verständnisvolle Ehemann, die treue bodenständige Freundin - das sind alles nur Erfindungen, da strömt kein Blut, da gibt's keine Tiefen zu entdecken. Klaras Tagebuch ist einfach langweilig.

Ikea für die Seele - praktikabel, bieder, nie kitschig. Aber nicht besonders haltbar.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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