Eine Rezension von Henry Jonas

Mehr Schauermärchen als Agententhriller

Liaty Pisani: Schweigen ist Silber
Ogden und der Schauspieler.
Roman.
Aus dem Italienischen von Ulrich Hartmann.
Diogenes Verlag, Zürich 2000, 352 S.

Der gute Kriminalroman fordert nicht, den Verstand auf Urlaub zu schicken. Er macht Vergnügen gerade als intellektuelles Gedankenspiel, das sich durch Logik, Folgerichtigkeit und Wahrscheinlichkeit auszeichnet. Daran gemessen, läßt sich über das vorliegende Buch nicht allzuviel Rühmliches berichten.

Das ist überraschend. Immerhin hat sich Liaty Pisani, geboren 1950 in Mailand, wo sie auch heute noch lebt, bereits durch drei Romane mit dem Agenten Ogden im Mittelpunkt (der einem international tätigen, aber unabhängigen Geheimdienst mit Sitz in Berlin angehört, der sich seine Aufträge aussuchen kann) einen Namen gemacht. Der „Spiegel“ titulierte sie sogar als „Meisterin des Agententhrillers“. Sie stellt zwar auch hier ein großes erzählerisches Talent unter Beweis, und ihre Sprache ist durchaus literarisch anspruchsvoll, leider hapert es gerade mit Logik und Wahrscheinlichkeit in einer Weise, die es dem Leser schwer macht, den Plot, der von der jüngsten Kennedy-Tragödie inspiriert ist, ernst zu nehmen. Denn er geht so:

In Amerika ist Georg Kenneally, der sich um einen Senatorenposten bewerben wollte und danach wohl auch als Präsidentschaftskandidat aussichtsreich gewesen wäre, mit dem Flugzeug abgestürzt. Was allgemein als Unfall gewertet wird, könnte auch Mord gewesen sein - vermutet Stephan Lange, ein Berliner Schauspieler/Regisseur/Dramatiker, der mit Kennaelly befreundet war. Er hat nicht die Spur eines Beweises, lebt ja auch weit weg von den USA, aber als er den Verdacht ein einziges Mal vorsichtig äußert, trachtet man ihm sofort nach dem Leben. Ogden, der gerade als Agent abgedankt hat und in Griechenland Urlaub macht, läuft ihm über den Weg, verhilft ihm zur Flucht, bringt ihn in die Schweiz, versteckt ihn in Bern. Natürlich gerät damit auch Ogden ins Fadenkreuz, er muß sich seinem Geheimdienst wieder verpflichten, um die Mittel des Apparats für sich und Lange nutzen zu können.

Beides - sowohl die Verfolgung Langes als auch das weitgehende und selbstverleugnerische Engagement Ogdens für eine mehr als flüchtige Urlaubsbekanntschaft - ist weder motiviert noch nachvollziehbar. Und zudem läßt die Suche nach den Tätern Spannung vermissen, die Autorin präsentiert sie noch im ersten Drittel des Buches komplett selbst: ein Ölmagnat, ein Waffenhändler, ein Viehzüchter, alle extrem reich und mächtig, denen Kenneally zu integer war, ein CIA-Mann, der aus dem Ruder läuft und auf eigene Rechnung arbeitet, und ein unprofilierter Politiker, der selbst Senator werden will - die Zusammensetzung ist nicht sehr einfallsreich, wie man zugeben muß. Ogdens Dienst weiß natürlich Bescheid über das Komplott, denn ursprünglich wurde ihm angetragen, den Mord zu organisieren, er hat es nur abgelehnt. (Auch das ist ein Deal, der schwer erklärlich ist.) Als die Mörderbande als Racheakt für Ogdens Eingreifen unvorsichtigerweise das Haus seines Chefs in die Luft sprengt, läuft das Faß über, und der Dienst beschließt zurückzuschlagen. Er packt die Mitglieder des Mordkomplotts bei ihren perversen Neigungen (Sex mit kleinen Mädchen und farbigen Jungs, auch das nicht sehr originell), lockt sie mit haarsträubenden Methoden in die Falle und desavouiert sie öffentlich. Am Ende bringen die einen die anderen um, damit sie nichts aussagen können, aber logisch ist das auch nicht so recht, und Lange enthüllt in einer Fernseherklärung Hergang und Hintergründe des Kenneally-Mords.

Die Handlung führt von den griechischen Inseln über Monte Carlo und Bern nach Berlin, aber es gibt relativ wenig überraschende Wendungen und unkonventionelle Situationen. Die Spannung hält sich in Grenzen, weil alles so vorhersehbar ist. „Böse“ und „Gute“, Schurken und Engel stehen sich hier ohne jede Schattierung gegenüber, und die Bösen sind leider auch die Dummen (keine sehr genaue Lebensbeobachtung). Die totale Überlegenheit des Dienstes wird nie ernsthaft in Frage gestellt, alles rast unaufhaltsam auf den vorbestimmten, inszenierten Showdown zu. So sehr man sich wünscht, daß sich in den Reihen des Dienstes wenigstens ein gekaufter Verräter befindet oder daß der buddhistische Guru Ferguson wieder als CIA-Mann aktiviert würde, finden solche Komplikationen nicht statt. Spannung resultiert höchstens aus Nebensträngen der Handlung. Krimi-Symptome wie Herzrasen oder feuchte Hände stellen sich da nicht ein.

Es läßt sich auch nicht übersehen, daß die Charakteristik der Figuren oberflächlich bleibt. Man erfährt wenig, was die Menschen eigentlich denken, fühlen, wollen, worüber sie sich freuen, was sie interessiert, was sie bindet. Man kann sich auch schwer für die „Guten“ erwärmen. Auch sie faseln ständig davon, Menschen zu eliminieren, zu liquidieren, zu töten, zu vernichten, zu beseitigen, da ist wenig Unterschied. „Bring sie um“, fordert die eine Seite. „Du wirst sterben wie ein Hund“, prophezeit die andere. Skrupellos sind sie alle. „Besorg dir ein paar Profikiller und laß sie töten“, verlangt der Waffenhändler vom CIA-Mann, aber auch Ogden fordert von seinem Chef: „Ich brauch drei der besten Killer, die du hast“, und an anderer Stelle heißt es, er sei entschlossen, seine Freundin zu retten, „und wenn er den Flughaften Tegel dafür in Schutt und Asche legen müßte“. Macht ihn das sympathisch? Wahrscheinlich hat die Autorin zu stark darauf gesetzt, daß die Figur durch drei andere Romane bereits etabliert ist und es keiner Bemühungen mehr bedarf, ihn als Sympathieträger und Identifikationsfigur zu behaupten. Am Ende meldet sich sogar der weiß Gott wenig martialische Schauspieler Lange zum Töten bereit - aber worin sich die politischen Ziele des ermordeten Kenneally und des konkurrierenden Bewerbers Calvin Stutton eigentlich unterscheiden, erfahren wir nicht.

Unter Anspielung auf Le Carré sagt Stephan Lange in dem Buche einmal: „Mir gefallen Spionagebücher, sie bieten einen sehr realistischen Schlüssel zur Interpretation unserer Zeit. Praktisch sind sie die einzigen Bücher, die uns erklären, wie sich die Dinge in Wirklichkeit abspielen.“ Nach der Lektüre von Schweigen ist Silber hätte er das sicher nicht gesagt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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