Eine Rezension von Heinrich Buchholzer

Gegen Alzheimer über Leichen

Michael Ridpath: Feindliche Übernahme
Roman.
Aus dem Englischen von Hainer Kober.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000, 384 S.

Dieser Roman mit den unverkennbaren Zügen eines Krimis verdient aus mehreren Gründen Interesse. Erstens: Die erfundene Geschichte orientiert sich an der Wirklichkeit eines Wirtschaftsbereichs, zu dem die Leser von Unterhaltungsliteratur im allgemeinen keinen Zugang haben. Wir werden von einem sachkundigen Autor in die Welt der Investmentgeschäfte eingeführt. Ridpath war Trader - vermutlich im internationalen Devisenhandel - bei einer Londoner Bank, ehe er Anfang der 90er Jahre den Sprung zum Erfolg als Schriftsteller schaffte (mit Der Spekulant, 1995 bei Hoffmann und Campe, wo danach zwei weitere Titel erschienen sind).

Hier ist es die fiktive US-Firma Revere in Boston, die aufstrebende Unternehmen in profitträchtigen Branchen finanziert und einen fetten Anteil am Gewinn kassiert, sofern das junge Unternehmen mit seinem Produkt oder seine Produktpalette am Markt einschlägt. An zwei Beispielen führt der Autor vor, was dabei passieren kann - Millionen Dollar Gewinn oder Verlust. Dabei kommt es - neben gründlichen Vorprüfungen - auch auf die „Nase“ der Investmentberater an, die ein finanzielles Engagement zu empfehlen oder abzulehnen haben. Einer von ihnen ist der junge Simon Ayot, aus England gekommen, wo er die Traditionen einer verarmten Landadelsfamilie zurückgelassen hat. Die andere Hauptperson ist seine Frau Lisa, gebürtige US-Bürgerin aus einer jüdischen Familie. Beide geraten in lebensbedrohliche Schwierigkeiten, als sie sich für die vermutlich kriminellen Praktiken eines pharmazeutischen Unternehmens interessieren, das von Revere finanziert worden ist. Drei ungeklärte Morde hat es bereits gegeben, die mit einem neuen Medikament zusammenhängen, das vor der erhofften amtlichen Zulassung steht und hierfür eine letzte Testreihe absolviert.

Zweitens versteht es Ridpath, seine Story mit der realen Situation auf dem internationalen Pharma-Markt zu verbinden: Weltweit wird für Medikamente geforscht, mit denen verbreitete Krankheiten geheilt oder gelindert werden können, gegen die bisher kein Kraut gewachsen ist. Hier geht es um ein Mittel für Alzheimerpatienten, das jenes Pharmaunternehmen eben testet. Ein Erfolg dieses Medikaments würde Milliarden einbringen - für den Produktentwickler, für den Geldbeschaffer Revere und für alle Insider, die auf die Aktien gesetzt haben, mit denen das weitere notwendige Kapital hereingeholt werden soll. Und zugleich geht es um ein erfolgversprechendes Parkinson-Mittel, das von einem kleineren Konkurrenzunternehmen gerade zur Entwicklungsreife gebracht wird. Der Titel des Buches bezieht sich auf die feindliche, erzwungene Übernahme der kleineren durch die finanzstärkere Firma. Auch diese Situation ist lebensecht.

Drittens illustriert der Roman auf unterhaltsame Weise die bekannte Wahrheit, daß die Gier nach Geld und der damit verbundenen Macht von jeher mehr Kapitalverbrechen bewirkt hat als das Fehlen von Geld. Würden alle armen Leute zu Mördern und Totschlägern, hätte die Menschheit längst sich selbst ausgerottet.

Viertens schließlich weist Ridpath ohne erhobenen Zeigefinger auf eine Tatsache hin, die man wohl zur Kenntnis nehmen muß, aber dennoch beschämend nennen darf, nämlich die Priorität des Profits für den Fortschritt der pharmazeutischen Wissenschaft, mithin auch der Medizin. Ärztliche Kunst wird immer mehr durch den Einsatz von Pharmaka ersetzt, oder sie ist zumindest davon abhängig. Und ehe es wirksame Medikamente gibt, müssen sie getestet werden. Ist es atypisch, wenn dieser Roman zeigt, wie Hunderte Alzheimer-Patienten in Lebensgefahr kommen, weil an ihnen ein Medikament getestet wird, dessen Nebenwirkungen ungenügend erforscht sind? Alte Leute als Versuchssubjekte für die künftige Großproduktion - eine makabre Vorstellung, die bei Ridpath zur erdachten Wirklichkeit wird.

Man darf darauf hinweisen, daß der Roman unnötige Klischees verwendet, beispielsweise die (auch) in den USA präsente Russenmafia, und an einigen Stellen darauf verzichtet, in die Tiefe zu gehen. Die unterschiedliche Herkunft der beiden Hauptpersonen wird mehr verbal behauptet und als Farbtupfer benutzt statt literarisch dargestellt. Dabei hätten die unkonventionelle amerikanische Jüdin und der ehemalige englische Garde-Captain Sir Simon, der nun im gnadenlosen Investmentgeschäft tätig ist, wahrhaftig mehr Ausdeutung verdient. Zwei Kulturkreise treffen in einer Ehe aufeinander, aber der Leser bekommt eine Ehekrise serviert, die lediglich durch äußere Umstände erklärt wird - da ist ein Stück guter Romanstoff verschenkt worden. Dennoch bleibt Feindliche Übernahme ein beachtenswertes Buch. Es verbindet seinen Krimistoff gekonnt mit dem Einblick in aktuelle Forschungsprobleme und die risikoreiche Finanzierung neuer Pharmaka.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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