Eine Rezension von Gabriele Brang

Schau mir in die Augen - Kleiner

Jens Sparschuh: Lavaters Maske
Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 264 S.

„Unter den Blinden ist der Einäugige König.“ Ein Sprichwort, das auf den zwar nicht berühmten, doch von Schreiberfolgen gekürten Helden in Jens Sparschuhs neuem Roman Lavaters Maske zutrifft; wer hat schon einen persönlichen Literaturagenten, ist Autor mehrerer veröffentlichter! Romane und bekommt auch noch sozusagen hinterhergeschmissen, wovon Tausende mittelloser deutscher Literaten träumen: ein Ehrenstipendium als Stadtschreiber. Und wenn es auch nur in einem Nest wie Wühlischheim ist. Ein Glückspilz, denkt jeder, der sich etwas in der Materie der schreibenden Zunft auskennt. Mitnichten, denn der arme Kerl leidet gerade unter einer Schreibblockade. Dagegen hilft bekanntlich nur eines: sich mit anderen Dingen beschäftigen, um auf die nächste Inspiration zu hoffen. Das macht der flügellahme Pegasusjünger, widmet sich der Pflege seiner Fußnägel, als just in dem Moment, da er den Nagelknipser einsetzt, das Telefon klingelt. Massolt, sein fürsorglicher Agent, ist am Apparat, natürlich mit der unvermeidlichen Frage, woran der Künstler zur Zeit denn arbeite. Worauf ein promptes: „Ich arbeite gerade ... über Lavater“ kommt, was damit reichliche Verwirrung auf beiden Seiten auslöst, aber spontane Äußerungen können nun mal unberechenbare Folgen haben. Was sich für den Ich-Erzähler spätestens bewahrheitet, als Massolt mitteilt, daß der Filmonkel Haffkemeyer an ihm, dem Autor der „Nomaden des Abschieds“, interessiert sei. Neben vielen blauen Scheinen tauchen dann zwangsläufig auch viele Fragezeichen vor dem geistigen Auge des Helden auf. Gilt es doch, nicht nur Haffkemeyer von der Filmtauglichkeit des im 18. Jahrhundert lebenden Theologen und Philosophen Johann Kaspar Lavater zu überzeugen, dafür ist schließlich Massolt da, sondern eine Story zu schreiben, die ein Millionenpublikum zu Jubelstürmen hinreißt. Lavaters „Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“, die den unmittelbaren Zusammenhang von Physiognomie und Charakter des Menschen beweisen sollten, klingen vielversprechend: Schau mich an, und ich sage dir, welcher Art Schuft du bist. Schließlich gab es da noch Lavaters Schreiber, Enßlin, und seinen rätselhaften Selbstmord. Herrgott, daraus muß sich doch ein brauchbares Skript machen lassen! Wovon an diesem Punkt selbst der Leser überzeugt ist, zumal der Drehbuchautor in spe bei seinen Recherchen in der Züricher Zentralbibliothek Frau Dr. Magda Szabo, Computerspezialistin der Firma Personel Consulting, kennenlernt. Ein „hinreißender“ Vamp, mit „goldigem Silberblick“, die ebenfalls an Lavaters Werk interessiert ist. Speziell an einem ganz bestimmten Blatt seiner Aufzeichnungen, das sie bei dem nichtsahnenden Dichter vermutet und wild entschlossen mit allen Mitteln an sich zu bringen sucht. Wer jetzt denkt, hier bahnt sich ein atemberaubender Thriller an, irrt, denn Sparschuhs Roman besitzt (es funktioniert trotzdem) keinen die Handlung vorantreibenden Plot. Seine eher schemenhaft gezeichneten, aber durchaus realistisch wirkenden Figuren haben nur die eine Aufgabe: nach Hampelmann-Art die mitunter grotesken Mechanismen unseres gegenwärtigen Literatur- und Medienbetriebes darzustellen. Herrlich komisch, wie Sparschuh seinen Ich-Helden diesen Tücken aussetzt. Nichts bleibt da aus, weder Freud und Frust auf Lesereisen durch deutsche Provinzen noch der Auftritt in einer Nachmittagstalkshow, die unter dem Thema „Schönheitsoperationen und das wahre Ich“ läuft. Das und noch mehr hat Sparschuh in seiner bekannten geistreich-witzigen Manier erzählt. Da reiht sich Gag an Gag, was unwillkürlich an mit Slapstikszenen überladene Filme denken läßt und manchmal in Formulierungen gipfelt, die zuviel des Guten sind. Eine Drehbuchvorlage gibt der mit Esprit geschriebene Roman so nicht her. Muß er auch nicht, denn hier erzählt einer, der nicht nur über die Schwächen und Macken seiner Mitmenschen, sondern auch über die eigenen lachen kann, und nebenbei bekommt der Leser ein Stück spannender wie interessanter Literaturgeschichte serviert. Was will man mehr von einem guten Unterhaltungsroman?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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